Schauspieler sollen nicht lügen

PORTRÄT Zwischen Zürich, Jena und Berlin: Der Regisseur Tomas Schweigen entwickelt Stücke grundsätzlich im Kollektiv. Es geht um schlafverstrubbelte WG-Bewohner und Querelen hinter den Kulissen des „Paten“

Das Prinzip der Enthierarchisierung hat er konsequent weiterbetrieben. In den alten Ordnungen von Stadttheater oder freier Szene lässt er sich nicht unterbringen

VON SIMONE KAEMPF

Kollektives Zusammenleben ist ein Experiment mit der Freiheit. Dass sich im Traum von der Gemeinschaft immer auch schon Ausgrenzung und Biedersinn spiegeln, davon erzählt „MyState“, eine der neueren Arbeiten des Theaterregisseurs Tomas Schweigen. Ein Theaterstück ist dieser Abend, aber auch eine kuriose Installation mit einem Sommerhaus, Einfriedung und echtem Rollrasen im Garten, in den sieben schlafverstrubbelte WG-Bewohner schlendern, eher mundfaule Typen, die in Unterwäsche und Bademantel auftauchen, aber ihre Kippen sozialfriedlich im Aschenbecher entsorgen.

Solche skurrilen Details lädt Tomas Schweigen geschickt mit allgemeinen Prinzipien von Territorialbildung auf. Aus dem Off erzählt eine Stimme von Staatsgründungen, Unabhängigkeit, Gebietshoheit. Auf der Bühne zeigen sich bald die Tücken der Souveranitätsgewinnung. Ein Fremder lugt über den Gartenzaun, das „Betreten verboten“-Schild wird aufgebaut, ein Wachposten bezieht den Liegestuhl. Bei aller Parodie, die unterschwellig auch betrieben wird, schafft der Abend ein weites Denkfeld, öffnet sich ganz zwingend der Kontext, dass in Mikrozellen die Strukturen herrschen, die auch größere gesellschaftliche Zusammenhänge bestimmen.

Es sind unerwartete Rahmen, die Tomas Schweigen, 1977 in Wien geboren, für seine Inszenierungen schafft. Kleine Kunstwelten, die etwas heilsam Skurriles haben, das den Gestus ernsthaften Aufklärungstheaters geschickt umgeht. „Second Life“ zum Beispiel spielte in einem nachgebauten Gemeindesaal, in dem fünf adrette Christen über Schöpfung und Ersatzleben in virtuellen Welten referieren und sich immer stärker in Widersprüche verstricken. Ihre Appelle werden fatalistischer, die Erlösungsversprechen lauter – und es sind auch hier wieder die Ähnlichkeiten zweier Kosmen, denen auf den Zahn gefühlt wird.

Unterhält man sich mit Tomas Schweigen, fällt oft der Begriff Ehrlichkeit. Wie andere jüngere Regisseure will der 34-Jährige keine Als-ob-Fiktion, die Schauspieler sollen nicht lügen, das Improvisieren darf spürbar bleiben. „Große Themen packen wir mit dem an, an das wir uns selbst andocken können. Wir würden nie behaupten, von einem Thema mehr Ahnung zu haben, als wir eigentlich haben.“

Die Arbeit im Kollektiv ist für Schweigen die grundlegende Basis. Zusammen mit der Schauspielerin Vera von Gunten hat er vor sieben Jahren in Zürich die Gruppe „Far A Day Cage“ gegründet. Die prägende Erfahrung war eine Reise zu fünft durch die USA, auf der man einen Zugang zum Odysseus-Stoff finden wollte und die Reiseerfahrungen dann in der Inszenierung in den Mittelpunkt gerückt hat.

Von ähnlichem Schliff ist die Filmvariante des „Paten“, die im vergangenen Jahr entstand. Macht man sich anfangs noch ein Vergnügen daraus, Marlon Brando nachzuspielen und sich mit künstlichen Hamsterbackenimplantaten auf Italogauner zu trimmen, vermischen sich die Verstrickungen des Mafiaclans bald mit denen einer heterogenen Schauspieltruppe. Wenn die Zuschauer an einen riesigen rot-karierten Familientisch umziehen und sich die Guckkastensituation auflöst, treten auch die Schauspieler aus ihren Rollen, kommentieren Handlung, Filmgeschehen, simulieren die Querelen der Dreharbeiten als Making-of und spielen mit Machtstrukturen, die sich ähnlich bei Francis Ford Coppola hinter der Kamera abgespielt haben.

Sich durch den „Paten“ zu arbeiten heißt für Schweigen vor allem, diese unteren, verborgenen Schichten von Machtspielen und Grundsatzstreit sichtbar zu machen.

In seinen ersten Arbeiten agierte Schweigen noch selbst mit auf der Bühne. In Wien hatte er nach dem Theaterwissenschaftsstudium eine Schauspielausbildung absolviert und war ein Jahr Schauspieler am Tiroler Landestheater. Regisseur wollte er dann aber dort werden, wo die Szene weniger hierarchisch ist und nicht alles im Schatten des dominanten Burgtheaters steht.

Das Prinzip der Enthierarchisierung hat er konsequent weiterbetrieben. In den alten Ordnungen von Stadttheater oder der freien Szene lässt er sich nicht unterbringen. „MyState“ zum Beispiel entstand im vergangenen Jahr am Stadttheater von Jena, gastierte dann an freien Produktionshäusern in Basel, Wien, Zürich und läuft nächste Woche am Hebbel am Ufer in Berlin. Seine Gruppe, die ihren Sitz in Zürich hat, erhält dort mittlerweile Basisförderung.

80 Minuten Metamorphose

Diese Mischung ermöglicht nicht nur finanzielle, sondern auch formale Spielräume. Die Komödie zum Beispiel galt in der freien Szene lange Zeit als wenig interessant. Dennoch inszenierte Tomas Schweigen diesen Monat als Abschiedsstück fürs Theaterhaus Jena, an dem sich im Sommer mit dem Intendantenwechsel die Konstellationen ändern, eine richtige Klippklapp-Komödie in einem Drehbühnen-Hotel. Wieder zwei Systeme: hier ein Stück mit 20 Rollen, da die Besetzung mit nur vier Schauspielern.

Das Ergebnis ist 80 Minuten Metamorphose: durch eine Tür als Hotelgast rein, durch die andere als Concièrge wieder raus. Jeder Kleiderwechsel ein Spiel mit dem Verschwinden. Alles bunt, frisch und fluffig inszeniert, und es sind wieder die Verschiebungen und Wendungen, die das Faszinosum ausmachen.

■ „Der Pate I–III“ läuft am Hebbel am Ufer Berlin vom 17. bis 20. März, „MyState“ vom 23. bis 25. März. „Hotel. make yourself at home“ am Theaterhaus Jena, 18./19. 3. und 8., 9., 13., 29. 4.