Hören mit Schmerzen

MEHR ALS EINE SZENE Auf dem Swingfest Denovali in Essen arbeiten sich die Musiker an der Tiefenstruktur des Metal ab

Auf Denovali veröffentlichen Musiker aus England, Japan und dem Ruhrgebiet

VON CHRISTIAN WERTHSCHULTE

Die Bühne liegt im Nebel, nur ein paar Taschenlampen erleuchten die Konzerthalle auf dem alten Industrieareal im Essener Westen. Immer wieder tauchen die Umrisse eines Musikers im Lichtkegel auf. Aus dem Halbdunkel ertönt Musik im Zeitlupentakt: ein schleppender Schlagzeugrhythmus, darüber ein spärlich gezupfter Bass und immer wieder ein Rhodes-Piano — Doom Metal im Noirgewand. Dann Stille, Applaus und eine Ansage: „Wir sind Bohren und der Club of Gore – die unromantischste Band der Welt.“. Gelächter. Herzlich willkommen auf dem Swingfest Denovali.

Zum vierten Mal hat das kleine Label Denovali nach Essen geladen und zum ersten Mal sind über 500 Zuschauer aus ganz Europa gekommen. Alle stehen sie bei Bohren und dem Club of Gore vor der Bühne: der Experimentalmusiker aus Dortmund, die langhaarigen, großen Niederländer mit den schwarzen Jeans an den dürren Beinen und die Band aus Frankreich, die eigens einen Tag früher angereist ist. „Ein Besucher kommt jedes Mal aus der Ukraine“, erzählt Timo Alterauge, der Denovali mit einem Freund zusammen betreibt. “Nach 14 Stunden Fahrt fällt er uns in die Arme und sagt, dass das Festival sein Highlight des Jahres ist.“

Vielleicht ist er einfach ein loyaler Fan der Musik, an denen sich die Künstler auf dem Swingfest als Tiefenstruktur abarbeiten: Metal. Der Elektrominimalismus des Dortmunders Thomas Köner ist zwar institutionell mittlerweile in der Medienkunst angekommen, wirkt aber mit seinem Weg über immer tiefere Bassschwingungen auch wie auf der Suche danach, den öden Alltag in Richtung Intensität zu transzendieren. Hören mit Schmerzen. Die italienischen Sludge-Metaller Lento waten durch allerlei Gitarrendreck, bis es ihnen zum Ende schließlich zu albern wird und das Feedback nur noch aus dem kurzgeschlossenen Klinkenstecker kommt.

Eigentlich ist es merkwürdig, dass aus dieser dann doch recht disparaten Mischung an Musikstilen so etwas wie eine Szene entstehen kann. Aber wer zwischen den Auftritten an den Merchandise-Ständen entlangwandert, dem fallen die Gemeinsamkeiten sofort ins Auge. Alle Releases sind opulent gestaltet, ohne überladen zu wirken. Auf den LP-Covern entdeckt man die Detailversessenheit von Metal-Bandlogos, die aber zugleich modernistisch reduziert daherkommt — und in dieser Formsprache offensichtlich transnational wirkt.

Auf Denovali veröffentlichen Musiker aus England, Japan und dem Ruhrgebiet. „Wir organisieren unser Label zwar über das Internet, aber ein MP3 habe ich mir noch nie gekauft“, gibt Timo Alterauge zu. Stattdessen lassen Denovali am liebsten als Vinyl in einer Auflage von 500 bis 2.000 Stück pressen. Mittlerweile ist das Hobby ein prekärer Fulltime-Job geworden. Gestaltet werden die Releases von Grafikern im Freundeskreis, gelagert werden sie im Keller der Eltern. Und so geht es vielen hier. Man hegt ein Unbehagen an der musikalischen Engstirnigkeit von Szenen, schätzt aber ihren unkomplizierten Support und die persönlichen Kontakte.

In dieser Atmosphäre ist Höflichkeit dann auch mehr als nur selbstverständlich. Hauschka bedankt sich fleißig bei Veranstaltern und Inspirationsquellen, während er seinen Flügel mit Ping-Pong-Bällen oder Klebeband präpariert, um seine polyrhythmischen Tracks ohne Unterstützung durch Sequenzer zu performen. Die britische Band Hidden Orchestra wirkt am Ende ihres fulminanten Sets fast schon ein wenig verschämt, als das Publikum sie nach einer Stunde voller Dubbässe, Jazz-Grooves und Sixties-Synthesizer mit stehenden Ovationen verabschieden muss, weil die Doom-Overlords von Sunn O))) die Bühne für sich beanspruchen. Das Publikum muss für deren Soundcheck den Saal räumen, 90 Minuten nach geplantem Showbeginn sind die Türen immer noch verschlossen. Gut, dass solche Divenhaftigkeit die Ausnahme auf dem Swingfest blieb.