Im Windschatten des Krieges

1945 In „4 Tage im Mai“ erzählt Achim von Borries davon, wie sich die Fronten zwischen Russen und Deutschen in den letzten Tagen des 2. Weltkriegs verschoben

Der Film ist gespickt mit Situationen, die die Stimmungen der Niemandszeit zwischen Krieg und Frieden einfangen

VON WILFRIED HIPPEN

Das Baltikum war für das deutsche Kino bis vor Kurzem aus offensichtlichen Gründen Tabu. Volker Koepp drehte zwar in den „ehemaligen deutschen Ostgebieten“ eine Reihe von wunderschön elegischen Dokumentationen wie „Kurische Nehrung“ und „Pommerland“, aber kaum ein Regisseur siedelte die Handlung eines Spielfilms an der Ostsee an. Das hat sich in diesem Jahr schlagartig geändert. Gleich drei ambitionierte Großproduktionen haben diese Region nicht nur als malerisch, unverbrauchte Kulisse genutzt, sondern in ihnen wird auch die deutsche Geschichte in diesen Regionen aufgearbeitet. In Hans Steinbichlers „Das Blaue von Himmel“ spielte Hannelore Elsner als hysterische an Alzheimer Erkrankte (noch ein Motiv, das gerade in Mode ist) leider alles andere in den Hintergrund – so auch die Geschichte über Deutsche, die sich in den 30er Jahren an Polen schuldig gemacht haben, um die es eigentlich im Film geht. Chris Kraus hat sich dagegen in „Poll“ schon ein interessanteres Kinobaltikum zurecht gezimmert. Seine Geschichte von Esten, Russen und Deutschen in den letzten Tagen vor dem ersten Weltkrieg ist mit ihrem epischen Anspruch und den barocken Verzierungen so etwas wie eine verspätete deutsche Antwort auf „Vom Winde verweht“. Achim von Borries erzählt nun von den letzten Tagen des zweiten Weltkriegs, und wenn es für ihn ein Vorbild gibt, wird dies wohl „Die Brücke“ von Bernhard Wicki sein.

In erst vor einigen Jahren geöffneten Archiven in Russland fand sich die wahre Geschichte von einer russischen Aufklärereinheit, die im Mai 1945 gegen die eigenen Truppen kämpfte, um deutsche Frauen und Kinder zu beschützten. Was für ein Stoff: Eine Geschichte, die ein Autor wohl kaum zu Papier bringen würde aus Angst, sie würde als zu unwahrscheinlich abgetan. Hier wurde dagegen aus der kleinen, gefundenen Notiz ein großes Drama fabuliert, in dem Achim von Borries (der auch das Drehbuch schrieb) davon erzählt, wie im Krieg (der hier auch exemplarisch für andere Konflikte steht) die Fronten nicht immer zwischen den offiziellen Gegnern verlaufen muss und wie sich das Mitgefühl zu einer subversiven Kraft entwickeln kann.

Im Mai 1945 nimmt ein kleiner russischer Spähtrupp ein deutsches Kinderheim an der Ostseeküste ein. Die Bewohner des Heims arrangieren sich mit den Besatzern, aber an der Küste lagern noch deutsche Truppen. Die Soldaten auf beiden Seiten sind kriegsmüde. Alle wissen, dass durch ein Gefecht nichts mehr entschieden werden kann, und so befinden sich die beiden Truppenteile in einer Pattsituation, für die Borries ein schönes Bild gefunden hat: In einer Sequenz begegnen sich überraschend deutsche und russische Soldaten in einem Wald. Die Waffen werden gehoben, jeder ist bereit für den entsprechenden Befehl und den ersten Schuss, aber nichts passiert und die Männer ziehen aneinander vorbei. Der Film ist gespickt mit Situationen wie dieser, in denen von Borries die seltsamen Stimmungen dieser Niemandszeit zwischen Krieg und Frieden einfängt.

Es war auch ein geschickter Schachzug, alles aus der Perspektive eines 13-jährigen Jungen namens Peter zu erzählten, der als Waisenkind zweisprachig sowohl in der deutschen wie auch in der russischen Kultur aufwuchs und so zum Mittler zwischen den Fronten wird. Als Junge, der zu jung war, um regulär eingezogen zu werden, ist er der einzige, der noch begierig darauf ist, für die Deutschen zu kämpfen. Diese Widersprüche machen ihn zu einem komplexen und interessanten Protagonisten und zum Glück hat von Borries mit Pavel Wenzel einen jungen Darsteller gefunden, der in dieser komplexen Rolle immer natürlich spielt und (immer fatal bei Kinderdarstellern) nie altklug wirkt.

Entscheidend für die Wirkung des Films ist, dass er sowohl zweisprachig wie auch mit Darstellern aus Deutschland und Russland produziert wurde. Nur so kann er beiden Seiten gerecht werden, nur so werden Klischees vermieden und nur dadurch bekommt der Film seine dramatische Tiefe. Natürlich will Achim von Borries auch unterhaltsam erzählen, und so hat er die Liebesgeschichte, die nicht zwingend auch erzählt werden muss, in die Geschichte mit einbezogen. Besonders beeindruckt haben außerdem die Schauspielerführung (immerhin ja auch zweisprachig), die Arbeit an der Kamera und die Ausstattung, durch die die Epoche nie pittoresk oder nostalgisch heraufbeschworen wird.

Eine Zeitlupensequenz nach dem finalen Gefecht ist als filmästhetisches Klischee und Stilbruch die einzige Ungeschicklichkeit von von Borries. Der war zwar so pfiffig, die teuren Aktionszenen zu vermeiden und dies dramaturgisch zu begründen (der Junge hört die Schlacht nur aus seinem Versteck heraus), aber dann lässt er seine Kamera doch à la Peckinpah ganz langsam an den Verwundeten und Toten vorbeiziehen. Davon abgesehen ist dies ein reich erzählter Film über die Absurdität von Kriegen. Und dies ist leider ein immer noch aktuelles Thema.