Regisseur Kristian Smeds über Europa: "Da ist nichts als Angst"

Der finnische Regisseur Kristian Smeds ist Gast auf dem Nordwind Festival in Berlin und Hamburg. Er fragt sich, wie man Theater in einer Welt machen kann, die selbst schon großes Theater ist.

Asterix als Vorbild: Der finnische Theaterregisseur Kristian Smeds. Bild: smedsensemble

taz: Herr Smeds, Sie sind nach Berlin und Hamburg als Teil des Nordwind Festivals eingeladen, das Performer der skandinavischen Länder vorstellt. Fühlen Sie sich wohl als Repräsentant Skandinaviens?

Kristian Smeds: Der Festivalrahmen ist in Ordnung. Finnland ist schon anders als die anderen skandinavischen Länder. Wir kommen mehr aus dem Osten und unterscheiden uns in der Mentalität, der Sprache, in dem Erbe. Auch dass wir die längste Grenze mit Russland gemeinsam haben und eine gemeinsame Geschichte mit Estland, Russland, Deutschland bedeutet viel.

Auf dem Nordwind Festival läuft Ihre Performance "12 Karamasows" nach Dostojewski, die auf einen Workshop mit Schauspielstudenten zurückgeht. Sie haben oft gesagt, dass die russische Kultur der finnischen Seele nahe ist. Wie meinen Sie das?

geboren 1970, wurde in den letzten vier Jahren zum international bekanntesten Theaterregisseur und Dramatiker Finnlands. Er hat an großen Stadttheatern, auch am finnischen Nationaltheater gearbeitet und ein eigenes Ensemble. Er arbeitet oft mit Schauspielern aus Estland und Litauen zusammen, adaptiert Dramen von Tschechow, Texte von Dostojewski und schreibt eigene Stücke. Als erster skandinavischer Regisseur erhielt er 2011 den europäischen Theaterpreis in der Rubrik "Neue Realitäten im Theater".

Die russische Literatur ist uns über die Jahre nahe geblieben, unseren Herzen, wir haben einen ähnlichen Blick auf die Welt. Und wir teilen mit der russischen Kultur eine besondere Art der Melancholie.

Können Sie die Aufführung "12 Karamasows" beschreiben?

Nun, sie funktioniert wie ein Zauberspruch für die guten Dinge in einer schlechten Welt. Das ist eine Art Energiebombe. Das Ziel ist, ein positives Chaos zu erzeugen. Die Szene ist wie eine Sauna eingerichtet, das Publikum sitzt an drei Seiten um die Darsteller herum. Die im Zentrum erzeugen die Hitze, die Energie, die zwischen allen fließen soll, viereinhalb Stunden lang.

Warum wie eine Sauna?

Die Sauna ist ein Ort der Stille, der Reinigung und bestenfalls auch der Meditation.

Sie haben sich in Ihren Texten und Projekten oft mit dem Verhältnis von Finnland zu Europa beschäftigt. Ein Projekt hieß "Mental Finnland - eine schwarze Komödie über das Jahr 2069". Da ist ganz Europa von EU-Truppen besetzt, die überwachen müssen, dass kein Land in seine kulturellen Traditionen zurückfällt …

… das ist eine Übertragung des Asterix-Comics. Und da man in Belgien Comics liebt …

Aber es ist auch eine sehr finstere Version von Europa.

Einige estnische und finnische Performer lebten dort in einem Container wie im gallischen Dorf und beharrten auf ihrer Kultur und ihrem Erbe. Viele Leute nahmen das sehr ernst, als einen konzeptuellen Wurf, aber ich fragte sie dann: Lest ihr so auch Asterix? Wenn es um Theater geht, dann wird alles gleich mit viel mehr Gewicht gewertet. Aber ich suche nach der Leichtigkeit auf der Bühne, wie sie in der Comedy, im Comic existiert.

Aber dieses aus Asterix geliehene Bild, die Truppen, die ganz Europa besetzten und den regionalen Kulturen feindlich gesinnt sind, geht das auf eine besondere Angst vor Europa in Finnland zurück?

Na, schauen Sie sich Europa an, da ist gerade nichts als Angst. Die Basis, das Geld, fliegt weg, die Bürger können nichts tun, die Politiker auch nicht. Der Wind kommt mal von hier, mal von dort, die Politiker wirbeln umher wie Blätter im Herbst. Merkel weht hierhin, Sarkozy dorthin … Und jeder, der hier lebt, das Essen auf dem Tisch haben will, die Miete bezahlen und den Kindergarten, sieht das um sich herumfliegen. Den ganzen Herbst über schwebt das über uns. Als Bürger und als Künstler sage ich, das ist so langweilig.

Wirklich?

Ja, ein langweiliges Stück, von gut bezahlten Politikern gespielt. Jeder starrt dahin. Deshalb steckt da auch eine große Frage für uns drin: Wie können wir Theater in einer Welt machen, die selbst schon ein so großes Theater ist? Die den ganzen Raum einnimmt. Dagegen ist jeder Schauspieler nur ein Schatten.

Also ist die Angst vor Europa nichts, was besonders für Finnland gilt?

Die Frage von Europas Zusammenhalt ist die der ganzen Welt, und die Frage der ganzen Welt ist die des Geldes. Wenn man über Geld redet, dann redet man über das fiktionale Geld, Geld ist eine Fiktion geworden. Das reale Geld, das jemand verdient für reale Arbeit, wie Straßen zu reinigen, das ist so wenig, das lässt sich dazu gar nicht mehr ins Verhältnis setzen. Das ist das Problem, in diesem Dschungel der Fiktionen zählt die Realität nicht mehr.

Das muss doch gerade für das Theater eine Herausforderung sein.

Ja, ich bin ja selbst ein Fiktionmacher. Und mit meinen Kollegen suche ich danach, mit dem Publikum selbst eine Realität zu schaffen. Das klingt vielleicht sentimental oder idealistisch, aber ja, darum geht es.

Die Natur von Finnland und langen dunklen Tagen, das spielt in Ihren Arbeiten eine große Rolle. Hat das mit der Sehnsucht nach Realität zu tun?

Ich komme aus dem Norden von Finnland, wo es ein halbes Jahr lang total dunkel ist und kalt. Dann kommt der Frühling, alle Tiere ficken, machen Babys, einen Monat lang, dann ist bald schon wieder Herbst, und der Tod kommt. Diese Dynamik, die ist in der Natur, und die ist in mir, natürlich hat das auf die Arbeit Einfluss, als Autor, als Regisseur, auf die Themenwahl.

Als im April in Finnland gewählt wurde, erlangte die rechtspopulistische Partei "Die Wahren Finnen" 19 Prozent. Das hat man hier mit Überraschung und Schrecken wahrgenommen. Worin sehen Sie deren Popularität begründet?

Die Leute vertrauen den Politikern nicht mehr. Sie wollten denen eins auswischen, aus dem Gefühl heraus, nicht gehört zu werden. Davon hatten sie die Schnauze voll. So war dieses Ergebnis keine Überraschung.

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