Kunstsammlungen Nordrhein-Westfalen: Wie an der Wursttheke

Die große Überblicksschau von Thomas Struths Fotografien in Düsseldorf zeigt dessen verhängnisvollen Drang nach Überwältigung durch Erhabenheit.

Darf es ein bisschen mehr sein? Bild: © Kunstsammlung NRW

Angeblich wollen in Cape Canaveral mehrere hunderttausend Leute live dabei sein, wenn dieser Tage die "Endeavour" und Ende Juni schließlich auch die "Atlantis" zu ihren Abschiedsflügen ins All geschickt werden. Wer eine Idee von diesem Spektakel bekommen will, muss aber nicht unbedingt bis Florida reisen. Gegenwärtig genügt eine Fahrt nach Düsseldorf.

Denn nach menschenleeren Straßenzügen und dem immergrünen Urwald, nach Besuchern im Museum und Gruppenporträts von Familien aus aller Welt haben es dem Düsseldorfer Fotografen Thomas Struth seit einiger Zeit technologische Dinosaurier wie die Space Shuttles der Nasa angetan. Erstaunlich nahe durfte der Fotograf diesen Riesenvögeln auf ihre kunststoffverkleidete Pelle rücken. Aus solch ungewohnter Perspektive nimmt sie sich wie die Haut einer urzeitlichen Echse aus.

Für die Besucher von Ausstellungen zeitgenössischer Fotografie scheint heutzutage eine Frage unausweichlich im Raum zu stehen - beinahe als sei man auf dem Wochenmarkt und an der Wursttheke: Darf es ein bisschen mehr sein? Bereits früh haben Thomas Struth und seine Düsseldorfer Fotografen-Kollegen auf das ganz große Format gesetzt - in vielfachem Sinn und mit einem wirklich staunenswerten internationalen Erfolg.

Länge und Breite dieser Fotografien müssen hier konsequent nach Metern gemessen werden. Das würde selbst dem flüchtigsten Besucher, der die Hallen des K20, dem Haupthaus der Kunstsammlung NRW, nur eilig durchquerte, gewiss in Erinnerung bleiben. Vielleicht nimmt dieser Besucher aber auch eine Frage mit, die sich in gleicher Weise aufdrängt: Was ist mit diesen wandgreifenden Gesten für das fotografische Bild eigentlich gewonnen?

Vordergründig ist die Antwort natürlich klar. Und auch in Düsseldorf wird sie über mehrere Säle hinweg gegeben: Die Fotografie zum riesigen Tableau zu vergrößern heißt, jeden Gebrauchskontext weit hinter sich zu lassen. Und unmissverständlich deutlich wird hierbei auch, dass Anschluss gesucht wird an Kunstmarkt wie Ausstellungsbetrieb, deren lukrative Versprechen bis vor wenigen Jahrzehnten beinahe exklusiv den Malerkollegen vorbehalten blieben. Struth selbst hat aus einem solchen Begehren auf Einlass nie ein großes Geheimnis gemacht, sind doch seine wohl schönsten Arbeiten die seit den späten 1980er Jahren entwickelten "Museum Photographs". Zwischen Paris und Chicago, Madrid und Wien werden hier faszinierende Innenansichten aus den bedeutendsten Museen der Welt gesammelt.

Soziologisch eindringlichster Blick

Spätestens aber seit der Prado im Jahr 2005 Struth als ersten Fotografen überhaupt zu einer Einzelausstellung in seine ehrwürdige Säle einlud, scheint die Frage nach den altmeisterlichen Qualitäten dieser Fotografien entschieden zu sein. Das Problem ist nur: Als Betrachter sieht man sich beinahe unvermeidlich zu jener andächtigen, ganz dem Bild ergebenen Haltung genötigt, die Struth selbst vielfach in seinen "Museum Photographs" variiert und die bereits Schopenhauer einmal überaus treffend mit einer Audienz bei einem Fürsten verglich. Gerade solcher Ehrfurcht aber sollte man sich unbedingt widersetzen, denn das Wichtigste an Struths Arbeiten geht in jener Überwältigung durch Erhabenheit verloren, die die Düsseldorfer Retrospektive in weiten Teilen auszuspielen versucht.

Struth verfügt, sieht man auf die Gesamtheit der Becher-Schüler, über den soziologisch eindringlichsten Blick. Unmittelbar augenfällig wird dies bereits anhand seiner frühen Straßenbilder aus den späten 1970er Jahren: Sie sind nicht allein Architekturfotografien in vollendeter Präzision.

Entfaltet werden in diesen Serien zugleich typologische Kommentare über das Leben an jenen Orten, an denen diese Aufnahmen entstanden; zuerst in Düsseldorf, später auch in Italien, Südamerika, Japan und in den Vereinigten Staaten. Es scheint, als wolle der Fotograf zwei Grundfragen der Soziologie aufgreifen: Wie leben wir? Wie wollen wir leben? Aus der Sicht des fotografischen Lokaltermins müssen diese Frage umformuliert werden: Wo leben wir? Welche Orte wollen wir für unser Leben einrichten?

Große Teile von Struths bisherigem Oeuvre lassen sich aus der Perspektive dieser beiden Fragen begreifen - als fortgesetzte Suche nach den Orten unseres Lebens. Und nicht die geringste Pointe ist es, dass viele der fotografisch gegebenen Antworten Struths in auffallender Weise sich selbst zwischen der intimen Vertrautheit einer Heimat und der gesichtslosen Anonymität eines Nicht-Ortes platzieren.

Umso bedauerlicher aber ist es, dass gerade solche Unterschiede im Großformat des Tableaus verwischt werden und in seiner pathetisch ausgreifenden Gestik verloren gehen. Auf ermüdende, da immer gleiche Weise wird hier das äußere Maß des Fotografischen so sehr gedehnt, dass sein inneres zuletzt überspannt ist. Gewiss leuchtet es ein, dass für die Fotografie eines Space Shuttles das größte Format gelegen kommt. Doch vielleicht lohnt es beim Blick auf diese Riesenfotografien eben doch, sich daran zu erinnern, dass diese Riesenvögel schon sehr bald unter den Augen von einigen hunderttausend Zuschauern zum letzten Mal abheben werden.

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