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Sing Inge Sing Deutschland 2011, Regie: Marc Boettcher

Kaum einer kennt sie, dabei war sie eines der großen Jazztalente Deutschlands. Die Sängerin Inge Brandenburg hat nicht etwa eine große Karriere gemacht wie ihre Kollegin und Zeitgenossin Caterina Valente. Sie war schon so vergessen, dass der zufällige Fund eines alten Albums mit ihren Autogrammkarten auf einem Flohmarkt der Auslöser dieses Films wurde, für den der Regisseur Marc Boettcher vier Jahre lang recherchierte. Diese Arbeit war so gründlich, dass im Film nun manchmal schon allzu genau die Lebensgeschichte der Sängerin erzählt wird – ein paar Zeitzeugen weniger hätten auch gereicht und mit einer Spielzeit von zwei Stunden ist der Film deutlich zu lang geraten. Aber es wird auch schnell erkennbar, dass dies nicht nur eine Dokumentation, sondern auch ein Dokument ist – dass hier möglichst viele Auftritte von Inge Brandenburg veröffentlicht werden sollen, denn jeder einzelne von ihnen belegt, was für eine außergewöhnliche Musikerin und Performerin sie gewesen ist. Diese Originalaufnahmen mit den Interpretationen vieler Standards aus dem Songbook des amerikanischen Jazz bilden das Zentrum des Films – und es überrascht, wie zahlreich und wie gut diese Ausschnitte aus Fernsehproduktionen, Spielfilmen, Konzertmitschnitten und Features sind. Durch sie bekommt man zumindest eine Ahnung von der Originalität und stimmlichen Ausdrucksstärke dieser Frau, für deren außergewöhnliches Talent es im Deutschland ihrer Zeit einfach nicht genügend Publikum gab.

Boettcher erzählt ihre Lebensgeschichte und er beginnt früh in ihrer Kindheit. Die Eltern waren arm und wurden beide im Dritten Reich verfolgt und umgebracht. Danach wuchs sie als Heimkind auf und wurde auf der Flucht aus der sowjetischen Besatzungszone vergewaltigt. In Westdeutschland entdeckte sie dann die Jazz-Musik und begann bald in amerikanischen Tanzclubs zu singen. Boettcher zeichnet ihre Karriere mit den wenigen Hochs und vielen Tiefs akribisch genau nach. Dabei beeindruckt die Sorgfalt, die er bei der Auswahl der Dokumente, des Archivmaterials und der Zeitzeugen an den Tag legt. Nebenbei wird hier auch am Beispiel Inge Brandenburgs eine kleine Kulturgeschichte der populären Musik im Nachkriegsdeutschland ausgeführt – wobei das mangelnde Interesse der Deutschen an gutem Jazz und die ständigen Lockungen durch den Schlagerkommerz die Leitmotive sind. Erzählt wird aber auch die tragische Geschichte einer extrem komplexen und widersprüchlichen Frau, die so kompromisslos für ihre Art von Musik eintrat, dass sie schließlich nicht nur kommerziell scheitern musste. Und dennoch ist der Film nicht deprimierend, denn immer wieder sieht und hört man, wie Inge Brandenburg den Jazz singt – und dies tut sie mit solch einer intensiven Freude an der Performance, dass spürbar wird, dass sie zumindest in den Momenten, in denen sie ein Mikrophon vor sich hatte, ein glücklicher Mensch gewesen sein muss.Der Film läuft täglich um 15.45 Uhr im 3001 Kino, Schanzenstraße 75