Das Theater von morgen

WETTBEWERB Zwischen Diskurstheater, Recherche und Geschichtenerzählen: Das 8. Körber Studio Junge Regie in Hamburg zeigte die Vorlieben des Theaterregienachwuchses

Der Nachwuchs wetteifert dem nach, was an den Stadttheatern bereits „State of the Art“ ist

VON BARBARA BEHRENDT

Wie sieht sich, wie versteht sich eigentlich ein junger Theaterregisseur? Die Antwort darauf konnte das 8. Körber Studio Junge Regie in Hamburg geben, das größte Schaulaufen des deutschen Regienachwuchses. Sechs Tage lang präsentierten am Thalia an der Gaußstraße elf deutschsprachige Regieschulen und eine Theaterschule aus Kopenhagen Arbeiten ihrer Studenten im Wettbewerb.

Bei etwa der Hälfte der zwölf Inszenierungen hätte man den Regisseur eher einen „Projektleiter“ nennen können, oft traf auch die Bezeichnung „Autor“ oder „Mitspieler“ zu. Es ist offenkundig: Der Nachwuchs wetteifert dem nach, was bei seinen Vorbildern an den Stadttheatern bereits „State of the Art“ ist. Alexander-Maximilian Giesches und Lea Letzels 30-minütige Performance ist das deutlichste Beispiel für die Auflösung der alten Spartengrenzen. Das verwundert nicht, studiert das Duo doch am Institut für Angewandte Theaterwissenschaften in Gießen – eine Schule, an der künstlerische Diskursfähigkeit schon Tradition hat.

„Record of Time“ ist eine Studie über die Wirkung von Video auf der Bühne. Ein Poster, Rosen in der Vase, ein Stuhl erscheinen sowohl als Projektion als auch real auf der Bühne. Giesche und Letzel stellen ohne Schauspieler und Text ein konzentriertes und komisches Verwechslungsspiel her, tragen die Dinge zwei- und dreidimensional hierhin und dorthin, knallen die Tür real und im Film. Ein philosophisches Kunststück mit Zeit und Körper, das der Preisjury letzten Endes zu absehbar erschien, das aber immerhin den erstmals verliehenen Preis der jungen Theaterkritiker erhielt, die das Festival journalistisch begleiten.

Die Theaterakademie Hamburg zeigte mit Gernot Grünewalds „Dreileben – ein Projekt übers Sterben“ eine individuelle Recherchearbeit. Der Regisseur hatte drei Schauspieler über Wochen hinweg jeweils einen Sterbenden besuchen lassen, mit dem sie über Leben und Tod sprechen sollten. Ein ebenso mutiger wie kluger Einfall: Nicht der Regisseur erklärt den Schauspielern die Figuren, sondern die Schauspieler werden zu Anwälten dieser Menschen. Sie entscheiden, von welchen Erlebnissen sie berichten möchten. Auf der Bühne geschieht das teilweise spontan: Aus mehreren Stunden ausgewählten Materials laufen zufällige Gesprächsfetzen auf den Kopfhörern der Schauspieler, die sie dann nacherzählen. Von einem großen Thema getrieben, weist ein Regisseur, bewegend, aber unaufgeregt, über das Theater und seine Formen hinaus. Zu Recht erhielt Grünewald dafür den Preis des Körber Studios: Dem Preisträger bringt er eine Regiearbeit an einem Theater plus 10.000 Euro Produktionskostenzuschuss ein.

Er befindet sich in guter Gesellschaft: Heute arrivierte Jungregisseure wie David Bösch, Heike M. Goetze und Julia Hölscher haben in früheren Jahren auch diesen Karriere-Booster erhalten. Anders als die Gießener war die Hamburger Inszenierung vom Impuls bestimmt, eine Geschichte zu erzählen. Ein elementares Bedürfnis, das sich auch unter den sieben Kandidaten mit klassischer Stückwahl wiederfand.

Dass sich die jungen Regisseure, abgesehen von den Brüdern Presnjakow, für keine jungen Stückeschreiber entschieden, ist bezeichnend. Euripides, Dostojewski und Schiller wurden bemüht, Tankred Dorsts Parzival-Bearbeitung hervorgeholt und Robert Schneiders „Schlafes Bruder“ für die Bühne adaptiert. Von jungen Stars wie Nis-Momme Stockmann, Philipp Löhle und Oliver Kluck – keine Spur. Auch hierin folgt der Nachwuchs leider seinen renommierten Vorbildern – viele dieser Regisseure setzen am liebsten auf eigene Projekte oder eben auf die großen, vertrauten Stoffe.

Noch jemand blieb bei diesem Festival unterrepräsentiert: das Publikum. Nur 20 Karten pro Vorstellung gingen in den freien Verkauf. „Das ist ein Problem, das wir fürs nächste Jahr lösen müssen“, sagt Verena Vollertsen von der Körber Stiftung, die gemeinsam mit der Uni Hamburg und dem Thalia Theater das Festival verantwortet. Man will zuerst allen Regiestudenten den Besuch der Aufführungen ermöglichen.

Der Blick des Talent-Scouts

Das Körber Studio versteht sich vor allem als Werkstatt und berufliche Kontaktbörse. Tagsüber diskutiert man über die eingeladenen Arbeiten, lernt unterschiedliche Regiestile kennen. Zudem sehen sich viele Dramaturgen und Intendanten beim Körber Studio nach Neuzugängen um. „Jeder hier schaut ein bisschen durch die Brille des Talent-Scouts“, formulierte es der Juror und Dramaturg Benjamin von Blomberg.

Dennoch wäre es für die Beteiligten sinnvoll, sie müssten ihr Talent auch einer größeren kritischen Öffentlichkeit präsentieren. Vielleicht ist es an der Zeit, einen anderen Ort für das „aus allen Nähten platzende“ Festival (so Thalia-Intendant Joachim Lux) zu suchen. Dann könnte man auch darüber nachdenken, wie man neben den Debütanten aus den Regieschulen noch Platz schafft für die jungen Autoren aus den Schreibschulen.