Nachruf Jelena Bonner: Die Frau mit den eisernen Nerven

Selbst die Verbannung konnte ihren Widerstand nie brechen: Jelena Bonner wuchs im berüchtigten Moskauer Hotel Lux auf und bildete mit ihrem Mann ein Dissidententeam.

Jelena Bonner, 2008 im EU-Parlament bei der Entgegennahme des Sacharow-Preises für geistige Freiheit. Bild: reuters

Es war wenige Tage nach dem Augustputsch 1991. Der Versuch, die Sowjetunion als Einparteienstaat wiederherzustellen, war am Widerstand der MoskauerInnen kläglich gescheitert. Hinter dem Weißen Haus am Moskwa-Ufer versammelten sich BürgerInnen und oppositionelle PolitikerInnen zu einer Gedenkstunde für die Opfer.

Die Witwe des Bürgerrechtlers Andrej Dmitrijewitsch Sacharow, die Dissidentin Jelena Georgijewna Bonner, betrat die Bühne für eine der kürzesten Reden. Sie erinnerte darin an ein Gespräch, das sie am Ende der Verbannung des Ehepaares in die Stadt Gorki (Nischni Nowgorod, von 1980 bis 1984) mit einem KGB-Offizier geführt hatte.

Der bezeichnete sie und Sacharow als besondere Persönlichkeiten - im Gegensatz zu dem "Nutzvieh", mit dem er gewöhnlich zu tun habe. "Und das ist es, was wir alle für die da oben in dieser Partei und in diesem Staat gewesen sind", schloss sie unter tosendem Beifall: "bloß Nutzvieh!"

Jelena Bonner verstand es, eine Sache volkstümlich auf den Punkt zu bringen. Am Sonnabend ist sie im Alter von 88 Jahren zu Hause in Boston gestorben. Sie war schwer herzkrank und fast blind. Als Realistin erkannte sie den Zeitpunkt, an dem sie nicht mehr für sich selbst sorgen konnte, und zog zu ihren beiden Kindern aus erster Ehe, Tatjana und Alexej, in die USA. Ihre Urne soll auf dem Wostrjakowski-Friedhof in Moskau im Grab Andrej Sacharows beigesetzt werden.

Mit ihrer Mutter, der Jüdin und überzeugten Kommunistin Ruth Bonner, wuchs sie zuerst im berüchtigten Moskauer Hotel Lux auf, später in Leningrad (Sankt Petersburg). Ihr Stiefvater, Armenier wie auch Jelenas leiblicher Vater, wurde im Terrorjahr 1938 hingerichtet, die Mutter selbst verschwand für Jahre im Gulag. Der Oberschülerin blieb die Großmutter. Schon früh pflegte diese sie mit in die Oper zu nehmen. Die Pracht dort sog sie als Kind begierig auf. Sonst gab es davon damals wenig in ihrem Leben.

"Ich bekam keine hübschen Kleider und wurde ausgeschimpft, wenn ich mal vor dem Spiegel stand", erinnerte sie sich: "Das war der Geist der Zeit: ich sollte nicht eitel werden, sondern eine tüchtige Genossin."

Trotzt schwacher Sehkraft verblüffte sie noch im Alter Besucher mit den riesigen Facettenaugen einer Libelle. Die angehende Kinderärztin muss es nicht leicht gehabt haben, als sie freiwillig als Krankenschwester in den Zweiten Weltkrieg zog. Die Frauen in der sowjetischen Armee wurden von ihren Kameraden regelmäßig belästigt. Auf die Frage, wie sie sich dagegen zur Wehr gesetzt habe, antwortete sie lakonisch: "Mit den Händen!" Jelena Bonner war hochgewachsen und stark.

Eiserne Nerven bewies sie während der Verbannung. Sie und Sacharow waren sich 1970 in einer Dissidentengruppe beim Packen von Paketen für Lagerhäftlinge näher gekommen. Es war für beide ein großes Glück. In Gorki verfügten sie nicht über die geringste Privatsphäre und waren kleinlichsten Repressalien ausgesetzt. "Einmal bekamen wir einen dicken Umschlag mit der Post", erinnerte sie sich, "als wir ihn öffneten, rasten in alle Richtungen dicke Küchenschaben heraus."

Nein, sie ist nicht Andrej Sacharows Sekretärin, Chauffeurin und Köchin gewesen. Die beiden waren ein Team. Aber Autofahren war nun einmal Jelenas Hobby Nummer eins. Ebenso radikal in der Analyse von Sachverhalten wie ihr Mann, unterschied sie sich von ihm durch einen Mangel an Verbindlichkeit.

Nach seinem Tod blieb bei ihr die Küche meist kalt, fremde Besucher konnten auch in der eisigsten Nacht nicht selbstverständlich mit einer Tasse Tee rechnen. Abgesehen von guten Freunden brauchte Jelena Bonner die Leute nicht, sondern die Leute brauchten sie.

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