Bilder des Kriegs gegen den Terror: Die Gespenster der Vergangenheit

Der US-Kunsthistoriker W. J. T. Mitchell sprach im Berliner Hebbel am Ufer über das "historisch Unheimliche" in den Bildern des Kriegs gegen den Terror.

Die medial zur Ikone gewordene Zerstörung der Türme des World Trade Center: ein Paradefall für Wiederholung. Bild: dpa

Auch dieses Bild durfte nicht fehlen: der "Situation Room" des Weißen Hauses, in dem Barack Obama mit Hilary Clinton und weiteren Mitarbeitern zu sehen ist, wie sie den Einsatz der Navy Seals gegen Osama bin Laden verfolgen.

W. J. T. Mitchell, Professor für Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft an der University of Chicago und einer der führenden Bildwissenschaftler, hatte soeben seinen am Mittwoch am Berliner Hebbel am Ufer (HAU) gehaltenen Vortrag über das "historisch Unheimliche" beendet und die Diskussion eröffnen lassen, als eine Zuhörerin nach dem Bild fragte, das wie kein anderes zur Ikone für die Tötung bin Ladens wurde.

Alltäglich und informell wirke das Bild, so Mitchell, der das Foto prompt an die Wand projizierte, gar nicht wie ein historisches Gemälde, obwohl die Abgebildeten seiner Ansicht nach wussten, dass sie zum Zeitpunkt der Aufnahme inmitten des historisch Unheimlichen waren. Ein seltsames Foto sei es obendrein, des "abwesenden Bildes" wegen, auf das es verweise. Wenig überraschend hätten viele Betrachter den Wunsch geäußert: "Wir wollen sehen, was sie anschauen."

Dies war lediglich ein weiterer aktueller Beleg für die zentrale Idee Mitchells. In seinen Ausführungen ging es ihm nämlich um den Versuch, den literaturwissenschaftlich-psychoanalytischen Begriff des Unheimlichen, also eine Kategorie aus dem Reich des Fantastischen, auf das faktenbasierte Gebiet der Geschichte zu übertragen. Kulturell gehört dies längst zur Alltagspraxis, spricht man doch in Verbindung mit Ereignissen wie der Französischen Revolution ganz selbstverständlich von den Gespenstern der Vergangenheit. Historiker jedoch täten sich schwer mit einer Kategorie wie Fantasie. Dabei würden sie in ihrer Arbeit von einem zentralen Aspekt des Unheimlichen geleitet, wie der Psychoanalytiker Sigmund Freud es verstand: von der Angst vor Wiederholung.

Die Zerstörung der Türme des World Trade Center - ein "Déjà-vu in Echtzeit

Das Lernen aus der Geschichte, so Mitchell, sei nichts anderes als eine Strategie, das Unheimliche abzuwehren, um die Wiederholung - von historischen Katastrophen - zu vermeiden. Mitchell konzentrierte sich in seinen Beispielen denn auch - im Anschluss an Freud - auf Phänomene des Unheimlichen wie Wiederholung oder Doppelgängertum beziehungsweise "Klone", so Mitchells Bezeichnung.

Die medial zur Ikone gewordene Zerstörung der Türme des World Trade Center etwa sei ein Paradefall für Wiederholung: Zwischen den beiden Flugzeugeinschlägen lagen gerade einmal 18 Minuten, ein "Déjà-vu in Echtzeit". Im Bild des "Kapuzenmanns" von Abu Ghraib hingegen erkannte Mitchell einen "unheimlichen Klon". Seit die von US-Soldaten gemachten Fotos mit gefolterten Gefangenen um die Welt zirkuliert sind, verbindet man den Irakkrieg fast automatisch mit diesen Bildern. Insbesondere mit dem Mann, der mit bedecktem Kopf auf einer Kiste steht, die Arme leicht angewinkelt und in den Händen ein Stromkabel.

Dieser Mann tauchte später, oft nur als Silhouette, in den unterschiedlichsten Kontexten auf, unter anderem an einer Autobahnbrücke, zusammen mit dem Satz "The war is over". Das Bild, so Mitchell, bringe die Niederlage der USA im Irakkrieg auf den Punkt: Nachdem sich herausgestellt hatte, dass es im Irak keine Massenvernichtungswaffen gab, sei der Einsatz nur noch ein "moralischer Kreuzzug" gewesen, dem mit der Veröffentlichung der Bilder die Grundlage entzogen wurde.

Vom Kapuzenmann entstanden zahlreiche Klone. Der Künstler Paul McCarthy nannte eine von dem Bild inspirierte Arbeit sogar explizit "Clone". In Massenproduktion erschien schließlich das "iRaq"-Logo, ein schwarzer Kapuzenmann mit weißem Kabel in der Hand vor knallig monochromem Hintergrund - eine irritierend effektive Aneignung von Apples iPod-Reklame.

Das Entscheidende am Tod bin Ladens: Dass sein Gesicht "ausgelöscht" wurde

Das vielleicht unheimlichste Beispiel Mitchells war das jüngste Titelbild des Magazins The New Yorker. "Rubbed Out", eine Zeichnung des türkischen Karikaturisten Gürbüz Dogan Eksioglu, zeigt Osama bin Laden mit buchstäblich ausradiertem Gesicht. Tatsächlich sei das Entscheidende am Tod bin Ladens gewesen, dass sein Gesicht "ausgelöscht" wurde.

Zwar bedeute das Verschwinden seines Gesichts nicht das Ende von Osama bin Ladens Bewegung oder dessen, wofür er stand - es steht sogar zu befürchten, dass sein Tod neue Terror-Klone hervorbringt -, aber die arabische Rebellion mit ihrer Demokratiebewegung habe insgesamt deutlich gemacht, dass bin Laden in der arabischen Welt keine wesentliche Rolle mehr gespielt hat.

Mitchell gab sich abschließend vorsichtig optimistisch, der Tod bin Ladens eröffne womöglich die Perspektive, dass man mit dem Krieg gegen den Terror endlich aufhören könne, er mithin Geschichte sei. Dabei müsste der auch historisch gut bewanderte Kunstwissenschaftler nur zu gut wissen: Vor Wiederholung schützt das nicht.

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