Qualen über Stunden

SALZBURGER FESTSPIELE Riccardo Muti bewahrt Peter Steins „Macbeth“ vor dem Sturz ins Bodenlose

Dass Peter Stein stolz darauf ist, ein reaktionärer Regisseur zu sein, ist allgemein bekannt. Schließlich lässt er keine Gelegenheit aus, dies eitel zu betonen. Was aber ausgerechnet Markus Hinterhäuser dazu bewogen haben mag, dem alten Sturkopf eine der größten und teuersten Neuproduktionen der diesjährigen Festspiele zu übertragen, bleibt rätselhaft. Steht Interimsintendant Hinterhäuser doch, seit er unter Gérard Mortier die Neue Musik bei den Festspielen etablierte, eigentlich für hochambitionierte, alles andere als konservative Programme. Ein Zugeständnis?

Mehrfach soll der italienische Pultstar Riccardo Muti bereits darum geworben haben, mit Peter Stein ins Operngeschäft zu kommen. Nun endlich kam in Salzburg die vermeintliche Traumpaarung vor der archaischen Kulisse der Felsenreitschule mit Verdis „Macbeth“ zustande. Es sollte ein Fest der Werktreue und Opulenz werden, eine luxuriöse Musteraufführung, die es dem gehassten Regietheater mal so richtig zeigen sollte. Und es wurde nur ein matter, sich hinziehender Abend. Selbst der demonstrative Applaus verebbte rasch.

Dabei hat Peter Stein nur konsequent das getan, was er in Interviews vorab herausposaunt hatte: „Ich habe keine Ideen.“ Dem ist fürwahr wenig hinzuzufügen. Das, was sich auf der riesigen Bühne in fast vier quälend langen Stunden ereignet, lässt weder Konzept noch Psychologie erkennen. Stein beschränkt sich stattdessen auf eine lächerlich banale Bebilderung des Geschehens und auf mehr oder weniger geschickte Lösungen der heiklen Hexen- und Geisterszenen. Das sieht dann so aus: Zu Beginn treten die weissagenden Hexen auf, in Shakespeares Vorlage sind es drei, bei Verdi übernimmt der Damenchor die Szene. Dies bereitete Stein Kopfzerbrechen, denn er sorgte sich um den vorgeschriebenen Topf mit Krötengebräu, in dem seiner Meinung nach nicht der ganze Chor rühren könne. Also lässt er drei weiß geschminkte Schauspielerinnen mit Gumminasen auftreten, die zum Gesang die Lippen bewegen, derweil die Choristinnen mit Zweigen und Blättern umwickelt als Naturwesen tapsig umherwallen.

Derlei unfreiwillig komische Momente häufen sich. Häufig wird die Versenkung bemüht, bei Macbeth’ Visionen wird gar eine Art Rolltreppe in Stellung gebracht, auf der im Nebel die Untoten wie in einem Albtraumpaternoster auf und nieder fahren. Die Bühne bleibt ansonsten weit gehend leer (Ferdinand Wögerbauer), der graue Filzboden dient vor allem dem störungsfreien Aufmarsch der Statisten- und Chormassen, die sich zu wuchtigen Tableaus an der Rampe aufbauen. Schwer hängen die Kettenhemden an Kriegerleibern, das verbrecherische hohe Paar schwelgt abwechselnd in rotem Samt (Achtung: Macht und Mordlust!) oder darbt im weißem Nachthemdchen (Achtung: Wahnsinn!).

Ärgerlich sind etliche handwerkliche Fehler, die man Stein nun wirklich nicht zugetraut hätte, und als schließlich der in Visionen delirierende Macbeth von einem hilflosen Kinderballett umtanzt wird, grenzt es ans Parodistische.

Wäre da nicht Riccardo Muti mit den Wiener Philharmonikern, der den szenischen Plattitüden mit einem Wunder an Differenzierung begegnet. Schon im Vorspiel verblüfft ein feiner, kammermusikalischer Ton, der das Fahle der Macbeth-Klangwelt niemals beschönigt. Muti betont die Modernität der Partitur und trägt die Sänger auf Händen. Zeljko Lucic ist ein lyrischer Macbeth mit weicher Höhe, während es Tatjana Serjans flirrendem Lady-Macbeth-Sopran sowohl an gebieterischer Kraft als auch an Koloratur-Geschick mangelt. Eine auch darstellerisch blasse Fehlbesetzung.

Alle anderen Partien sind solide bis hervorragend besetzt, doch rettet das den Abend nicht.

REGINE MÜLLER