Sich nicht kleinkriegen lassen

TANZ AUS ABIDJAN Beim Berliner Festival „Tanz im August“ hat die Compagnie N’Soleh aus der Elfenbeinküste ihren ersten Europaauftritt

Man ist erst mal mit Bewunderung beschäftigt: dieses Tempo, diese Pracht, dieser Witz der Klamotten

Die Sprache der Pobacken, man glaubt sie zu verstehen. Sex liegt darin, sehr viel Sex, wie sie sich schütteln und hüpfen unter kurzen Rüschenröcken. Die Tänzerinnen der Compagnie N’Soleh, die aus Abidjan, Hauptstadt der Elfenbeinküste, kommen und beim Berliner Festival „Tanz im August“ und dem „Zürcher Theater Spektakel“ das erste Mal in Europa gastieren, recken den Zuschauern sehr oft den tanzenden Arsch entgegen, animierend, provozierend, gut gelaunt, manchmal auch aggressiv. Und irgendwann setzen Zweifel ein; so eindeutig die Geste scheint, es muss doch mehr dahinterstecken, als es vordergründig scheint.

Ja, es geht auch um Stolz, um Arbeit, um Geld, und um das Überleben in schwierigen Zeiten, das erschließt sich aus der Lektüre des Programmhefts. Und es geht auch um Ironie, das erzählen dann doch die Blicke der Tänzer und Tänzerinnen ins Publikum, Ironie gegenüber der unerbittlichen Lust an der eigenen Zurschaustellung.

Nicht alles zu verstehen, womöglich sogar zu fremdeln mit diesem afrikanischen Vergnügen, vielleicht sollte man sich das als Zuschauer auch zugestehen. Das Stück „La Rue Princesse“ kommt aus einem Land, das gerade erst einen Bürgerkrieg ausgestanden hat – und es erzählt über eine Straße des Nachtlebens. Im Video wird der Stau vorgeführt, das Ausführen von Karossen und Garderoben, während die Tänzer auf der Bühne Spielzeugautos hinter sich herziehen. Im Video erzählen Leute von der Ökonomie der Vergnügungsmeile: „Mit dem Tanz gelingt es mir, meine sechzehn kleinen Geschwister zu ernähren und die Schule für meine sechsjährige Tochter zu bezahlen“, sagt eine junge Frau. So ist das also.

Das Bühnenbild ahmt mit Lichterketten Bar und Straße nach, Zuschauer sitzen mit an den Tischen. Natürlich fehlt der DJ nicht, der afrikanischen und karibischen Pop und HipHop mischt. Nur manchmal steht diese Maschine still, tief und bedrohlich wird der Sound, eine akustische Irritation, über die bald wieder hinweggetanzt wird. Die Poser, die Paare, die Gangs mit ihren Tänzen, sie alle ziehen sich mit der ungeheuren Energie der Bewegung auch aus irgendetwas heraus, über irgendetwas hinweg, was nicht miterzählt wird. Vielleicht, weil es für die Zuschauer auf der Straße, von der die Tänze kommen, auf der Hand liegt: dass hier eben der Ort ist, nicht über sein Unglück, die Armut oder die Gewalt zu reden, sondern gegenzuhalten, oben zu bleiben, sich nicht kleinkriegen zu lassen.

Dass dies der Motor der Tänze ist, erzählt Massidi Adiatou, der zusammen mit Jenny Mezile „La Rue Princesse“ choreografiert hat. Beide leben seit den 90er Jahren in Frankreich, und dort haben sie sich das Selbstverständnis als Profi erworben, das notwendig ist, um den Tanz von der Straße in ein Stück für die Bühne zu transformieren. Mit „La Rue Princesse“ wollen sie Botschafter in doppeltem Sinne sein: Eine eigene Kultur der Elfenbeinküste zu behaupten, das wendet sich an ein Publikum draußen, das Afrika nicht viel zutraut. Die Botschaft ist aber auch an ein Publikum im eigenen Land gerichtet, als Ermutigung, sich mit der eigenen Ausdruckskraft als Künstler zu professionalisieren.

Das alles begreift man noch nicht unbedingt in der Aufführung selbst, man ist erst mal mit Bewunderung beschäftigt: dieses Tempo, diese schillernden, die eigene Pracht schon wieder parodierenden Klamotten, diese Exotik. Ja, und dann schämt man sich womöglich ein bisschen, der Exotik und den Clownerien so schnell zu verfallen, gehören sie doch auch zum Klischee von afrikanischer Lebensfreude. Aber was kann einer Aufführung Besseres passieren, als ihrem Publikum Skepsis gegenüber der eigenen Wahrnehmung beizubringen? KATRIN BETTINA MÜLLER

■ „La Rue Princesse“, 19.–21. August, Theaterspektakel Zürich