UNTERM STRICH

Unbedingt lohnend: die Dankesrede des Büchnerpreisträgers Friedrich Christian Delius nachzulesen. Gestern stand sie in der SZ. Delius gibt darin nicht nur ein redliches intellektuelles Porträt seiner selbst, sondern des Mainstreams seiner Intellektuellengeneration gleich mit. Wie er das Aufbegehren der frühen Jahre – die Demonstration vor dem Berliner Amerikahaus 1966, die Delius später literarisch verarbeitete – nahtlos in die Tradition des rebellischen Georg Büchner stellt; dann aber auch gleich den Büchner’schen Fatalismus in die eigene Melancholie übersetzt, bei der 68er-Revolte „nur“ als Beschreibender dabei zu sein: Das Alleinsein und die „Meinungsvorsicht“ benennt Delius als erste Voraussetzungen, um zu schreiben. Wie Delius dann aber in der Gegenwart alle Meinungsvorsicht umstandslos wieder aufgibt und die aktuelle unübersichtliche gesellschaftliche Situation ganz schnell auf ein paar Begriffe bringen kann: Lobbyismus, Marktblödheit, Bio-Biedermeier, Rendite-Radikalismus. So eindringlich die Schilderung der eigenen Anfänge im Geiste Büchners gerät, im zweiten Teil der Rede wird nicht mehr analysiert, warum etwas so ist, wie es ist; Delius beklagt nur noch, dass die Realität nicht so ist, wie sie sein sollte: „Büchners Valerio weiß auch hier den passenden Satz: ‚Der Weg zum Narrenhaus ist leicht zu finden.‘“ Der Mut der Anfänge und dann das bei aller Benennung der aktuellem Problemlagen intellektuell hilflose Einfädeln in den aktuellen Empört-euch-Mainstream – beides findet sich in dieser Preisrede wieder. Und zum Schluss denunziert Delius noch schnell das Internet, als Null-und-Eins-Welt, als Ausdruck des Schwarmverhaltens, dem die Differenziertheit und der Eigensinn der Literatur per se entgegenstehen.