Eine Art Feiertag

SICHTBARKEIT (II) Ein neuer Bildband zu „30 Jahren CSD in Hamburg“ feiert – als sei’s ein Familienalbum – eine politische Bewegung: die der sexuell anderen

Möglicherweise erklärt dies die Existenz der Tunte, die ja eine heilige Figur der Schwulenbewegung ist: Dass ein Mann, der sich wie eine Karikatur einer Hausfrau, einer Diva oder einer fetten Alten ausnimmt, auf alle Fälle sichtbar wird. Die Tunte, der Kerl auf Pömps, das war die Garantie dafür, dass das Publikum, das einer Christopher-Street-Day-Parade zuschaut, nämlichen Umzug nicht für eine öffentliche Bonsai-Variante einer typisch linken Demo jener Jahre halten würde. Schlurfend, mehr oder weniger lärmend, eher studentisch gekleidet – als sei eine Riesen-WG zum Spaziergang auf Straßen aufgebrochen.

Nein, die Tunte, die ja für schwule Männer auch deshalb eine beinah sakrale Entertainerin war, weil man glaubte, in ihr alle Kritik am heterosexuell-patriarchalen Modell aufgetrutscht zu sehen, diese Figur war beim ersten CSD in Hamburg ein eher beiläufiges Phänomen. Ich kann und sollte das wissen, ich habe diese erste hamburgische Geschichte namens CSD mitorganisiert, damals, im Jahre 1980 hieß das noch Stonewall-Demo, weil in der New Yorker Stonewall-Bar Ende Juni 1969 erstmals Schwule und Transsexuelle, trauernd gerade über den Tod ihres Schutzengels Judy Garland, sich gegen Polizei- und Schutzgeldrazzien in ihrem Lokal namens „Stonewall Inn“ ziemlich körperlich zur Wehr setzten.

Die meisten von uns Damaligen segeln inzwischen tüchtig dem Ruhestand entgegen – aber was waren wir stolz und aufgeregt, diesen ersten Hamburger CSD zu organisieren. Etwa Thomas Grossmann, Willi Klinker, Wolfgang Krömer, Aldi Stern, Johannes Pausch, Hans-Georg Stümke und Barbara Retzlaff – und etliche andere, die fanden, dass ein queeres Dasein im politisch Privaten weniger lohnt als öffentlicher Lärm. Denn wir wollten da sein, auch Corny Littmann, damals noch Kopf der schwulen Variante von „Ton Steine Scherben“, die „Brühwarm“ hieß. Der fand die Demo-Idee prima.

Man nahm allerdings, als wir uns dann schließlich zum Ort des Auftakts einfanden, kaum Notiz von uns. Auch nicht am Rande des Gänsemarkts und der Langen Reihe. Polizisten am Rande lachten, viele Passanten guckten irritiert. Schwules, Lesbisches – das war damals auch im linken und alternativen Spektrum so unbenennbar, so bizarr, so außerhalb gewöhnlicher Sprechfähigkeiten, dass man schon auf das Mittel der Provokation zurückgreifen musste.

Männer in Frauentextilien

Also zum Tuntigen. Männer in Frauentextilien gab es schließlich 1981 mehrere. Man war ohnehin geschützt durch den evangelischen Kirchentag und die Friedensbewegung, die heftig demonstrierte – wir aber waren eine Volksbewegung von etwa 1.500 Leuten. Das kam uns mächtig viel vor – und niemand hätte damals prognostizieren wollen, dass dereinst auch in Hamburg mal Zehntausende zu einem CSD kommen würden.

Das ist heute anders – CSD ist eine Art Feiertag von queer folks, von Schwulen, Lesben, Transsexuellen, Bisexuellen, ein Gesamtadvent oder Idealweihnachten. Jedenfalls ein Tag für die ganze Homofamilie, was kein gutes Wort ist, weshalb man lieber sagen könnte: für alle, denen sexueller Freisinn unter Gleichen wichtig ist.

Chris Lambertsen hat nun, äußerst verdienstvoll, Fotografien für einen Bildband zur Verfügung gestellt – und Rolf Erdorf hat dieses schöne Kompendium herausgegeben: „Schwule-Lesbische Sichtbarkeit“. Etliche AutorInnen haben schriftliche Beiträge verfasst zu diesem Geburtstagsbuch, das 30 Jahre CSD in Hamburg verhandelt. Alle sind des Lobes voll – und das ist auch richtig so. Denn diese Bewegung, die anfänglich kaum über die linksalternative Nische hinauswachsen wollte, kam richtig in Schwung, als die Aids-Krise politisch wichtig wurde – und als die ProtagonistInnen neue waren, solche, die nicht mehr unter dem Zeichen des Verbotsparagrafen 175 erwachsen werden mussten.

Dieses Buch ist auch ein Geschichtsbuch – man nehme es als Poesiealbum einer politisch-kulturellen Bewegung. Manches fehlt, etwa Dokumente zum sogenannten Klappenskandal 1980, aber sonst ist alles da. Die Familie kann sich vergewissert fühlen: Alle Fotos bezeugen, dass es ein schöner Kampf war – und ist. JAN FEDDERSEN

Chris Lambertsen: Schwul-Lesbische Sichtbarkeit. 30 Jahre CSD in Hamburg, Männerschwarm Verlag 2011, 192 S., 24 Euro