„Kommunikation ist die selbstloseste aller Kunstformen“

INTERVIEW Abbas Kiarostami im taz-Gespräch über universelle Kunst, Kaffeesatzlesen in Filmen und fehlendes Verständnis zwischen Frau und Mann

■ 1940 in Teheran geboren. Er ist der bekannteste und erfolgreichste Filmregisseur aus dem Iran. Zu seinen Spielfilmen zählen „Wo ist das Haus meines Freundes?“ (1987), „Quer durch den Olivenhain“ (1994) und „Der Geschmack der Kirsche“, für den er bei den Filmfestspielen in Cannes die Goldene Palme erhielt.

taz: Herr Kiarostami, was hat Sie als Humanisten dazu bewogen, zwischenmenschliche Beziehungen durch die europäische Kunst zu betrachten?

Abbas Kiarostami: Ich möchte Kunst nicht geografisch verorten. Kunst ist universal, sie erstreckt sich wie der Himmel über allen Menschen. Ich hätte denselben Film genauso in China drehen können. Entschuldigen Sie, wenn Sie ein wenig mit der politischen Situation im Iran vertraut sind, verstehen Sie meine Antwort vielleicht und sie würde in Ihren Ohren nicht so unhöflich klingen.

Keine Sorge, ich empfinde Ihre Antwort nicht als unhöflich. Lassen Sie mich meine Frage allgemeiner formulieren. Sie versuchen in „Die Liebesfälscher“ Kunst und Liebe ineinander zu spiegeln, und Sie benutzen als Medium die Beziehung von Juliette Binoches und William Shimells Charakteren. Was entnehmen Sie diesem Dialog?

Kommunikation ist meiner Ansicht nach die selbstloseste und reichste aller Kunstformen. Würden wir dieselbe Aufmerksamkeit und Mühe, mit der wir in der Kunst nach Bedeutung und Erkenntnis über die condition humaine suchen, manchmal unseren Mitmenschen entgegenbringen, ich bin überzeugt davon, dass es uns dann möglich wäre, eine tiefere, intensivere Verbindung mit anderen Menschen einzugehen.

Sie sagten gerade, dass Ihr Film „Die Liebesfälscher“ überall spielen könnte. Auf einen Europäer macht Ihr Film jedoch den Eindruck, als würden Sie auf eine europäische Kinotradition Bezug nehmen.

Mein Film weist weit über Europa hinaus. Er spielt in Italien, gleichzeitig unterhalten sich die Figuren aber in der überall verständlichen Weltsprache Englisch. Wer sagt denn, dass Da Vincis Mona Lisa, um eine Referenz aus dem Film nochmals aufzugreifen, nur Europa gehört? Ich bin mir sicher, dass sie auch im Schulbuch eines Fünftklässlers in China eine Abbildung der Gioconda finden werden. Die Referenzen meines Filmes sind in einer europäischen Tradition verwurzelt, das ist richtig, aber sie sind auch Teil eines kollektiven Gedächtnisses.

Sie reagieren mit Ihrem neuen Film nicht auf bestimmte Motive aus der europäischen Kinogeschichte?

Ich versichere Ihnen, ich bin kein Mann der Reaktion. Die Kunst ist ein Ort des Handelns.

Das Treffen zwischen William Shimell und Juliette Binoche beginnt ganz unverbindlich. Sieht man sich den Film erneut an, fallen einem kleine Ungereimtheiten im Verhalten der Figuren auf, die rückblickend ein neues Licht auf ihre Beziehung werfen. Stehen solche Details im Skript, oder entsteht so etwas spontan beim Dreh?

Wenn Sie sich meinen Film mehrmals ansehen, kann es durchaus passieren, dass in Ihrem Kopf neue Verbindung entstehen, die Sie dann mit Bedeutung aufladen. Ich aber habe meinen Film nur einmal, unter sehr kontrollierten Bedingungen, gedreht. Es lag nicht in meiner Absicht, Hinweise in meinen Film einzubauen. Es ist jedoch völlig legitim, in einem Film wie in einem Kaffeesatz zu lesen.

Aber Sie können nicht bestreiten, dass Sie die Zuschauer über das Verhältnis Ihrer Figuren lange im Unklaren lassen. Sie sagen also, es gibt im Film keine Hinweise, die Aufschluss über die Beziehung der beiden geben könnten?

Die Antwort auf Ihre Frage ist ganz einfach. Ich zeige zwei Stadien einer Beziehung in chronologischer Reihenfolge, verzichte jedoch auf klassische filmische Mittel wie Flashbacks oder Schriftinserts. In der ersten Hälfte des Films lernen der Mann und die Frau sich kennen, die zweite spielt fünfzehn Jahre später, als sie bereits wieder getrennt sind.

Damit haben Sie gerade das schöne Geheimnis Ihres Filmes verraten.

Es gibt kein Geheimnis. Das Mysterium liegt nicht im Film selbst oder im Spiel der Darsteller, sondern höchstens in seiner Struktur. Ein einziger Titel – 15 Jahre später – oder eine Überblende, um einen Zeitsprung zu suggerieren, würde diese Struktur wieder in bekannte Konventionen überführen. Und plötzlich hätten wir es mit einer einfachen Liebesgeschichte zu tun, die keine Fragen aufwirft. Es war allerdings nicht meine Intention, den Zuschauer hinters Licht zu führen. Ich wollte vielmehr den Beweis für Robert Bressons Diktum erbringen, dass wir nicht mit Addition, sondern durch Reduktion kreieren.

Dann ist Ihr Film eine ganz normale Liebesgeschichte?

Ich hoffe, ich werde nie eine konventionelle Liebesgeschichte verfilmen. Der Sinn einer Liebesgeschichte besteht doch darin, in der Beziehung zu einem Menschen auch persönlich zu wachsen und zu einer Erkenntnis zu gelangen. Wenn uns das nicht gelingt, werden wir am Ende lediglich mit unserem eigenen Scheitern konfrontiert. Ich möchte dem Zuschauer also eine Erkenntnis vermitteln. Man könnte sagen, dieser Anspruch verbindet alle meine Filme.

Und worin besteht dann die Erkenntnis in „Die Liebesfälscher“?

Sie lautet, dass Männer und Frauen sich niemals verstehen werden. Das ist eine gewaltige Erkenntnis. Ist sie nicht auch ein schöner Schlussgedanke für das Interview? Ich jedenfalls weiß ihn sehr zu schätzen.

INTERVIEW: ANDREAS BUSCHE