„Sind Teil des Systems“

AUS Das Elektroduo Mediengruppe Telekommander verabschiedet sich mit seinem neuen Album „Die Elite der Nächstenliebe“

■ Als Florian Zwietnig und Gerald Mandl aus Wien nach Berlin kamen und die Idee hatten, Electro aus dem Club, Gitarren aus dem Punk und die Intensität beider Genres zusammenzuführen, hat das zehn Jahre funktioniert. Die Mediengruppe Telekommander hat den Soundtrack zur Berliner Kreativboheme verfasst und ein paar schmissige Slogans mit Bollerei versehen, aber jetzt ist Schluss. „Die Elite der Nächstenliebe“ ist das vierte und letzte Album der Mediengruppe: Da stampfen sie Bonusbanker und Macchiato-Mütter gleichermaßen in den Boden (gewagt!) und betreiben brav Konsumkritik: „Wir wollen alles kaputt kaufen, und was wir wollen, direkt wieder umtauschen.“

■ Mediengruppe Telekommander: „Die Elite der Nächstenliebe“, (Staatsakt/Audiolith). Heute Abend live im Magnet

INTERVIEW THOMAS WINKLER

taz: Nach Ihrem neuen Album „Die Elite der Nächstenliebe“ wird Schluss sein. Fühlen Sie sich erleichtert?

Gerald Mandl: Ja, da wir dieses Album mit dem Wissen gemacht haben, dass es unser letztes sein wird, konnten wir freier an die Musik gehen. Wir haben uns nicht an ein Konzept geklammert, wie das früher der Fall war.

Florian Zwietnig: Wir haben es einfach geschehen lassen. Das ging so weit, dass wir den einen oder anderen Text gar nicht geschrieben hätten, wenn wir nicht gewusst hätten: Es ist das letzte Mal.

Zum Beispiel?

Zwietnig: Bei dem Song „Billig“ hätte man uns leicht die Konsumkritik vorwerfen können, die schon tausendmal vorher hatten. War uns aber wichtig, das zum Abschied noch mal zu sagen. Denn es geht um den Werteverfall im Allgemeinen, diese Kultur des Billigseins, die Gewissheit, dass jede Sekunde Ausverkauf ist.

Ihr Projekt kann beruhigt in die Grube fahren?

Mandl: Für uns war es ja ein Wunder, dass Musik und Texte überhaupt jemanden interessiert haben. Dass wir das zehn Jahre lang machen würden, damit hat niemand gerechnet, wir selbst schon gar nicht.

Persönlich war die Band also ein Erfolg. War sie es auch politisch?

Zwietnig: Die Frage ist die doch die: Wollten wir jemals etwas politisch erreichen? Wir wollten nie eine politische Band mit Mission sein. Die Intention war immer: Die Welt um uns herum mit einer kritischen Haltung zu betrachten. Eindeutige Haltungen sind da eher kontraproduktiv. Wir haben allzu oft gemerkt, wie wir uns selbst wiedererkennen in dem, was wir kritisiert haben. Wir sind ja keine Punkband, die mit dem Finger auf das System zeigt. Wir haben gemerkt, wir sind Teil des Systems und haben uns eher über uns selbst lustig gemacht.

Ihr neues Album ist sehr böse geworden.

Mandl: Thematisch reagieren wir darauf, dass die Verhältnisse immer schlimmer werden, dass die Schere zwischen Arm und Reich, zwischen oben und unten immer weiter auseinandergeht.

Zwietnig: Früher hatte ich immer das Gefühl, Berlin ist mein Hafen. Als wir 1998 in den Prenzlauer Berg gezogen sind, war alles unrenoviert. Wir haben das alte Berlin noch mitbekommen. Das gibt es nicht mehr. Der brutale Wandel der letzten zwei Jahre, die Beer-Bike-Kultur, dieser Party-Massentourismus auf niedrigem Niveau: Berlin ist jetzt wie Las Vegas.

Und dann noch die böse Gentrifizierung!

Zwietnig: Wir waren doch die ersten verwöhnten Weststudenten, die erhöhte Mieten bezahlt haben, weil sie für uns ein Witz waren. Heute finden Studenten aus Kopenhagen die Mieten einen Witz.

Lösen Sie sich also auf, weil alles schlimmer geworden ist?

Zwietnig: Nein, die Gründe sind differenzierter. Wollen wir noch fünf Alben mit der gleichen Haltung schreiben oder mal was anderes machen? Unser Projekt ließ aber keine Zeit für andere Aktivitäten. Das liegt auch daran, dass wir alles selber gemacht haben, vom Songschreiben bis zur Produktion.

„Kommerz hat uns so angewidert, dass wir bewusst gegengesteuert haben“

FLORIAN ZWIETNIG

Mandl: Es war äußerst schwierig, Zeit abzuzwacken für mein anderes Projekt „Tannhäuser Sterben & das Tod“.

Werden Sie neidisch, wenn Sie sehen, dass Bands wie Die Atzen mit einer von Ihnen geklauten Idee kommerziell erfolgreich sind?

Mandl: Nein, aber es ist sehr interessant, was man für Register ziehen muss, um plötzlich vor 3.000 Menschen auf Mallorca zu spielen.

Zwietnig: Wir haben gemerkt, dass wir „Bier, Bier! Saufen, Saufen!“ einfach nicht singen können. Das hat uns so angewidert, dass wir zeitweise bewusst gegengesteuert haben. Anfangs sind wir noch mit Kostümen auf die Bühne gegangen. Das haben wir sein lassen, als alle es gemacht haben.

Sie waren Ihrer Zeit also stets voraus?

Zwietnig: Das ist gut! Wenn die Presse das verbreitet, können wir mit 65 Jahren auf große Comebacktour gehen und doch noch unsere Rente reinspielen.