Comics fürs Internet: Tragisch verliebt in Natalie Portman

Er lässt sympathisch unausgeführte Figuren ganz große und ganz kleine Fragen erörtern und findet eigentlich alle deutschen Kollegen "furchtbar": ein Nachmittag mit dem Hamburger Comiczeichner Robin Vehrs.

Findet immer wieder sehr kluge Antworten auf Tag-für-Tag-Geschmacksfragen: Robin Vehrs. Bild: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Robin Vehrs entschuldigt sich für die Verspätung: Er musste noch eine Wohnung besichtigen. Dann schlägt er vor, zum Afrikaner am Altonaer Bahnhof zu gehen. Am Tresen des Lokals empfiehlt er den gemischten Teller: "Da sind lauter so Wurzeln und Sachen drauf, die man alle nicht kennt und die total komisch schmecken." Wir setzen uns nach draußen.

Es war 2009, als Vehrs mit seinem Comic-Blog "Enjambements" anfing. Warum dieser Titel? Er weiß es nicht mehr so ganz genau, aber es hatte irgendwas mit einer Deutsch-Hausaufgabe zu tun, nichts mit Ambition oder Anspruch. Im Sommer ist der Neunzehnjährige im Vorort Halstenbek mit der Schule fertig geworden und wartet auf die Zusage für sein Freiwilliges Soziales Jahr. Er hat eindrucksvolle, dunkelbraune Locken auf dem Kopf, eine noch eindrucksvollere Nase und eine angenehme, ruhige Stimme.

Comics im Allgemeinen - und im Speziellen die von Vehrs - mit Worten zu beschreiben, ist eigentlich für die Katz und wahrscheinlich für alle anderen Tiere gleich mit. Dennoch ein Versuch: Enjambements, mit dem Programm "Paint" und einem einfachen Tablett am Computer gezeichnet, sind Bildabfolgen, in denen offensiv hässlich dargestellte und grimmige Figuren mal nachdenkliche Monologe in Supermärkten, mal absurde Dialoge führen.

Bevor er mit dem Web-Comic anfing, hatte Vehrs vorwiegend geschrieben. "Bei Comics hat man eben eine Zeit-Ebene mehr", sagt er. "Man kann einfach zwei Personen sich gegenüberstehen lassen, die nichts sagen und man hat eine Pause. Man kann also quasi timen." Und das funktioniert: Wenn sich ein Bild vom vorherigen nur in der schludrigen Kopie der Gesichter unterscheidet und im nächsten einer Gedankenwolke nur "Hände abtrocknen" steht, dann ist das bei Robin Vehrs ziemlich komisch.

"Zeichnen ist einfach"

Mittlerweile sitzen wir in einem einigermaßen willkürlich ausgewählten Café im Schanzenviertel. Vehrs testet beiläufig seinen Cappuccino. Ich soll schreiben: "Souverän, als täte er es jeden Tag!" Mit Ausrufezeichen, der Radikalität wegen. Mit seinen Strips zieht der Zeichner nicht zuletzt auch gegen das spießbürgerliche Diktat der Virtuosität in die Schlacht. "Ich wollte irgendwie auch beweisen, dass Comic-Zeichnen einfach ist."

Bei vielen Comics, auch bei vielen Witz-Comics, sagt er, gehe es den Zeichnern mehr um die Technik als um die Wirkung. Er beschränkt sich deshalb auf schlichte Software und souveräne Faulheit im Zeichenstil. Das hat er ein bisschen bei den "ragetoons" abgeschaut, einer Spielart amerikanischer Webcomics, die immer mit einem Bild einer horrorschreienden Fratze enden. Ragetoons sind überhaupt nicht witzig, und Vehrs kann mit ihnen auch nichts anfangen, außer eben mit ihrer Hässlichkeit und Einfachheit. "Etwas, das unfreiwillig komisch wirkt, aber eigentlich freiwillig komisch ist, das hat ja schon Max Goldt gesagt, das ist so das höchste der Gefühle."

Inzwischen hat Enjambements 5.000 Besucher im Monat - Klicks, die Relevanzwährung des Internets. Wir rätseln eine Weile, ob das viel ist. Und ja, Robin Vehrs ist auch ein Kind der Blogosphäre - wenn auch ein uneheliches. Er sagt, er wisse nicht, ob er überhaupt irgendwas machen würde, ohne die Möglichkeit, es zu veröffentlichen. Es gibt immer mehr Comic-Blogs, und alle zeichnen "Gastcomics" füreinander oder kommentieren und, ahem, liken: Es sei fast wie bei den Mode-Blogs, sagt Vehrs: "Man kommentiert sich, aber eigentlich nur, um selbst angeklickt und angeguckt zu werden."

Sowieso: "Alle deutschen Comiczeichner sind ganz furchtbar. Ich war mal zum Grillen eingeladen, aber als ich um neun gekommen bin, war keiner mehr da." Den Hass-Zettel, den er an die Tür geklebt hat, hat keiner gefunden. Also alle furchtbar. "Außer vielleicht die Neue Neue Frankfurter Schule." Bitte wer? "Katz und Goldt, Rattelschneck." Die mag Vehrs, das zeigen auch seine eigenen Zeichnungen. Aber er dreht das Rad noch mindestens drei Umdrehungen weiter, und dem Alltag den Magen: "Man stellt sich ja oft sowas vor. Wenn jemand ein kurzes Schnaps-Glas in der Hand hat, zum Beispiel, denkt man: Was für ein kleines Glas. Aber was wäre, wenn alle Gläser so klein hergestellt wären, dann wären normale Gläser absurd groß."

Psychedelisches Fallen

Mit solchen Tagträumen fangen Vehrs Comics an, und am Ende sitzt man vor dem Computer und lacht, weiß aber eigentlich gar nichts mehr. Vehrs hat kein Skript, er fängt einfach oben an und guckt, was passiert. Aber so psychedelisch die Figuren manchmal auch durch die Bilder fallen: Seine Stories sind nicht nur neben der Spur und verdreht. Manchmal wirken die Männchen auch weitab und verloren, wenn sie zum Beispiel frustriert vor sich hinreden, als wäre noch jemand da.

Immer wieder gelingen Vehrs auch sehr kluge Antworten auf die Tag-für-Tag-Geschmacksfragen: Zum Beispiel geißelt ein Comic, wie schrecklich es ist, Filme mit dem Regisseurnachnamen zu benennen, wenn man zum Beispiel sagt: "Der neue Allen-Film." Ich erbat, für solche Stilfragen, Vehrs Handynummer. Im Hintergrund des Cafés wird "New Slang" gespielt, von den Shins, und Vehrs muss ein bisschen lachen: Gerade erst zwei Tage zuvor habe er "Garden State" gesehen, den Spielfilm zum Lied. "Solche Sachen passieren mir in letzter Zeit dauernd." Zu allem Überfluss hat sich Vehrs dabei auch noch sehr tragisch - und bis Redaktionsschluss sehr einseitig - in Natalie Portman verliebt, die im Film tatsächlich zerreißend hinreißend spielt.

Mit "Die tragische und einseitige Liebe zu Natalie Portman" ist auch einer seiner neuen Comics untertitelt. Sind die also irgendwie auch ein Ventil, eine Plattform für seine überbordenden, künstlermäßig-extremen Gefühle? "Nö", sagt Vehrs, "das ist alles eher so aus Langeweile", dann reden wir über Sternzeichen. Er ist Skorpion.

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