Slide-Wunder und Sahara-Hype

WELTMUSIK Es geht auch ohne Wasser: Das Festival Wassermusik am Haus der Kulturen der Welt zieht diesen Sommer durch die Wüste. Und zeigt von Klatsch-Weisen und Stars wie Khaled bis Hamac Caziim alles

VON TIM CASPAR BOEHME

Der indische Bundesstaat Rajasthan ist fast so groß wie Deutschland und hat gerade einmal zehn Millionen weniger Einwohner. Vor allem aber hat er die Wüste Thar, die knapp zwei Drittel seiner Fläche einnimmt und im Westen an Pakistan grenzt. Aus Jaipur, der Hauptstadt von Rajasthan, stammt Vishwa Mohan Bhatt, seines Zeichens Slide-Gitarrenvirtuose und durch seine Herkunft bestens qualifiziert für die diesjährige Wassermusik am Haus der Kulturen der Welt, wo er am Samstag zu hören war.

Leitthema des aktuellen Festivals ist die Wüste. Die damit einhergehende Abwesenheit von Wasser war in diesem Fall ein echtes Glück: Bhatt, ein Schüler Ravi Shankars, lieferte mit seiner Band Desert Slide eine Probe seinen Könnens und einen ersten Höhepunkt. Der Grammy-Preisträger Bhatt spielt ein seltsames Instrument mit 19 Saiten, ein Zwischending aus Gitarre und Sitar, deren höchste Saite er mit dem Finger in einer Mischung aus indischer und amerikanischer Blues- bzw. Hawaiigitarrentechnik bearbeitet.

Seine Begleitmusiker bedienen klassische indische Instrumente wie Tabla, im Hintergrund erzeugt eine elektronische Tanpura den konstanten Grundton. Dies geht bestens auf, Bhatts idiosynkratischer Ansatz schafft dabei ein verfremdendes Element, das Fragen nach Weltmusik-Klischees oder ethnischer Authentizität oder Crossover überflüssig macht.

Wassermusik ist ein Festival, das offen angelegt ist, wo sehr viel geht, manchmal vielleicht etwas zu viel. So zeigte die Vorband von Desert Slide, die ebenfalls aus Rajasthan stammenden Dhoad Gypsies, wie man es besser nicht machen sollte. Ihre traditionellen Tabla-Lieder wurden als Mitklatsch-Weisen inszeniert, deren Zirkustauglichkeit von Balancierakten auf dem Nagelbrett oder Schlangenbeschwörungstänzen unterstrichen wurden.

Fischer aus Mexiko

Auf Volksfestrummel dieser Art verzichten die meisten Gäste von Wassermusik aber zum Glück. Die Auftritte der Band Hamac Caziim aus Mexiko und der marokkanischen Group Doueh kamen mit einem Minimum an Bühnengeschehen aus. Die ehemaligen Fischer aus Mexiko vom Volk der Comca’ac gewandeten sich für die Darbietung ihrer stoischen Metal-Punk-Arrangements überlieferter Dialektlegenden in herkömmliche Trachten und trugen rituelle Bemalungen im Gesicht, verzogen aber keine Miene und verhielten sich unauffällig.

Ein ähnliches Understatement-Bewusstsein zeigte das Familienunternehmen Group Doueh aus der Westsahara. Die zwei Sängerinnen, die lediglich vom Bandleader Bamaar Salmou an E-Gitarre oder einer viersaitigen Tinidit-Laute und von seinem Cousin am Keyboard begleitet wurden. Hier zeigte sich ein anderes Problem: Die Musik von Group Doueh war bisher in erster Linie durch Plattenaufnahmen in äußerst schlichter Tonqualität bekannt, was ihnen den Ruf einbrachte, ein einzigartiges Spektakel aus Gitarren-Noise und Wah-Wah-Exzessen in Jimi-Hendrix-Manier zu entfalten. Auf der Bühne war von alledem nichts zu spüren: Die Anlage war wohl schlicht zu gut, und so konnte man reichlich dünn klingende komplexe Rhythmen und billige Preset-Klänge zu präziser Funk-Gitarre hören. Den hochgesteckten Erwartungen wurde die Band so nicht gerecht.

Wassermusik bewegt sich in einem Zwiespalt: Zum einen ist die Reihe das, was man früher einmal „Weltmusik-Festival“ genannt hätte. Zum anderen, da der Begriff Weltmusik am Haus offiziell nicht mehr verwendet wird, soll angeknüpft werden an neue Entwicklungen rund um den Globus, die außereuropäische Innovationen versprechen. Dass ein Hype der Realitätsprüfung nicht unbedingt standhält, bestätigte sich an Group Doueh.

Die Zugpferde des Festivals sind denn auch eher bewährte Namen wie Khaled, der algerische „King of Raï“, der das Festival eröffnete. Ähnlich prominent ist auch die zweite Hälfte des Festivals besetzt, mit den Tuareg-Rockern von Tinariwen aus Mali und ihren Landsleuten Amadou & Mariam. Weitere Größen sind Giant Sand um den Gitarristen Howe Gelb. Wie sich deren Herkunft aus Arizona mit dem Auftrag des Hauses, Kulturen jenseits Europas und Nordamerikas zu repräsentieren, verträgt, ist etwas unklar, doch thematisch gehören die Wüstenrocker allemal dazu.

■ Wassermusik, noch vom 28. 7. bis 6. 8., www.hkw.de