Das Rhizom ist ein Tänzer in Wien

Eh klar, spätestens seit „Ja, Panik“: Wien rockt. Und das nicht nur in Sachen Musik, auch Kunstproduktion und -präsentation der jüngsten Jahre haben die ansonsten leicht verschnarcht bis museal wirkende Donauperle zurück auf die Europakarte des Zeitgeistes gebracht.

Wie sich nun an den feudalen Gebäuden des Schwarzenbergplatzes im 3. Bezirk herausstellt, nur zu Recht: Schließlich zeigt hier die ihrem Selbstverständnis nach „in der Produktion unkonventioneller zeitgenössischer Kunstprojekte“ engagierte Thyssen-Bornemisza Art Foundation Francesca von Habsburgs bis November das Projekt „The Morning Line“, das in Form einer bespielbaren Skulptur nicht nur Exponenten der internationalen Avantgarden von Architektur, Kunst und Klang miteinander verbindet, sondern auch Uraufführungen aktueller Kompositionen im Paket mitliefert.

Die zugehörige Hardware, die sich als ornamentaler Scherenschnitt im Raum materialisiert, erinnert bereits auf den ersten Blick an den Schlüsselbegriff des wilden Denkens von Gilles Deleuze und Felix Guattari – Rhizom. Eine eher nichthierarchische, mehr an Internetverlinkung oder Ingwerwurzel erinnernde Struktur, die Vielheiten der Einheit vorzieht und sich potenziell diktatorischen Baumstrukturen verweigert.

Entworfen und realisiert wurde dieser filigrane, offene Pavillon in Teamarbeit: Beteiligt waren der Künstler Matthew Richie, das Architektenteam Aranda/Lasch, die Architekten und Ingenieure Arup – Avanced Geometry Unit und das Music Research Center der York University.

Auch die Liste der aktuell mit Kompositionen für „The Morning Line“ beauftragten Musiker kann sich sehen lassen. Darunter befinden sich sowohl Akteure wie der strenge Minimalist Carsten Nicolai alias Alva Noto, der Forschungsergebnisse von Nasa und ESA vertont, als auch die jedweder Dekonstruktion und Deterritorialisierung nicht abgeneigte und irgendwie glamouröse Figur Terre Thaemlitz alias Miss Take, die es ordentlich opulent elektronisch wabern, bleepen, knistern und klicken lässt.

Wen die TBA übrigens in Venedig im „Some Like It Hot“-Pavillon von Gelatin (Arsenale) am Start hatte? Auch klar: die New Yorker Punkband Japanther natürlich. GUNNAR LUETZOW