„Das Problem ist durch die Privatisierung entstanden“

STADTPLANUNG Arno Brandlhuber ist Architekt und Stadtplanungskritiker. Ein Gespräch über geförderte Besitzer und vertriebene Besetzer, das Townhouse und sein Image, die Fiktion vom „neuen Stadtbürger“, berlinische Tugenden und die Umverteilung von Grund und Boden aus öffentlicher in private Hand

■  Der Architekt: Arno Brandlhuber, geboren 1964, ist Gründer des Büros Brandlhuber+ (2006). Seine Bauten reichen vom Neanderthal Museum in Mettmann (1996) bis zum Haus in der Brunnenstra- ße 9 in Berlin (2010), für das er aus einer Investitionsruine mit günstigen Materialien und existenter Substanz einen „bewohnbaren Rohbau“ schuf.

 Der Theoretiker: Brandlhuber ist Lehrstuhlinhaber für Architektur und Stadtforschung an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. Er hat das Projekt Akademie c/o mitbegründet, das sich mit der Raumproduktion der Berliner Republik beschäftigt. Raumproduktion wird dabei als das „Ordnen von sozialen Beziehungen durch Gebautes“ verstanden. Aus dieser Perspektive definiert sie Architektur vor allem über die Frage des Gebrauchs, des Nicht-, Warum- und Für-wen-Bauens.

 Der Kritiker: In einem öffentlichen Brief vom 10. 2. 2011 baten die Mitglieder der Akademie c/o die Berliner Spitzenkandidaten, Position zur Bebauung des Schinkelplatzes, zur Veräußerung von Immobilien und Liegenschaften der öffentlichen Hand und zur öffentlichen Förderung des Wohnungsbaus zu beziehen. Die bis zum 20. 2. 2011 erbetenen Antworten sollen als Wahlentscheidungshilfe dienen. www.akademie-co.org

INTERVIEW JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

taz: Herr Brandlhuber, für Sie manifestiert sich im Townhouse eine ganz bestimmte Stadtpolitik, die Sie nicht gutheißen. Warum?

Arno Brandlhuber: Am Friedrichswerder in Berlin-Mitte wurden große Flächen der öffentlichen Hand auf 6,5 Meter Breite klein parzelliert und zur Erstellung von Townhouses an „neue Stadtbürger“ veräußert, wie die privaten Bauherren vom damaligen Senatsbaudirektor Stimmann genannt werden. In der Stadtmitte werden so öffentliche Grundstücke privatisiert und all jene, die nicht über den passenden ökonomischen Background verfügen, kommen hier nicht zum Zug. Dies ist ein gezielter, steuernder Vorgang, auf der Grundlage bewussten politischen Willens. Das Townhouse steht damit synonym für eine stadtpolitisch gewollte Umverteilung von Grund und Boden in zentralen Lagen aus der öffentlichen in eine privilegierte private Hand. Kritischerweise wird hier nicht auf Mischung gezielt, sozial wie hinsichtlich des Programms, sondern auf eine homogene Nutzerschicht.

Homogenität und Privatisierung, gibt es noch weitere Kritikpunkte?

Das Gemeinwesen wird als eine an Eigentum geknüpfte Teilhabe definiert. Der „neue Stadtbürger“, Nutzer wie Eigentümer der „neuen Parzelle“, soll letztendlich die Verantwortung für die Stadt übernehmen. Im Gegenzug zieht sich die öffentliche Hand zurück. Öffentliche Gestaltungsoptionen werden zunehmend aufgegeben. Andere Eigentumsformen wie etwa eine Vergabe der Flächen im Erbbaurecht oder genossenschaftlich organisierte Neubauvorhaben finden so gut wie keine Berücksichtigung.

Das Townhouse-Modell etabliert sich gerade in Berlin, während es an anderen Konzepten fehlt.

Will man in Berlin mit der Sozialdemokratie weitgehend sympathisieren, fällt dies im Bereich Stadtentwicklung dann richtig schwer, wenn die Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus hier völlig ohne neue Modelle auskommt. Ohne dass andere Gestaltungsoptionen formuliert werden, die eine soziale Mischung verfolgen. Steigende Mietpreise könnten nur dann als positives Signal verstanden werden, wenn parallel auf ungewollte Verdrängung reagiert wird. Zürich beispielsweise will vor diesem Hintergrund den Anteil der geförderten Wohnungen von 25 auf 30 Prozent erhöhen. Ich glaube, dass hinreichend Wohnungen in der öffentlichen Hand verbleiben müssten, um ein Regulativ zum Markt gewährleisten zu können.

Können Sie ein Beispiel geben?

Bei der Räumung der Liebigstraße 14 wird klar, wie unnötigerweise verkompliziert die Situation ist. 1999 wurde das Gebäude von der öffentlichen Hand – die lange zuvor das Verhältnis mit Mietverträgen legalisiert hatte – an die private veräußert. Natürlich überwiegen dann die Eigeninteressen, dass heißt die Optimierungsansätze gehen in Richtung ökonomischer Natur, die über den rechtlich verankerten Eigentumsschutz zu diesem Ende führen müssen. Wenn jetzt, zur anstehenden Räumung befragt, nur noch die Rechtmäßigkeit zu konstatieren ist, wird übersehen, dass der eigentliche Problempunkt durch die Privatisierung entstanden ist. Die Förderung spezifischer mit Berlin verbundener Wohnmodelle wäre hier ganz einfach zu haben gewesen, schlicht durch den Verzicht auf Privatisierung.

Es scheint fast so, als wenn die Politik der zunehmenden Privatisierung ohnmächtig zusieht.

Privatisierung ist eine aktive und bewusste Handlung. Aus diesem Grund sind die Spitzenkandidaten der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2011 als wichtige Wahlentscheidungshilfe aufgefordert, ihre Pläne zur zukünftigen Vergabepraxis von Liegenschaften im öffentlichen Besitz deutlicher zu erklären.

Sie sehen auch skeptisch auf das Bieterverfahren am Schinkelplatz, bei dem eine Baugesellschaft mit ihrem Gebot jetzt in mehrfacher Hinsicht zu ihrem Vorteil von den Bebauungs- und Rahmenplänen abweicht. Auf vier statt auf sieben Parzellen möchte sie freistehende und nicht blockrandständige Stadtvillen mit einer um 5.000 Quadratmeter erweiterten Nutzfläche bauen und bietet dafür aus ihren Mitteln die Wiedererrichtung der Bauakademie an.

In diesem Fall ist es eben nicht so, dass Privatleute Berlin die Bauakademie schenken. Eher müsste es umgekehrt heißen: Berlin schenkt diesen Privatleuten die Bauakademie, denn der geschätzte Marktwert der zusätzlichen Nutzfläche übersteigt das zugesagte Budget für die Errichtung der Bauakademie. Zudem soll auch das Gebäude der Bauakademie selbst in den Besitz dieser Initiative übergehen. Aber auch inhaltlich sollte eine Bauakademie nicht privatisiert werden. Als eine Gruppe engagierter Architekten bitten wir die Verantwortlichen, nun über ein Moratorium nachzudenken.

Die Verantwortlichen sind die politischen Vertreter für Vermögenswerte der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Berlin: Wolfgang Schäuble, Ulrich Nußbaum, Jürgen Gehb und Holger Lippmann, der Geschäftsführer des Liegenschaftsfond?

Gemeinsam mit denen, die an anderer Stelle mit dem Vorgang zu tun haben.

Neoklassizistische Großvillen sind das materielle und geistige Gut von einigen wenigen

Was würden Sie dort gern sehen?

Wir wollen ganz sicher keine alternativen Bauvorschläge für ein Schlosscamp machen. An dieser Stelle können aber Ziele des Gemeinwesens deutlicher gegen private Interessen formuliert werden. Und es wird inzwischen sehr deutlich, dass neoklassizistische Großvillen das materielle und geistige Gut von einigen wenigen sind. Auf der anderen Seite haben sich aber typisch berlinische Qualitäten auf breiter Basis entwickelt.

Welche wären das?

Die Kompetenz im Umgang mit Zwischenräumen, Nachnutzungen, temporären Nutzungen. Strategien in der Erfindung und Ermöglichung neuer kultureller Praxen. Die Fähigkeit, die unterschiedlichsten räumlichen Qualitäten zusammen zu denken. Aber auch die stetige Diskussion um Teilhabe.

Und neue Förderungsmodelle?

Berlin traut sich eine neue Internationale Bauausstellung zu, aus gutem Grund. Eine, die auf die spezifisch berlinischen Kompetenzen setzt. Nicht auf massive Bezuschussung. Eine Förderung von Modellen beteiligender Praktiken, inkludierender Stadtentwicklung. Wenn man Modelle der Teilhabe gestalten will, geht das auch hier nur, wenn die öffentliche Hand in Berlin noch über eigene Grundstücke verfügt. Wenn es keine mehr gibt und das letzte Steuerungsinstrument die steuerliche Seite ist, dann gibt es nichts mehr zu tun.