ZWISCHEN DEN RILLEN
: Der Glühwürmchentanz

Vetiver: „The Errant Charm“ (Bella Union/ Cooperative Music)

Die Musik von Vetiver ist so freundlich wie ein Sommerurlaub und so nostalgisch

Das US-Quintett Vetiver um den Singer-Songwriter Andy Cabic macht kein Geheimnis aus seiner schwelgerischen Veranlagung. Wer bei honigsüßen Melodien und sehnsuchtsvoll ergriffenen Lyrics das Weite sucht, wird auch kaum auf die Idee kommen, ein Album mit bezeichnenden Songtiteln wie „Fog Emotion“, „Faint Praise“ oder „Soft Glass“ zu kaufen, zumal sich auf dem Albumcover eine von warmen Farben schwangere Welle kräuselt. All jenen, die gern auch mal ein in Wehmut getauchtes Gefühlsbad nehmen, eröffnet sich auf „The Errant Charm“ dagegen die ganze wunderbare Bandbreite von emotionalem Songwriting ohne Schmachtfetzengefahr.

Mit dem Begriff „New Weird America“ werden US-Musiker wie Devendra Banhart, Joanna Newsom oder eben auch Vetiver bezeichnet. Wobei Vetiver im Vergleich zu ihren bunt schillernden Freak-Folk-Kollegen ungleich bodenständiger wirken. Andy Cabic, der nach Stationen in Virginia und North Carolina nun in San Francisco ansässig ist, hat bereits mit Banhart zusammengearbeitet. Anders als der exzentrische Banhart, der ob seiner wallenden Haarpracht und seiner körperlichen Freizügigkeit als Neohippie bezeichnet wird, inszeniert sich Cabic mit Vollbart, Hut und Holzfällerhemd traditionell folky. Trotzdem verbindet die beiden Musiker auch die Gründung eines Labels, das den lautmalerischen Namen Gnomonsong trägt.

Die Folkmusik dieses „neuen seltsamen Nordamerika“ zeigt sich beschwingt, rhythmuslastig, ja bisweilen tanzbar. Das trifft nicht nur auf das rotzig aus der Hüfte geschossene Sounduniversum von Devendra Banhart zu, dem selbst das ironische Augenzwinkern der Postmoderne nicht fremd ist, sondern auch auf das feingliedrige, stets getragene und ironiefreie Werk von Vetiver. „Can’t you tell“ aus dem neuen Album „The Errant Charm“ ist so ein Glanzstück, bei dem Keyboard-Beats, Marracas-Percussion und Andy Cabics sonorgeölte Stimme einen Glühwürmchentanz im Lampionlicht heraufbeschwören. Überhaupt zählen jene Momente des Albums zu den besten, wo die Atmosphäre einer Jamsession für die Zuhörer greifbar wird. „It’s Beyond Me“ oder „Soft Glass“ sind weitere eingängige Songs, und es bedarf nun nicht mehr besonders viel Fantasie, um sich beim Zuhören bald genüsslich im Takt wippend in einem Schaukelstuhl auf einer ausladenden Veranda mit Blick auf die Bay Area zu sehen.

Ausbrüche aus der unverfänglichen Sanftheit in Richtung Rockgestus wie bei der Nummer „Ride Ride Ride“ oder dem etwas zu pathetisch geratenem Liebeslied „Right Away“ fallen hingegen weniger überzeugend aus. Unschwer zu erraten also auch das zentrale Thema der Songtexte: Liebe und die Rätsel, die sie aufgibt; nichts also, was es nicht auch in einem Groschenroman geben könnte.

Andy Cabic ist kein großer Geschichtenerzähler, vielmehr liegt ihm daran, Stimmungen zu vermitteln. Immerhin versteht die Band ihr Handwerk so gut, dass Andy Cabic selbst nach romantischem Gitarrengezupfe auf der Nummer „Right Away“ einen einlullenden Zwiegesang („I wonder if we had anything at all“) anstimmen kann, der von den Backgroundsängern mit „Your face was all I saw“ besäuselt wird, ohne sich bei diesem Sommerromanzenmelodram die Blöße zu geben. Die Musik von Vetiver ist so freundlich wie ein Sommerurlaub und so nostalgisch, als ob man sein Ende schon im Nacken sitzen spürt.

SARAH-ANTONIA BRUGNER

■  Vetiver live, 16. Juni, Berlin, „Postbahnhof“