Auftakt zu Global Design: Kapitalismuskritik an Bord

Der Komponist Christian von Borries und die Kulturfabrik Kampnagel entführen ihr Publikum mit der Reihe Global Design in den Hamburger Freihafen.

Ein Medley aus der Gema-Top-Ten klassischer Musik eröffnet den ersten Satz des zweiten Abends. Bild: Ellen Coenders

Es stürmt und es ist bitterkalt - die Barkasse "Tokyo" hält auf die "MS Bleichen" zu, ein kleines Frachtschiff zwischen Container-Riesen im Hamburger Freihafen. Wellen brechen am rostigen Bauch des Schiffs. Für Hamburg gibt es Orkanwarnung.

Einen bewegten Abend hat sich der Komponist und Musiker Christian von Borries für den Auftakt zu Global Design gesucht. Nichts Geringeres als das Zusammenbrechen des kapitalistischen Marktes und die daraus resultierende Veränderung musikalischer Inhalte macht er zum Thema dieser Reihe aus Musik, Filmsequenzen und Vorträgen. Am Anfang steht nicht das Wort, sondern die Frage: Ist das Gespenst des Kapitals eine Erfindung des Westens.

Um global zu werden, führen die drei Abende auf dem Boot durch das westliche, arabische und chinesische kapitalistische System. "Durch die Gegenüberstellung geht es mir darum, konkrete Fragen zu entwickeln, eine Draufsicht zu erhalten", erklärt von Borries. "Wie läuft der Hase aus der anderen Perspektive?"

Zusammen mit der Kulturfabrik Kampnagel hat er hierfür einen exterritorialen Raum mitten im Freihafen, dem Hamburger Schoß des globalisierten Kapitals, erschaffen - ein "schwimmendes Bayreuth" auf der Elbe.

Musik und Kapital basieren beide auf Rhythmus, darum bringt von Borries zum Auftakt die Musik aus dem Takt und bricht mit klassischen Konventionen: Er lässt die Jungen Sinfoniker Hamburg ein Mashup aus "Star Wars", Mozarts "Entführung aus dem Serail", Michael Jacksons "World Song" und Hanns Eislers "Solidaritätslied" spielen - Sampling ist für ihn eine "uralte europäische Kulturpraxis", von Gema und Copyright beschnitten.

"Musikmissbrauch", ungewöhnlich bearbeitete, anders gebrauchte klassische Musik, zu schnell, zu langsam gespielt, ist ein Markenzeichen des ehemaligen Flötisten der Zürcher Oper. "Es soll kaputte, schlechte Musik sein - nicht einfach für die Musiker, die sich teils durch meine Interpretation vorgeführt fühlen."

Iranische und israelische Nationalhymne, synchron gespielt

Drei Akademiker - Joseph Vogl, Literaturwissenschaftler aus Berlin, Gian Trepp, Ökonom aus Zürich, und Wang Hui, Soziologe aus Peking - Letzterer wird bestürmt von Interviewanfragen über das Verbleiben des chinesischen Künstlers Ai Weiwei - bestreiten den theoretischen Teil der dreitägigen Reihe. Dabei sprechen die Referenten nicht nur andere Sprachen, sondern nutzen völlig verschiedene Formen der Narration. "Das ist erwünscht", erklärt von Borries, "vor allem Fragen sollen im Bauch des Schiffs auftauchen."

Am ersten Abend dominiert die Romantik: Das Verlesen der Auftragslage eines Hamburger Reeders - leider nicht voll ausgelastet - veranlasst Vogel, "von der Trauer des Kaufmanns" zu sprechen. Doch zurück zum Kapital: Ohne arabische Ziffern, erst seit dem 14. Jahrhundert in Europa gebräuchlich, sei der Kapitalismus in seiner heutigen Form gar nicht möglich gewesen, erklärt Gian Trepp. "Denn erst die Null machte das Minus möglich!" Ist der Kapitalismus am Ende keine Erfindung des Westens?

Auf der Leinwand zeigen Sequenzen aus von Borries Film "The Dubai in Me" die "neuen Leibeigenen", pakistanische und chinesische Arbeiter in Dubai, die die schöne, neue Welt erbauen. Das Orchester trägt dazu Blau- Schwarz- oder Graumann - als Symbol der dauerhaften temporären Beschäftigung, des hire and fire - "denn im Westen ist heute der Frack die Bekleidung der Bediensteten".

Ein Medley aus der Gema-Top-Ten klassischer Musik eröffnet den ersten Satz des zweiten Abends, "Peter und der Wolf", "Carmina Burana", "Sheherazade". Dann die iranische und israelische Nationalhymne, synchron gespielt - wir sind in der arabischen Welt angekommen. Neben den Monarchen herrscht hier ein anderer Kapitalismus: Durch die Scharia besitze die arabische Form eine Bremse, so Trepp. Eigentlich dürfe man keinen Gewinn machen, ohne etwas zu erschaffen - sind im Gegensatz zum Westen also Real- und Finanzwirtschaft recht und einig?

Aber die Krise verstärkte die Schwächen des Systems auch dort. Anders in China: In der "einzigen Republik, die auf den Zusatz 'demokratisch' im Namen verzichtet", betont von Borries, sei das Kapital warm eingepackt, "der Staatskapitalismus hat die Krise besser überlebt als alle anderen Wirtschaftssysteme" - darin ist man sich einig. Fast kritiklos wird darauf verwiesen, dass die Arbeiterrechte in China deutlich höher gehalten würden, als es zum Beispiel in Dubai der Fall sei - über die Verschleppung Ai Weiweis und anderer Kritiker in der Volksrepublik fällt kein Wort.

Die Musikauswahl des dritten Abends hingegen ist bewusst beliebig durch den Suchbegriff "classical chinese music" via Google bestimmt - diesmal ohne Urheberrechtsverletzungen, denn "Copyright ist eine westliche Erfindung", so Wang Hui, "Leistungsschutzrechte kennen wir in China nicht."

Vielleicht hat die westliche Kultur ihre Hochzeit hinter sich, und vielleicht hat so auch der Kapitalismus seinen Zenit überschritten - Global Design eröffnet keine neuen Horizonte, aber viele Fragen. Um Sturm und den einstelligen Temperaturen im Schiffsbauch zu trotzen, verteilt Kampnagel Ikea-Decken ans Publikum - die kapitalismuskritische Musikreihe wird erwärmt vom globalisierten Markt - Charles Ives "Unanswered Question" wäre ein passendes Finale.

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