Bilanz der Bayreuther Festspiele: Der Rest ist Alltag

Zwischen Routine und vorhersehbarer Aufregung: eine Bilanz der Bayreuther Festspiele, die am Sonntag zu Ende gehen.

Mindestens einmal im Jahr ist Bayreuth der Aufmacher für die Feuilletons und den Boulevard. Bild: dpa

Mindestens einmal im Jahr ist Bayreuth der Aufmacher für die Feuilletons und den Boulevard. Natürlich gab es auch diesmal bei der Eröffnungspremiere der 100. Richard-Wagner-Festspiele den vorhersehbaren heftigen Widerspruch. Die stets Bayreuthkritische Nike Wagner forderte sogar - via Bunte - die Absetzung von Sebastian Baumgartens "Tannhäuser"! Doch die Koregentschaft ihrer Cousinen, Eva und Katharina, scheint geräuschlos zu funktionieren. Auch die neu installierte Kinderoper und das Public Viewing haben sich eingebürgert. Der Rest ist Festspielalltag.

Was ein Widerspruch in sich ist, denn Festspiele sollen ja die Ausnahme vom Alltag sein. Wobei der Genius loci auf dem Grünen Hügel allerhand Widrigkeiten ausgleichen muss. Von den langen Wartezeiten, den engen, unbequemen Sitzen im nicht klimatisierten Saal bis hin zum ja immer noch ziemlich provinziellen Drumherum eines Ortes, in dem man vom ICE-Netz allenfalls mal etwas gehört hat.

Dieser Festspielalltag bot den Laborratten-"Lohengrin" aus dem letzten Jahr, bei dem Hans Neuenfels nach dem Tierischen im Menschen fahndet, außerdem die "Parsifal"-Bilderflut, mit der Stefan Herheim eine psychologische Studie über das Verhältnis des Helden zur Frau und einen Grundkurs in deutscher und Wagner-Geschichte übereinanderlegt. Beide Produktionen geben auch beim Wiedersehen nicht alle ihre Geheimnisse preis, lüften aber in sympathischer Beiläufigkeit ein ganz spezielles. Durch Spiegeleffekte kann man nämlich beim "Lohengrin" dem jungen lettischen Dirigenten Andris Nelsons eine Weile im verdeckten Graben zuschauen, wie er mit Feuereifer seinen viel bejubelten "Lohengrin"-Klang herstellt. Auch sein erfahrener italienischer Kollege Daniele Gatti ist einmal zu sehen, wie er sich in mittlerem Tempo souverän durch den "Parsifal" arbeitet. Die Wiederaufnahme von Marthalers "Tristan", bei dem mit jedem Aufzug eine neue Anna-Viebrock-Etage auf die vorhandenen gestapelt wird, ist da fast schon geheimnislos. Im Graben herrscht hier unter Peter Schneider eher Routine - allerdings auf hohem Niveau. Bis schließlich Katharina Wagners Inszenierung der "Meistersinger" auch bei ihrer allerletzten Vorstellung noch aufzuregen vermochte, da sie alle Gewissheiten über die Figuren Sachs, Stolzing und Beckmesser über den Haufen wirft.

Standortvorteil Akustik

Schade nur, dass ausgerechnet die packende Inszenierung der Hügelchefin musikalisch allzu sehr schwächelt. Unter Sebastian Weigle kommt das Orchester nicht an seine sonstige Leistung heran. Dass Stefan Vinke kurzfristig als Stolzing einsprang, ehrt ihn, hat aber mit dem, was Klaus Florian Vogt aus dieser Rolle gemacht hat, nichts mehr zu tun. Szenisch hat Bayreuth längst zu den landesüblichen Respektlosigkeiten und Ambitionen in Sachen Wagner-Deutung aufgeschlossen. Wenn das die Warteliste um etliche puristische Kulinariker verkürzt, kann man das gern hinnehmen.

Alle Aufführungen dieses Jahrgangs machen ein anderes Problem deutlich. Ob nun Hegelbrock (beim "Tannhäuser"), Nelsons, Gatti, Schneider oder Weigle am Pult des Orchesters im verdeckten Graben stehen und dessen Tücken mehr oder weniger souverän bewältigen: Die besondere Akustik des Festspielhaueses ist und bleibt der absolute Standortvorteil, weil vor allem hier die Wagnerschen Klangfluten wirklich zu betörend suggestiver Musik werden. Bei den Sängern beruhigen der exzellente Chor und das solide Fundament bei den Bässen. Doch wenn bei den strahlenden oder tragischen Helden allein Klaus Florian Vogt als Schwanenritter ohne Fehl und Tadel die Gemeinde zu Standing Ovations von den Klappstühlen reißt, mit Annette Dasch aber keine adäquate Elsa an seiner Seite hat und man einen Tristan wie Robert Dean Smith hinnehmen muss, dann verheißt das nichts Gutes. An mangelnder Kompetenz in der Führungsetage kann das nicht liegen - Eva Wagner Pasquier kennt sich ja bestens aus auf dem Sängermarkt.

Vergelts Gott

Es schlägt wohl eher ein strukturelles Problem durch, das die Bayreuther Mischung aus Privat-, Stadt- und Staatstheater mit seinen Ensembles auf Zeit und einer traditionell nicht marktüblichen Entlohnung mit sich herumschleppt. Die Zeiten, in denen die Sängerstars oder das übrige Personal ein "Vergelts Gott" von Wagners Enkel als Zahlungsmittel akzeptierten, sind ein für allemal vorbei. Da dieses Kulturfestival von Weltgeltung aber 58 Prozent seines knapp 20-Millionen-Etats (bei keineswegs überteuerten Kartenpreisen) selbst einspielt, ist eine stabile, zukunftsfähige Absicherung längst überfällig. Man kann nur hoffen, dass die Festspielleiterinnen die strukturellen Perspektiven, die allein die Qualität sichern können, nicht aus den Augen verlieren. Beim Tagesgeschäft und bei ihrem Kampf um einen Ring (-Regisseur) für das Jubiläumsjahr 2013, in dem sich Wagners Geburtstag zum 200. Mal jährt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.