ALAIN BADIOUS NEUESTER FRANZÖSISCHER WEG, ÜBER DIE LIEBE ZU REFLEKTIEREN
: Die Ekstase der Begegnung

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VON ARAM LINTZEL

Während meines Studiums Anfang der neunziger Jahre gab es zwei Wege, über die Liebe zu reflektieren: den französischen oder den westfälischen, mit Roland Barthes (Paris) oder mit Niklas Luhmann (Bielefeld), theoriepoetisch oder systemtheoretisch. Barthes’ „Fragmente einer Sprache der Liebe“ und Luhmanns „Liebe als Passion“ taugten als Zitatquellen, wenn es etwa darum ging, entsprechende soziale Szenarios mit Theorie-Atmosphäre auszustatten. Während die Luhmann-Zitierer aber eine coole Beobachterdistanz dokumentieren wollten (Liebe ist ein Kommunikationscode!), ging es den Barthes-Adepten darum, die Intensität ihrer leidenschaftlichen Verstrickung aufzuarbeiten (Liebe ist Bejahung!). Nachträglich wäre es interessant, zu wissen, was für Studentenlieben aus diesen beiden unvereinbaren Schulen hervorgegangen sind.

Längst ist diese Konfrontation in Vergessenheit geraten, nicht zuletzt, weil im Theoriebetrieb der nüchterne-sachliche Blick auf die Liebe triumphiert hat: Eva Illouz’ soziologische Analysen zum „Konsum der Romantik“ kamen ebenso ohne Poesie und Pathos aus wie Harry G. Frankfurts analytisches Philosophieren über die „Gründe der Liebe“. Von der Lebenskunst-Ratgeberphilosophie eines Wilhelm Schmid ganz zu schweigen.

Aber nun schlägt Paris doch noch zurück, und zwar in Person von Alain Badiou. Soeben wurde sein Theorie-Bestseller „Éloge de l’amour“ unter dem Titel „Lob der Liebe“ ins Deutsche übersetzt. In dem schön zu lesenden Gespräch mit Nicolas Truong geht Badiou ähnlich wie seinerzeit Barthes davon aus, dass die Liebe bedroht ist, einerseits vom Egoismus, andererseits von einem Sicherheitsdenken, das sich in Partnersuchprogrammen zeige. Gegen diese doppelte Bedrohung setzt Badiou sein philosophisches Konzept des Ereignisses: „Die Liebe beginnt immer mit einer Begegnung. Und dieser Begegnung verleihe ich in gewisser Weise den metaphysischen Status eines Ereignisses, das heißt, den Status von etwas, das nicht ins unmittelbare Gesetz der Dinge hineinpasst.“

Badiou interessiert sich wie einst Barthes für die „Ekstase der Begegnung“, aber auch für das, was aus ihr auf lange Sicht folgt. Seine zentrale Frage ist: Wie treu sind wir dem Ereignis gegenüber? Liebe beginne zwar immer „mit der absoluten Kontingenz und dem absoluten Zufall der Begegnung“, doch dieser Zufall müsse „zu einem bestimmten Zeitpunkt fixiert werden“. Es zeige sich so, dass im Ereignis der Liebe eine universelle Wahrheit schlummere, Badiou sagt: „Ein scheinbar unbedeutendes Ereignis, das jedoch in Wirklichkeit ein radikales Ereignis des mikroskopischen Lebens ist, trägt in seiner Hartnäckigkeit und in seiner Dauer eine universelle Bedeutung in sich.“

Der Kommunist Badiou erkennt darin so etwas wie ein gesellschafts- und kapitalismuskritisches Potenzial, denn Liebe sei der Gegenbeweis zur neoliberalen Egoismus-Unterstellung und aufgrund ihres Ereignischarakters „subversiv und dem Gesetz fremd“. Doch obwohl Badious amouröser Universalismus der Liebe eine kritische Aufgabe mitgibt, politisiert er sie keineswegs komplett durch, sondern gesteht ihr eine relative Autonomie zu. In seiner Ereignistheorie bleibt ein Rest, der nicht im Politischen oder Sozialen aufgeht. Zweisamkeitszweifler dürften allerdings monieren, dass Badiou von der „Bühne der zwei“ redet und die stabile und „fixierte“ Paarbeziehung als Liebesinstitution privilegiert. Hätte man diesen Neokonservatismus von einem Neokommunisten erwartet?

Daneben geht angesichts Badious liberaler Trennung zwischen privatem Liebesraum und öffentlichen Angelegenheiten jedoch ein Angriff des geschätzten Kollegen Micha Brumlik. Vor einiger Zeit bezeichnete Brumlik an dieser Stelle Alain Badiou als den „totalitärsten und menschenfeindlichsten Philosophen, der derzeit wirkt“. Wer Badious intellektuell überaus zärtliches Buch liest, fragt sich, was Brumlik gemeint haben könnte. Etwa den oft wohlfeil angefeindeten Lebensstil-„Totalitarismus“ der jungen Eltern aus den Prenzlauer Bergen der Republik? Denn wenn man so will, liefert Badious „Lob der Liebe“ denen einen Überbau, die die Neue Bürgerlichkeit wie die Vorbotin eines „minimalen Kommunismus“ – so Badiou über die Liebe – aussehen lassen könnten.

■ Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Grünen-Bundestagsfraktion und freier Publizist in Berlin