ZWISCHEN DEN RILLEN
: Näher am Wesen des Songs

The Sea and Cake: „The Moonlight Butterfly“ (Thrill Jockey/ Rough Trade)

Einige tausend Kilometer südlich von Chicago ereignete sich Ende der Fünfziger etwas, das für Sam Prekop eine gewisse Bedeutung haben sollte. Der brasilianische Musiker João Gilberto stahl sich aus Rio de Janeiro davon und flüchtete an den kleinen Ort Diamantina im Bundesstaat Minas Gerais in die Arme der Verwandtschaft.

Der Sänger hoffte abseits der Metropole seinen musikalischen Visionen näher zu kommen und schloss sich ins Badezimmer ein, um Gitarre zu spielen und die Kachelwände anzusingen. Als er schließlich wieder in die Welt hinaustrat, hatte er ihr ein Geschenk zu machen: die Bossa Nova. Gilbertos Stimme ist im Lauf der Badezimmer-Emigration immer sanfter und ätherischer geworden, das reine Sehnen. Wann immer Sam Prekop nach den wichtigsten Alben seines Lebens gefragt wird, nennt er das sogenannte Weiße Album von João Gilberto aus dem Jahr 1973. Hier vermischen sich Melancholie, Schlichtheit, Sanftmut, Intensität, Virtuosität und Rhythmus aufs Innigste.

Wer genau lauscht, findet in Sam Prekops Gesang genau jene Elemente wieder – man hört in ihr nicht nur die effeminierte Kopfstimme der Soulsänger aus den Sechzigern und Siebzigern, sondern eben auch die zur Stille strebende Stimme João Gilbertos. Sam Prekop, Musiker und bildender Künstler aus Chicago, machte Anfang der Neunziger erstmals mit der Band Shrimp Boat von sich reden, aus deren Konkursmasse 1993 The Sea and Cake entstand.

Fast zwei Jahrzehnte später erscheint das neunte Album der Gruppe, der neben Prekop noch Archer Prewitt an der Gitarre, Eric Claridge am Bass und John McEntire am Schlagzeug angehören. Wie auf den acht Alben zuvor geht es auf „The Moonlight Butterfly“ nicht um radikale Brüche, sondern um das Fortschreiben bereits entwickelter musikalischer Formen, um Vertiefung, um den Versuch, noch ein bisschen weiter zum Wesen eines Songs vorzudringen.

Der Drive von The Sea and Cake wird mit solcher Behutsamkeit entwickelt, dass man gar nicht merkt, wie sehr einen der Sound mitreißt. Sam Prekop schreibt dabei seit Beginn an ein und demselben Stück: ein dahingleitender, feingliedriger Song, hingehaucht, verhuscht, federnd. Manchmal ist einem das Englisch, das Prekop singt, so fremd wie das brasilianische Portugiesisch von João Gilberto.

Es geht um Klang, und der Klang erzeugt eine aus dem Gefühl geborene Bedeutung. Zu diesen sofort identifizierbaren Soundbildern gehören die meist auf den hohen Saiten gespielten Gitarrenriffs von Prekop und Prewitt, die sich umgarnen, umschmeicheln, während Claridges Bass im Hintergrund sonore, elegante Linien formt, die mehr melodischen als rhythmischen Charakter haben. Nur John McEntire erscheint mit seinem straighten Beat weniger sophisticated, als müsste es wenigstens ein stabiles Fundament für diese ansonsten leichthin davonschwebenden Klänge geben.

Dass es dennoch Verschiebungen im dichten Soundgewebe von The Sea and Cake gibt, davon zeugt auf dem neuen Album am ehesten der Synthesizer-Titel-Song „The Moonlight Butterfly“, der an das letzte Soloalbum Prekops erinnert. Er wirkt zunächst wie ein Fremdkörper, gibt dem Album aber Struktur und konturiert die Machart der anderen Songs eher, als dass es sie konterkariert.

Der Synthesizer bildet auch das Gerüst für „Inn Keeping“, ein langer, über einem pulsierenden Motiv gebauter Song, der diskret an Krautrock andockt und diese zurückgelehnte Entspanntheit transportiert, die The Sea and Cake zur spektakulärsten unspektakulären Band des Universums macht.

Einziges Manko des neuen Albums – es ist zu kurz. Dadurch erschwert „The Moonlight Butterfly“, was es verspricht: absolute Kontemplation. ULRICH RÜDENAUER