Die hochsensible Chocolatière

FRANZÖSISCH In „Die anonymen Romantiker“ von Jean-Pierre Améris wird eine nette romantische Komödie um das Phänomen der hochsensiblen Menschen angerührt. Der Film ist so zartbitter wie die in ihm fabrizierten Pralinen

VON WILFRIED HIPPEN

Sensibilität kann ein Problem werden. Tatsächlich gibt es eine kleine Gruppe von Menschen, die die Reaktionen anderer auf sie so heftig empfinden, dass für die anderen ganz normale soziale Situationen bei ihnen Panik auslöst. Inzwischen gibt es Selbsthilfegruppen für die so Leidenden, und wie bei den anonymen Alkoholikern wurde sogar ein 12-Stufen-Programm entwickelt, durch das die Hochsensiblen lernen sollen, ihre Gefühle besser zu bewältigen.

Endlich einmal ein neues Thema für einen Film. Wenn man ehrlich ist, kommt das ja selten vor. Alles ist schon mal erzählt worden und im Kino gleich tausendfach. Man muss dem Filmemacher Jean-Piere Améris schon dafür dankbar sein, dass er dieses weitgehend unbekannte Phänomen durch seinen Film vorstellt.

Allerdings ist die Geschichte, die er um es herum gesponnen hat, so neu nicht: Die guten Zeiten der Schokoladenmanufaktur des Herren Jean-René sind längst vorbei. Kaum jemand will noch deren Pralinen essen, sie gelten als altmodisch und fade. Zudem hat der Fabrikbesitzer noch ein persönliches Problem: Er gerät in Panik, wenn er mit Menschen in Kontakt treten muss. Auch Angelique leidet darunter, alles zu intensiv zu empfinden.

Dadurch hat sie zwar auch ein außergewöhnliches Talent dafür, aus Schokolade süße Köstlichkeiten zu kreieren, aber bei dem entscheidenden Examen an der Schokoladenschule läuft sie aufgelöst aus dem Prüfungssaal. Danach macht sie nur noch geheim für einen kleinen Laden die besten Schokoladenkunstwerke, von denen man jemals gehört hat. Schnell entsteht ein Mythos um die Pralinen und ihren Schöpfer, doch nach dem Tode des netten Ladeninhabers versiegt die Schokoladenquelle, denn Angelique kann sich und ihre Werke einfach nicht verkaufen.

Jean-Renè und Angelique sind also beide mit ihrer Hochsensibilität geschlagen, beide würden einander sowohl menschlich wie auch beruflich perfekt ergänzen, aber natürlich stehen ihre soziale Ungeschicklichkeit und extreme Schüchternheit dem im Wege.

Er macht eine Einzeltherapie, sie geht zu einer Selbsthilfegruppe und während der Film auf einer Ebene natürlich von all den Missgeschicken ihrer Romanze und der drohenden Pleite der Schoko-Firma erzählt, erfährt man en passant auch vieles über diese seltsame Anomalie, die im Grunde ja eine Gabe ist.

Die rothaarige Isabelle Carré spielt Angelique mit einer sehr gewinnenden Mischung als Verletzlichkeit und Eigensinn während Benoît Poelvoorde wieder einen seiner skurrilen Eigenbrötler gibt.

In „Nichts zu verzollen“ ist er ja gerade als cholerischer Zöllner zu bewundern. Zur Zeit ist er wohl der am meisten beschäftigte Charakterdarsteller Frankreichs, und auch hier hat er seine Figur wieder mit einer Vielzahl von Ticks und Manierismen ausgestattet. Ähnlich schräg wie die Protagonisten ist auch die Ausstattung des Films.

Die Wohnungen, Läden und Kostüme wirken wie aus den 50er Jahren (eine moderne Manufaktur wäre ein Widerspruch in sich), und auch atmosphärisch siedelt Améris seinen Film in einer immer etwas putzigen „guten alten Zeit“ an.

Da wirkt es dann wie ein Stilbruch, wenn als ein Mittel, um die Geschichte voranzubringen, plötzlich eine Webcam im Film auftaucht. Dieser Anachronismus hätte durch ein besseres Drehbuch vermieden werden können, und auch sonst ist die Dramaturgie der Schwachpunkt des Films. Es wird ein wenig zu saumselig erzählt, und trotz seiner ungewöhnlichen Kürze von 80 Minuten kommt einem der Film dann doch recht lang vor.