Quetschkommodensound von Attwenger: Gstanzl-Figur mit Basstuba-Hookline

"Fank und Sool": Das österreichische Duo Attwenger macht seit 20 Jahren Mundart-Crossover. Mit Volksmusik oder Alpenpunk hat das wenig zu tun, eher mit Haltung.

Turbo-Polka-Ziehharmonikaschleifen: Attwenger in Aktion. Bild: robert newald

Mit dem Erfolg hat Hans-Peter Falkner seine Schwierigkeiten. Zumindest könnte man das glauben, wenn man den Österreicher kurz vor einem Auftritt erlebt. Vor dem Wiener Club Flex blickt Falkner, Akkordeonspieler und eine Hälfte des Duos Attwenger, hinunter in den trägen Donaukanal und murmelt: "Mir san beim iTunes Österreich die Nummer 1 beim Download." Kurzes Grinsen, dann wiegelt er ab: "Aber des hörn wahrscheinlich eh nur acht Leut."

Natürlich ist Falkner lang genug im Geschäft, um zu wissen, dass es wohl eher einige Hundert sind, die sich das neue Attwenger-Album "Flux" im Internet kauften. Und dass es Hunderte sein werden, die, wie zuvor in München, in den ausverkauften Club strömen werden. Attwenger sind schließlich nicht irgendwer in Wien – die Band aus Linz, die alpenländischen Quetschkommodensound, Elektronik und Sprechgesang vereint, besteht seit 20 Jahren und feierte bereits von Niederbayern bis Vietnam Live-Erfolge.

Trotzdem ist es für den massigen Hans-Peter Falkner und den schmächtigen Sänger und Schlagzeuger Markus Binder ein lieb gewordenes Ritual, beim Soundcheck Pessimismus zu verbreiten. "Der Delay geht eh nachher wieder ned", brummt Falkner und schraubt an seiner steirischen Midi-Knopfharmonika. "Jaja", antwortet Binder. Und schmeißt zum vierten Mal das ganze Set um, weil er findet, dass es noch "keinen rechten Flow" hat. Als alles sitzt, öffnet Falkner eine Flasche Wieselburger Bier und raunzt: "Kommen eh recht wenig nachher." "Ja, eh", antwortet Binder vergnügt.

Recht behalten die zwei nur in einem Punkt: Der Delay, der Schallverzögerer, fällt aus, gleich nach dem Opener muss sich Falkner fluchend über sein "Soundkastl" beugen. Trotzdem stellt sich der Attwengersche Flow schon nach wenigen Nummern ein. Markus Binder drischt aufs Schlagzeug und feuert seine Mundartlyrics über Hans-Peter Falkners Turbo-Polka-Ziehharmonikaschleifen: "rennt des ned permanent / des wos do rennt /waun des permanent rennt / weama permanent bled."

Hipstermädchen tanzen neben Freaks mit Kuhfellwesten

Die Halle ist voll, die Leute jubeln. Binder drischt und schwitzt. Falkner drückt und quetscht Polka-, Reggae-und Dubsounds aus seinem Gerät. Es wird ein großes Konzert – Maultrommelsoli und mantraartige Gesänge gehen nahtlos über in wüste Harmonika-Explosionen, die mehr mit Hardcore als mit Alpenmusik zu tun haben. "Brutal", sagt ein Mittzwanziger fassungslos zu seiner Freundin.

Wie der Attwenger-Sound passt auch das Konzertpublikum in keine Kategorie: Neben grauhaarigen Paaren sind Freaks mit Kuhfellwesten gekommen, Outdoorjacken- und Karohemdenträger, Hipstermädchen mit Segeltuchschuhen. Und Kinder. Es gibt Fans, die nach ihren Lieblingssongs rufen. Und viele, die kein Wort von den österreichischen Wortkaskaden verstehen, aber vom Attwengerschen Groove mitgerissen werden.

Groove, "Fank und Sool", kräftig dialektgefärbt, sind Markus Binders Lieblingswörter. Am Nachmittag nach dem Konzert sitzen er und Hans-Peter Falkner im Café des Leopold-Museums und versuchen zu erklären, worum es ihnen geht. "Wir sind nicht einfach eine Band, wir sind ein Work in Progress", sagt Binder. Man veröffentliche keine Platten, sondern den jeweils aktuellen Stand des Projekts – aber nur, wenn man finde, dass es Neues gebe.

Das ist der Grund, warum Attwenger in 20 Jahren nur sieben Studioalben veröffentlicht haben. Das aktuelle habe mehr Soul als die Vorgänger, findet Binder. Den "special soul of Attwenger" finden sie in Textzeilen, die Binder plötzlich in den Kopf springen. Oder in Kunstfiguren wie der "Foisnpoitner Ani", die wie der Bandname Attwenger aus der Gstanzl-Literatur kommt.

Attwenger haben der Ani einen Dada-Song gewidmet: "Kani is allani wia di Foisnpointner Ani / isst Pädasü vü aba kane Melanzane." Auf Hochdeutsch klänge der Text bescheuert: "Niemand ist so allein wie Anna Foisnpointner. Sie isst viel Petersilie, aber keine Auberginen."

Aber auf Österreichisch funktioniert es. Wie alles, was Attwenger macht, nur genau so funktioniert, wie sie es eben machen – was schwierig zu erklären ist. Die Presseberichte sowie die zwei Spielfilme über die Band kennzeichnet darum eine gewisse Ratlosigkeit. Schon 1995 äußerte der österreichische Publizist Wolfgang Kos den Verdacht, dass es sich bei Attwenger in Wahrheit um ein genau durchdachtes Designobjekt handele.

Bei aller barocken Spielfreude und dem Tongue-in-cheek-Schmäh der Texte steckt in dem Projekt ein hartes konzeptuelles Gerüst, das man beim Hören zu spüren meint. Falkner bestätigt dieses Gefühl: "Wir haben seit zwanzig Jahren eine Einigkeit, wohin man traditionelle Musik bewegen kann, die nur zwischen uns zwei mit unseren besonderen musikalischen Vorleben funktioniert."

Prägende Großväter

Beide Musiker wuchsen im dörflichen Oberösterreich mit traditionellen Klängen auf. Falkners Eltern sangen auf Hochzeiten Gstanzl – in Mundart gereimte Vier-oder Achtzeiler. Hans-Peter bekam mit sechs seine erste Ziehharmonika, verdiente durch Auftritte früh eigenes Geld. Dann kamen die Pubertät und Punk – "es war mein Opa, der mich bei der Stange hielt", erinnert sich Falkner. Der Großvater, dem Militärdienst in beiden Kriegen entwischt, wurde zum Vorbild des Jungen, der sich die Knopfharmonika und den musikalischen Erfahrungsschatz des Alten aneignete.

Auch Binder ist stark von seinem Großvater geprägt, der als Vorbeter die Trauerzüge hinter den Pferdeleichenwagen anführte und lange Rosenkranzlitaneien ins Mikrofon sang. "Das ist ein katholischer Sprechgesang mit Flow, der mir ewig im Kopf bleibt", sagt Binder.

Auch die Musik von Attwenger geht im Kopf ewig weiter, etwas unendlich Altes steckt darin. Aber eben auch viel Neues. Attwenger machen keine Volksmusik, auch keine "Volxmusik", die in den neunziger Jahren Interpreten wie Hubert von Goisern oder Haindling populär machten.

Dass man sie dennoch jahrelang unter "Alpenpunk" einordnete, ist für Attwenger ein "schlimmes Missverständnis". Tradition ist für Attwenger kein Versatzstück, das sie mit anderen Musikstilen kreuzen, sondern ein Urgrund für Experimente. "Wir haben Respekt vor dem traditionellen Material", betont Falkner. "Aber wir sind keine österreichische Band – wir behandeln den Dialekt wie eine Kunstsprache, mit der wir spielen." Verwandt fühlen sich die Wahl-Wiener weniger mit den alpenländischen Kollegen ihres Münchner Labels Trikont wie Hans Söllner oder La Brass Banda. Sondern mit den Pogues, den französischen Negresses Vertes oder dem weißrussischen Duo Gurzuf.

"Man merkt am Sound, welche Einstellung die Leute haben", sagt Binder. "Was uns anzieht, ist eine gewisse Räudigkeit und eine Intellektualität, die nicht vorn sitzt, sondern hintergründig präsent ist." Das riskante Betreten unentdeckten Terrains interessiere ihn "tausendmal mehr, als wenn irgendwelche Alpenländler versuchen, mehr Rums in ihre Polka zu bringen", brummt Falkner, der sich selbst als "Feind des Provinzkults" bezeichnet.

Der explizite Jörg-Haider-Protestsong "Kaklakariada" (Kein Kleinkarierter) vom Album "Sun" 2002, in dem sich "Kacke" auf "Landesflagge" reimt, blieb eine Ausnahme. Und der Groove darf nicht zum Selbstzweck werden. Schon gar nicht mache man für irgendwelche Parteien den "Unterhaltungsdepp".

Falkner erzählt die Anekdote, wie man auf einem Dorffest spielte und zu spät die SPÖ-Flagge auf der Bühne bemerkte. Attwenger riefen, zum Entsetzen der Veranstalter, das Publikum zum Herunterreißen der Flagge auf. "Wir spielen manchmal gegen uns selber", sagt Binder. "Wenn wir bestimmte Songs schon zu oft gespielt haben, fangen wir an, das Material zu zerstören und etwas Neues daraus zu bauen."

Trotz der Querköpfigkeit, die sie kultivieren, ist es nicht das Degegensein, was Attwenger antreibt. "Wir sind grundsätzlich für die Verbesserung des Lebens aller Menschen", sagt Markus Binder. Blöderweise komme immer wieder was dazwischen, Spießer, Fremdenfeinde, pädophile Pfarrer - alles Themen, die Attwenger in ihrem aktuellen Song "Mief" besingen.

Nöliger Kirchensprechgesang

"Der Mief ist ein globales Phänomen", sagt Binder und verfällt aus Versehen für einen Moment ins Hochdeutsche. "Ich beobachte eine schleichende Rückkehr von Ignoranz und von Religiosität in unsere vermeintlich offene Gesellschaft", sagt Binder. Ein Gefühl, das er in einen Gospelchor transferiert: "feel the mief" singen Frauen, dazu schickt Falkner Luft und E-Sounds durch seine Quetsche.

Attwenger sind immer dann am besten, wenn sie etwas tun, was nur sie können: Eine Gstanzl-Figur einpacken in eine Klangtextur aus Basstuba-Hookline, Knüppelschlagzeug und psychedelischen Midi-Harmonika-Flächen, über denen Markus Binders nöliger Kirchensprechgesang wabert: "jetzt oder nie is kane mehr alani aussa ani".

Man kann sich an dieser Musik auf mehreren Ebenen erfreuen – an ihrer Architektur, am Groove, an den Texten. Wie der ältere Mann, der beim Konzert im Flex ganze Textpassagen mitschrieb, "weil das Poesie ist". Dass die selbst von Querverweisen getränkte Musik Assoziationen in alle Richtungen zulässt, erhöht den Reiz des Attwengerschen Werks, von dem Markus Binder sagt: "Was es ist, weiß ich auch nicht so genau. Ich weiß nur, dass es sich ausgeht".

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