Der Meister der Gänsehautmusik

LEGENDE Als Kind floh er vor den Nazis, seit den Neunzigern lebt er wieder in seiner Geburtsstadt Berlin: Bob Rutman, Künstler und Erfinder des „Steel Cello“, wird achtzig

Das Steel Cello, das es bis ins Museum of Modern Art schaffte, und die Bow Chime sind Rutmans Lebenswerk

VON TIM CASPAR BOEHME

Er macht immer noch Musik. Gerade erst ist ein neues Album von Rutman’s Steel Cello Ensemble erschienen. Bob Rutman spielt darauf die von ihm selbst entwickelten Instrumente, mit denen der Musiker und Künstler bekannt geworden ist – das Steel Cello und die Bow Chime. Zwei Instrumente, mit denen er Töne zwischen Flugzeuglärm und Fabrikmaschinen erzeugt und denen er seinen Status als Underground-Ikone verdankt. Wenn er morgen seinen 80. Geburtstag im 3 Schwestern in Kreuzberg feiert, wird er ebenfalls spielen.

Nach zwei Schlaganfällen, die ihre Spuren hinterlassen haben, ist das nicht eben selbstverständlich. Rutman entschuldigt sich denn auch gelegentlich im Gespräch, wenn er mitten im Erzählen den Faden verloren hat. Dabei kann er sich noch an eine ganze Menge aus seinem, gelinde gesagt, bewegten Leben erinnern. Zum Beispiel wie er 1938 als Kind jüdischer Eltern aus seiner Geburtsstadt Berlin mit dem Zug nach Warschau vor den Nazis floh. „Wenn die Gestapo kam, habe ich immer ‚Heil Hitler‘ gesagt, und die haben geglaubt, ich bin ein guter Nazi.“ Oder wie er nach einigen Monaten in Polen mit seiner Mutter den letzten Zug aus Warschau nach Lettland nahm. Und über Finnland und Schweden eine Woche vor Kriegsbeginn mit ihr in England ankam.

Er weiß auch noch sehr gut, was für Stationen folgten. Denn bis Rutman schließlich wieder sesshaft wurde, sollte es einige Jahrzehnte dauern. Nach seiner Schulzeit in England ging er 1950 erst einmal in die USA, wurde prompt zum Militärdienst eingezogen und kam als Übersetzer nach Heilbronn. „Damals war gerade der Korea-Krieg. Ich habe mich als Übersetzer hineingeschummelt, damit sie mich nach Deutschland statt nach Korea schicken.“

In dieser Zeit entschied er sich, Künstler zu werden. Das Malen brachte er sich während einer längeren Phase im Krankenhaus bei, wo er eine Verletzung auskurierte. Ein Mitpatient war zufällig Künstler und zeigte ihm seine eigenen Bilder, die Rutman dann kopierte.

In Mexiko studierte Rutman Kunst, zog weiter nach New York, eröffnete dort in den Sechzigern eine Galerie und baute den Prototyp seines Steel Cellos. Wie er einräumt, kam die Idee für das meterhohe Stahlsegel ursprünglich von der amerikanischen New-Age-Komponistin Constance Demby. „Ich habe ihre Ideen weiterentwickelt, so dass daraus richtige Instrumente wurden, bei denen man die Töne stimmen konnte.“ Er entwickelte noch weitere Geräuschinstrumente wie die Buzz Chime und das Styrophone. Letzteres besteht zu wesentlichen Teilen aus Styropor, das gestrichen wird. „Gänsehautmusik“, wie er es nennt.

Das Steel Cello, das es bis ins Museum of Modern Art schaffte, und die Bow Chime wurden zu Rutmans Lebenswerk, er spielte die Instrumente auf Festivals in Nordamerika und Europa, ging in den Neunzigern mit den Einstürzenden Neubauten auf Tournee. „Ich bekam bessere Besprechungen als sie“, freut er sich noch heute. Rutman war zudem an diversen Theaterprojekten beteiligt, die ihn unter anderem mit Merce Cunningham, Robert Wilson oder Peter Sellars zusammenbrachten. Regisseur Wim Wenders holte ihn für seinen Film „In weiter Ferne, so nah!“ hinzu. Anders als bei den Einstürzenden Neubauten etwa hat Rutman, der um klare Worte nicht verlegen ist, zu Wenders noch heute guten Kontakt. „Er war ein sehr sympathischer Mensch, kein Stress.“

Stress hatte Rutman dafür oft genug. Seine Galerie in New York musste er nach einigen Jahren schließen, weil er praktisch nichts verkaufte. Die Ausstellungen müssen recht wüst gewesen sein, Rutman erinnert sich unter anderem an zwei Hühner, bei denen der Kopf des einen im After des anderen steckte. Die Dokumentation bewahrte er stets auf, nahm sie mit nach Maine, wo er in einer Hippie-Kommune lebte, oder Boston, seine letzte Station in den USA. Zu Beginn der Neunziger kehrte er nach Berlin zurück. „Ich zog zu einem Freund in die Wohnung, gab ihm monatlich 300 DM. Doch er zahlte die Miete nicht, und wir wurden irgendwann rausgeworfen. Es klopfte an der Tür, ich öffnete, und drei Polizistinnen und ein Polizist standen draußen. Und ich war splitternackt! Sie haben dann die Wohnung geräumt.“ Die Dokumentationsmappe seiner New Yorker Galerie konnte er später nicht mehr finden.

Rutman erzählt solche Erlebnisse mit einer Mischung aus Humor und Gelassenheit. Er blickt einen mit großen, klaren Augen an, die zu lächeln scheinen – aus einem Gesicht, in das zahllose Falten ihr Geflecht gezeichnet haben. Eine gewisse Verbitterung ist ihm, der nie den ganz großen Durchbruch mit seiner Arbeit hatte, durchaus anzumerken. Zugleich spricht aus ihm der Stolz eines Künstlers, der sich in seinem Werk nie angepasst hat und es trotzdem irgendwie geschafft hat.

■ Rutman’s Steel Cello Ensemble: „Feat. Ginsberg, Hentz & Irmler“ (Klangbad/Broken Silence); live: 15. 5., 20 Uhr, 3 Schwestern