Kinder lieben klassische Erzählweisen

FILM Achtung, Kommerz greift Filmkunst an! Eine etwas schlichte Diskussion über Drehbücher

Richard Blank schrieb eine Streitschrift gegen die viel gelesenen Drehbuchgurus

Schlicht und einfach „Screenplay“ heißt das erste Buch Syd Fields, des vermutlich einflussreichsten „Drehbuchgurus“. Seine Ratgeberliteratur und die seiner zahlreichen Nachahmer haben seit den 80er Jahren einen Siegeszug durch die Filmhochschulen zuerst Nordamerikas, dann der restlichen Welt angetreten. Die Autoren legen ihren Lesern (unter anderem) nahe, ihre Drehbücher an einer „Dreiaktstruktur“ auszurichten und entlang der Konfrontation eines individualisierten Helden mit einem ebensolchen Gegenspieler zu gestalten – und predigen damit gleichsam eine auf ein formales Regelwerk verkürzte Variante der aristotelischen Poetik.

Der deutsche Autor Richard Blank schrieb eine Streitschrift gegen die Gurus, „Drehbuch: Alles auf Anfang. Abschied von der klassischen Dramaturgie“, die am Sonntagnachmittag Gegenstand einer sehr gut besuchten Gesprächsrunde in der Berliner Akademie der Künste war. Der Buchautor und (hauptsächlich Fernseh-)Regisseur Blank beschrieb das Aufkommen der Drehbuchgurus durchaus schlüssig als Teil einer Rekonsilidierungsstrategie der amerikanischen Filmindustrie nach den wilden Jahren New Hollywoods. Der ungefähr gleichzeitig beginnende allmähliche Bedeutungsverlust des europäischen Autorenfilms und die schrittweise „Verslottung“ der vorher ästhetischen Experimenten nicht immer abgeneigten staatlichen europäischen Fernsehkanäle legen nahe, dass die normversessene Ratgeberliteratur auch in den kulturpolitischen Gremien hierzulande nicht nur auf taube Ohren stieß.

Attacke des „amerikanischen Kulturimperialismus“!

Weit über das Ziel hinaus schoss Blank allerdings in seinen Versuchen, die formalen Prinzipien des klassischen Dramas in der US-amerikanischen Nationalpsyche und sogar Außenpolitik zu verankern. In seinen Ausführungen kollabierte selbst die – unbedingt zu begrüßende – ästhetische Kritik am aktuellen Zustand deutscher Fernsehkrimis immer wieder in allumfassende Attacken gegen den „amerikanischen Kulturimperialismus“. Viele interessante Fragen drohten daneben gelegentlich unterzugehen; zum Beispiel die danach, warum deutsche Filmschulen sich überhaupt an amerikanischen Industriestandards orientieren sollten, wo doch hier mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen höchstens das staatlich subventionierte Imitat einer Filmindustrie existiere.

Die Voraussetzungen für eine konfrontative Auseinandersetzung über den Zusammenhang von Kulturpolitik und Ästhetik waren eigentlich vorhanden, schließlich saß einer der Angegriffenen mit Blank auf dem Podium. Oliver Schütte schreibt – neben eigenen Skripts – Ratgeberliteratur („Die Kunst des Drehbuchlesens“) und unterrichtet an der Filmakademie Baden-Württemberg. Die Drehbuchregelwerke verteidigte er ganz positivistisch mit der angeblich empirisch nachweisbaren Wirkung bestimmter narrativer Mittel auf den Zuschauer. In der anschließenden Diskussion ging es dann oft in eine ähnliche Richtung, unter anderem wurde ein „natürliches Bedürfnis des Menschen nach erzählten Geschichten“ behauptet. In einer eher bizarren Gesprächswendung wurde darüber gestritten, ob und warum Kinder „klassisch erzählte“ Geschichten bevorzugten; weshalb sich Drehbuchautoren in Deutschland und anderswo ausgerechnet an den ästhetischen Prävalenzen von Siebenjährigen orientieren sollten, wurde nicht hinterfragt.

Als gegen Ende des Gesprächs einmal die beiden Positionen auf die mehr als nur unglückliche, leider aber im Kontext der Veranstaltung recht einleuchtende Formel „Kommerz und Amerikanisierung gegen die Filmkunst“ gebracht wurden, wirkten die beiden anderen, aus der filmischen Praxis kommenden Diskussionsteilnehmer etwas verloren. Der achtzigjährige Drehbuchautor und, wie man am Sonntag feststellen konnte, begnadete Aphoristiker Wolfgang Kohlhaase, verantwortlich für die Skripte zahlreicher Defa-Klassiker, plädierte für eine flexible Form, die sich den Erfordernissen des jeweiligen Themas anzupassen habe. Und der Regisseur und Drehbuchautor Benjamin Heisenberg, der 2010 mit seinem bisher letzten Film, „Der Räuber“, im Wettbewerb der Berlinale vertreten war, gab zwar zu, die umstrittenen Bücher zu besitzen, konnte sich aber nicht daran erinnern, sie tatsächlich einmal gelesen zu haben.

LUKAS FÖRSTER

■ Richard Blank: „Drehbuch: Alles auf Anfang. Abschied von der klassischen Dramaturgie“. Alexander Verlag Berlin 2011, 184 Seiten, 19,90 Euro