„Wir spiegeln das Prekariat der Kultur“

THEATER SPAREN I Akten ordnen statt Licht auf der Bühne setzen: Italiens Kulturprekariat setzt sich gegen die Missachtung der Kunst zur Wehr und besetzt in Rom ein Theater

■ Sie hat in Paris studiert, lebt in Rom und arbeitet als Wissenschaftlerin und Künstlerin. Für das Besetzerkollektiv gab sie das Interview, will ihren Familiennamen aber nicht nennen.

INTERVIEW TOM MUSTROPH

„Machen wir das Fernsehen aus und gehen wir ins Valle“, forderte der italienische Filmemacher Nanni Moretti seine römischen Mitbürger auf. Der Schöpfer der Berlusconi-Parodie „Il Caimano“ leistete sich damit ein schönes Wortspiel aus dem Begriff „Tal“, der eine Abkehr von den politischen Gipfelpositionen im Lande suggeriert, und dem Namen des Teatro Valle. Dieses römische Prachttheater, das sich in den letzten drei Jahren dank einer neuen Programmierung durch das ETI (Ente Teatrale Italiano) als Ort des experimentelleren Theaters und des zeitgenössischen Tanzes einen Namen machte, ist seit dem 14. Juni von einer Gruppe der „selbstorganisierten Arbeiter der darstellenden Künste“ besetzt.

Die Besetzer befürchten nach der Auflösung der Betreiberinstitution ETI, die 1942 vom Kulturministerium für die darstellenden Künste gegründet wurde und neben dem Teatro Valle in Rom auch das Programm für zwei Häuser in Florenz und Bologna konzipierte, eine klammheimliche Verscherbelung des Theaters. Nach einem dreitägigen Kulturmarathon, bei dem unter anderem Moretti und der große alte Mann der mafiakritischen Literatur, Andrea Camillieri, auftraten, wurden die folgenden Tage und Nächte von Diskussionen und Debatten nicht nur um die Zukunft dieses 1726 erbauten Theaters, sondern um die des ganzen Landes geprägt.

Den „selbstorganisierten Arbeitern der darstellenden Künste“ gehe es vor allem um die Wiederherstellung des in den Berlusconi-Jahren verloren gegangenen Sinns für das Gemeinwohl und die Verteidigung der öffentlichen Güter, erklärt Maddalena P. Die 38-jährige Römerin, die in Paris Kunstwissenschaften studierte und sowohl als Wissenschaftlerin wie als Installationskünstlerin tätig ist, gehört zu den Organisatorinnen. Sie stand für ein Interview zur Verfügung, will ihren Familiennamen aber nicht veröffentlicht sehen. „Wir sind ein Kollektiv“, sagt sie knapp.

taz: Maddalena, warum halten Sie und Ihre Kollegen das Theater Valle besetzt?

Maddalena: Wir befürchten, dass es nach der Schließung des ETI privatisiert wird und danach nicht mehr das bisherige avancierte künstlerische Profil aufweisen, sondern bestenfalls ein kultureller Supermarkt sein wird. Bis vor drei Jahren war es noch ein traditionelles bürgerliches Sprechtheater. Doch dann folgte ein Umdenken und das Teatro Valle entwickelte sich, betrieben vom ETI, zu einem Ort der theatralen Experimente, des Autorentheaters und des Tanzes. Auch ausländische Compagnien wurden eingeladen. Es war ein ganz lebendiger Ort. Es ist schade, dass diese Arbeit jetzt abgebrochen wird.

Steckt ein politischer Wille dahinter, eine junge Avantgarde-Institution zu schließen, oder vermuten Sie dahinter die normale bürokratische Unfähigkeit?

Ich glaube nicht, dass eine spezifische Absicht dahintersteckte. Die Abwicklung des ETI ist vielmehr Teil der rigiden Sparmaßnahmen in den letzten Jahren. Die betrafen nicht nur die Kultur, sondern auch die Schulen und die Universitäten.

Jetzt wollen wir erst einmal verhindern, dass das Theater nicht nach künstlerischen Kompetenzen, sondern nach politischen Kriterien vergeben wird. Im Ausland mag diese Forderung banal klingen. Aber in Italien ist diese Vergabepraxis leider die Regel. Und es ist auch weitverbreitet, dass ein Intendant das Geld nur für eigene Regieprojekte einsetzt und kein künstlerisches Gesamtprogramm entwickelt.

Diese Schwächen des Kultur- und Politikbetriebs in Italien sind seit langem bekannt. Warum sind Sie ausgerechnet jetzt und ausgerechnet im Falle des Teatro Valle in Aktion getreten und nicht schon früher?

Es war ein langer, sich über sechs Monate hinziehender Prozess. Er begann mit der Ankündigung der letzten Kürzungen im Kulturbereich. Wir haben mit anderen Netzwerken kooperiert, vor allem mit Studenten und Mitarbeitern an den Universitäten. Ein Kristallisationspunkt für die Formierung der Bewegung war sicherlich die Vorbereitung des Referendums gegen die Privatisierung der Wasserbetriebe und über die Kernenergie.

Das Referendum ging mit einem klaren Votum gegen die Atomkraft und gegen die Privatisierung aus. Außerdem erlitt die rechte Regierungskoalition bei den jüngsten Kommunalwahlen eine herbe Niederlage. Deutet sich jetzt eine Wende im Lande an?

Die jüngsten Erfolge stimulieren natürlich. Sie sind Früchte einer Bewegung, die von unten gewachsen ist. Zwar waren die Mitte-links-Parteien beim Referendum auch eingebunden. Aber die eigentliche Arbeit wurde von unabhängigen Netzwerken geleistet.

Auch wir haben in den vergangenen Monaten Aktionen im Kulturbereich unternommen. In Guerrilla-Aktionen sind wir in die Theater gegangen und haben den Vorstellungsbeginn um 15 Minuten verzögert. Das Teatro Valle haben wir jetzt ausgewählt, weil es eine Symbolwirkung hat.

Warum aber erst Mitte Juni?

Wir wollten erst das Ende der Saison abwarten und die Kollegen, die am Theater arbeiten, nicht in Schwierigkeiten bringen.

Sind einige der Angestellten unter den Besetzern?

Nein, aus den eben erwähnten Gründen nicht. Aber einige unterstützen uns und stimmen mit unseren Zielen überein. Wir sind gegen Kürzungen in der Kultur und gegen die grassierende Abwertung des gesamten Kulturbereichs. Diese Abwertung ist auch hier in diesem Theater zu spüren gewesen. Leute mit spezifischen Kompetenzen wie Bühnenarbeiter, Licht- und Tontechniker wurden ab 1. Juli dieses Jahres auf andere Stellen in der Stadtverwaltung gesetzt. Sie müssen jetzt Akten bearbeiten und Ähnliches. Das ist ein Symbol für die mangelnde Achtung von spezifischer Kompetenz.

Will das Kollektiv der Besetzer das Theater übernehmen?

Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es uns nicht in ersten Linie darum geht, das Teatro Valle selbst zu managen. Wir wollen wir hier nicht den Spielbetrieb organisieren. Das ist die Aufgabe der Kommune, die dafür auch Geld zur Verfügung hat. Aber wir wollen, dass die Gelder transparent und effizient eingesetzt werden, dass es ein künstlerisches Profil gibt, das regelmäßig überprüft wird, und dass die künstlerischen Berufe geachtet werden.

Wer ist wir, woraus setzt sich der Kreis der Besetzer zusammen?

Wir sind eine sehr heterogene Gruppe. Es sind 18-Jährige unter uns, aber auch Leute von Mitte 40. Es ist eine Spiegelung des Prekariats in der Kultur. Viele Theatermacher sind unter den Besetzern, Regisseure, Techniker, aber auch Leute aus der Film- und Fernsehbranche.

In so einer Situation Hinsicht sind prekäre Arbeitsbedingungen also von Vorteil: Man ist frei und verfügt über die Zeit und die Kraft, solch eine Besetzung zu organisieren. Kann man das so sagen?

Ja, das stimmt. Wir sind gezwungen, Theater zu besetzen, um überhaupt arbeiten und für unsere Rechte kämpfen zu können. Künstlerische Berufe sind in Italien wenig geschätzt. Abschlüsse werden nicht erkannt. Mutterschaftsschutz gibt es nicht. Arbeitslosigkeit ist eine große Bedrohung, doch Unterstützung wird oft nicht gegeben, weil die Tätigkeit als Saisongeschäft angesehen wird.

Wie lange soll die Besetzung aufrechterhalten werden?

Bis unsere Forderungen erfüllt sind.