Man sieht sie oft durch Scheiben

ARGENTINISCHER FILM „Im Regen des Südens“ von Paula Hernández lässt sich Zeit mit seinen Figuren und wirft einige Fragen auf, ohne sie zu beantworten

Freitagnacht in Buenos Aires. Es regnet unaufhörlich. Die Autos stehen im Stau. In der Nähe gibt es eine Demonstration. Für oder gegen was, erfährt man nicht. Nur manchmal meint man Schüsse zu hören. Alma (Valeria Bertuccelli), die weibliche Heldin in dem tollen Film „Im Regen des Südens“, eine Frau Anfang 40, sitzt allein in ihrem Auto und wartet. Manchmal raucht sie Marlboros. In einem anderen Wagen küsst sich ein Liebespaar.

Einmal hält sie auch ein kleines Gingko-Bäumchen aus dem Fenster. Komisch, dass die Farben, vor allem Blau-, Grün- und Rottöne, so intensiv sind. Ein durchnässter Mann klopft ans Fenster; fragt, ob er ins Auto kommen darf. Er raucht Fortuna, wirkt gepflegt, Mitte vierzig. An der Hand ist er verletzt. Beide sitzen da und sprechen nicht viel. Er sagt, er heiße Roberto. Sie sagt, sie schreibe kleine Texte für Abreißkalender und Frauenzeitschriften. Ihm ist kalt. Sie gibt ihm einen peruanischen Pullover. Der Stau ist aus. Sie fährt ihn in die Stadt zu einem Hotel. Dann sieht man ihn in einem Krankenhaus, am Bett eines Komapatienten. Das ist sein Vater. Dann sieht man Roberto in der Wohnung seines sterbenden Vaters, die in drei Tagen leergeräumt werden muss. Nachdenklich steht er vor dem Badezimmerspiegel mit der Brille seines Vaters auf der Nase.

Langsam tastet sich der Film voran; Fragen werden kurz aufgeworfen – worum ging es bei der Demo; warum ist der Mann verletzt – ohne beantwortet zu werden. Die Kamera ist statisch; meist regnet es, manchmal fokussiert die Kamera einzelne Tropfen und lässt den Hintergrund verschwimmen. Die zwei Helden (die anderen sind weniger als Nebenfiguren) sieht man oft durch Scheiben oder Spiegel. Man lernt sie nur langsam kennen, kaum schneller, als sich Roberto und Alma kennen lernen, nachdem Alma ihren neuen Bekannten im Hotel aufsuchte.

Beide stehen an einem Wendepunkt: Roberto, ein gebürtiger Argentinier (wie Ernesto Alterio, der ihn spielt) lebt glücklich mit Frau und kleiner Tochter in Spanien. Er ist nach Buenos Aires gekommen, um den Vater, den er zuletzt vor 30 Jahren sah, zu beerdigen. Alma hat gerade ihren Mann verlassen; plötzlich hatte sie das Gefühl, nichts stimme mehr, und fährt seitdem ziellos durch die Gegend. In einem schlechten Film würden die beiden spätestens bei ihrer zweiten Begegnung im Bett landen. In „Im Regen des Südens“ bleibt vieles in der Schwebe. Die Stimmung ist ein bisschen wehmütig, schön, sehnsüchtig. Einmal, in einer der wenigen Szenen, in denen es nicht regnet, blickt Roberto hoch und sieht das Schild eines Geschäfts, auf dem „Zweifel“ steht. Einmal, gegen Ende des Films, sagt Alma: „Ich möchte schlafen, wenn du gehst.“

DETLEF KUHLBRODT

■ „Im Regen des Südens“. Regie: Paula Hernández. Mit Valeria Bertuccelli, Ernesto Alterio u. a. Argentinien 2008, 110 Min.