GOTT UND DIE WELT VON MICHA BRUMLIKSIND DIE LIBERALKOMMUNISTEN DER SCHLIMMSTE FEIND?
: Wege zum Kommunismus

VON MICHA BRUMLIK

GOTT UND DIE WELT

Jetzt , in der Krise, wo es sogar hartgesottenen Fans von Margaret Thatcher dämmert, dass die Linke mit ihrer Kapitalismuskritik recht hatte, könnte die kommunistische Idee wieder an Attraktivität gewinnen. Indes: gerade dort, wo sich kommunistische Intellektuelle um eine Klärung der Grundlagen dieser Idee bemühen, treten Bekenntnisse zu Tage, die nur noch abstoßen. So fanden sich 2009 in London Wissenschaftler ein, um auf einer Konferenz „The idea of communism“ zu erörtern. Die Ergebnisse sind dokumentiert: C. Douzinas/Slavoj Zizek, Eds. „The idea of communism“, London 2010. Neben einer Reihe bedenkenswerter Beiträge finden sich in diesem Band jedoch Äußerungen, von denen man geglaubt und gewünscht hätte, dass sie sich erübrigt haben.

Susan Buck-Morss ist eine der besten Interpretinnen des Werkes von Walter Benjamin; ihr verdanken wir eine kürzlich erschienene, packende „postkoloniale“ Deutung Hegels, die dessen geistige Entwicklung überzeugend auf den Aufstand der Sklaven in Santo Domingo 1792 zurückführt. Allerdings: in ihrem Konferenzbeitrag plädiert sie nicht nur dafür, religiöse Traditionen in ihren emanzipatorischen Gehalten ernst zu nehmen, sondern auch, sich zumal des Werkes von Sayed Qutb anzunehmen, eines radikalen Islamisten, der 1966 nach Jahren der Haft unter dem Regime Nassers im Gefängnis erschossen wurde. Buck-Morss räumt ein, sich nicht für Qutbs Prüderie, seinen Antiamerikanismus und seinen gegen Schwarze gerichteten Rassismus, sondern für seinen „Messianismus“ zu interessieren. So weit, so schlecht – unbegreiflich muss aber bleiben, warum ausgerechnet eine Interpretin Walter Benjamins den Umstand unterschlägt, dass Qutb von einem fanatischen, exterminatorischen Judenhass besessen war.

Alain Badiou, dessen Phrase von der „kommunistischen Hypothese“ der Konferenz ihr Thema vorgab, blieb sich selbst so sehr treu, dass man ihm inzwischen alles zutraut. Inzwischen politisch (auf keinen Fall moralisch) von Maoismus und Stalinismus geläutert und auf den Spuren eines Kommunismus jenseits des Staates, greift er Nikita Chruschtschow als Vorläufer der „Neuen Philosophen“ an: „Also lasst uns nicht zögern zu sagen, dass Chruschtschows Verdammung von Stalins Personenkult ein Fehler war und dass – unter dem Deckmäntelchen der Demokratie – diese Verdammung jenen Niedergang der Idee des Kommunismus einläutete, den wir in den letzten Dekaden erlebt haben.“ Badiou begründet das damit, dass die anonymen Aktionen von Millionen Militanten im mächtigen Symbol eines Eigennamens zusammengeführt worden seien: „Stalin“.

Den Vogel jedoch schießt wie immer Slavoj Zizek ab. In einem neuen Buch stellt Zizek der künftigen kommunistischen Bewegung ihre neue Zielscheibe vor. Auf Seite 38 des Bandes „Gewalt. Sechs abseitige Reflexionen“ dürfen wir folgende, sogar Carl Schmitt übertreffenden Äußerungen lesen: „Man braucht sich nichts vorzumachen. Die Liberalkommunisten sind in jedem fortschrittlichen Kampf, der heute geführt wird, der schlimmste Feind.“ Und zwar deshalb, weil sie – etwa George Soros oder Bill Gates – genau das verkörpern, was am gegenwärtigen Kapitalismus faul sei. Gerade Leute, die so gut, antirassistisch und antisexistisch sind, stellen die schlimmste Gefahr dar. Was tun? Zizek lässt Bertolt Brecht sprechen und könnte so einem Staatsanwalt gegenüber noch immer behaupten, nur zitiert zu haben. Die letzten, von Zizek zustimmend zitierten Strophen des Gedichts „Verhör des Guten“ lauten: „So höre: Wir wissen/Du bist unser Feind/Deshalb wollen wir dich/Jetzt an eine Wand stellen. Aber in Anbetracht deiner Verdienste/ Und guten Eigenschaften/An eine gute Wand und dich erschießen mit/ Guten Kugeln guter Gewehre und dich begraben mit/ Einer guten Schaufel in guter Erde.“

Dort, wo der Philosoph selbst Verantwortung übernimmt, geht es etwas harmloser zu. Zizek erwähnt eine Episode aus der russischen Revolution: 1922 ordnete die Sowjetregierung die gewaltsame Vertreibung von führenden antikommunistischen Intellektuellen an, die schließlich auf einem Schiff nach Deutschland ausgewiesen wurden. In einer Fußnote beeilt sich Zizek, festzustellen: „Um jedes Missverständnis an dieser Stelle zu vermeiden: Ich persönlich halte die Entscheidung, die antibolschewistischen Intellektuellen des Landes zu verweisen, für absolut gerechtfertigt.“ Das sind gute, klare Worte, aus denen freilich nur eines folgt: Wenn all das Kommunismus ist, ist Antikommunismus eine vertretbare, ehrenwerte und vor allem moralisch begründbare Haltung.

■ Micha Brumlik ist Professor für Erziehungswissenschaft in Frankfurt am Main und Publizist