DIE ACHSE DES FOLK VON ULRICH RÜDENAUER
Rührfaktor

Vor so jemandem hätten einen die Hippie-Eltern gewarnt: Er war ein enger Freund der Schauspieler Ronald Reagan und John Wayne, Kommunistenhasser, Nixon-Bewunderer und bibeltreuer Christ, einer, der auf der Bühne Wasser predigte, aber dahinter Drogen einwarf. Und doch: Der Country-Musiker Glen Campbell ist einer der vertrauenswürdigsten Sänger, den die sechziger Jahre hervorgebracht haben. Vor allem seine Kooperation mit der Sängerin Bobbie Gentry und mit Jimmy Webb, der eher dem feindlichen Lager der linken Langhaarigen nahestand, hat uns Aufnahmen beschert, die nicht nur weit über das Country-Gesäusel seiner Zeitgenossen hinausweisen, sondern auch einen ziemlichen Popappeal besitzen.

Ende der Sechziger war Campbell auf dem Höhepunkt seiner Karriere; begonnen hatte er einige Jahre zuvor als Studio-Gitarrist und wurde ein begehrter Background-Sänger, unter anderem für Frank Sinatra, Elvis Presley oder die Beach Boys. Kürzlich gab der mittlerweile 75-Jährige bekannt, dass er an Alzheimer leide, noch einmal auf Tournee gehen und auch ein letztes Album aufnehmen wolle. Das Ergebnis, mit Unterstützung von Freunden wie Dick Dale oder Chris Isaac entstanden, liegt jetzt vor. „I’ve tried and I have failed, Lord“, hebt der gottesfürchtige Campbell auf „Ghost on the Canvas“ programmatisch an. Mit jeder Zeile wird ein Resümee gezogen, jeder Song stellt einen Abschied dar.

Da erbittet sich das lyrische Ich mal eine Ruhepause auf der Schwelle zur Ewigkeit und bekennt, tausend verschiedene Leben gelebt zu haben. Sänger und Sänger-Ich sind hier nicht zu trennen, obwohl die meisten der Songs aus der Feder jüngerer Kollegen stammen – von Jakob Dylan etwa oder Paul Westerberg. Nicht alle Songs werden der immer noch berückenden Stimme von Campbell gerecht; aber der Rührfaktor ist ähnlich hoch wie bei den späten Alben von Campbells Weggefährten Johnny Cash.

■ Glen Campbell: „Ghost on the Canvas“ (Surfdog/Neo/Sony Music)

Haushaltsgegenstände

Vor dieser Band warnt einen die Stilpolizei: Vor zwei Jahren hat das Duo Slow Club aus Sheffield mit dem Album „Yeah So“ debütiert, pendelnd zwischen Country und Nu-Folk, Skiffle und Indie-Pop. Rebecca Taylor (Percussion) und Charles Watson (Gitarre) sangen ihre ironischen Texte etwa über die Angst, mit 40 immer noch nicht den richtigen Partner gefunden zu haben, oder über andere Liebesdesaster ähnlichen Kalibers meist im Duett, sich aufs Harmonischste ergänzend.

Slow Club firmierten bei der Presse unter Twee-Pop, und das war nicht immer freundlich gemeint – nett und süß irgendwie, aber auch belanglos. Dass dieses Urteil allerdings schon damals unfair war und heute immer noch falsch ist, beweist das gerade erschienene zweite Album des nordenglischen Duos. Auf „Paradise“ spürt man diese fast symbiotische Verbindung zweier Stimmen. Im Unterschied zu anderen Gesangspaaren werden hier nicht Gegensätze zur Spannungserzeugung produktiv gemacht, sondern es wird auf Verschmelzung gesetzt. Immer noch gibt es auf „Paradise“ die liebevollen Details, die man auch schon auf „Yeah So“ gemocht hat – Rebecca Taylor nutzt gerne Haushaltsgegenstände als Trommeln –, doch ist man vom charmant Dilettantischen abgekommen und hat die Produktion ein wenig aufgepimpt und tendiert stärker in Richtung Pop. Bei den Texten hat sich auch was getan: Neben der Liebe geht es nun manchmal ums Älterwerden und die allerletzten Dinge. Oder, um es mit Rebecca Taylor zu sagen: „Death and shagging pretty much sums this album up.“

■ Slow Club: „Paradise“ (Moshi Moshi/Roughtrade)

Kitschbarometer

Vor diesem Sänger warnt einen das Kitschbarometer: Nach seinem hinreißenden Debütalbum „The End of History“ (2006), auf dem er zur Bert-Jansch-haft gezupften Gitarre mit einer sanften Stimme kleine Geschichten erzählte, musste irgendwas passiert sein. Jedenfalls war der Nachfolger „The Shadow of an Empire“ ein Werk der Verunsicherung; die Songs lauter und aggressiver, aber weit weniger dringlich. Als hätte er beweisen müssen, dass es auch eine andere Seite von Fionn Regan gibt.

Mit „100 Acres of Sycamore“ kehrt der Ire zurück zu den bodenständigen Singer-Songwriter-Anfängen: Schöne, teils schlicht in Schönheit sterbende Songs kriechen einem manchmal ein bisschen zu gefühlsduselig in die Ohren. Da wohl bei der Produktion noch ein bisschen Geld übrig war und ein paar befreundete Musiker gerade nichts zu tun hatten, mussten die meisten der neuen Stücke in Streichersoße getunkt werden. Das ist glitschig und schade. Denn der irgendwo zwischen Bob Dylan und Nick Drake sich am Folk-Genre abarbeitende Fionn Regan hätte ruhig auf die Stärke seiner Songs und Texte vertrauen dürfen und das Album etwas puristischer inszenieren können.

■ Fionn Regan: „100 Acres of Sycamore“ (Cooperative Music/Universal)