Der Preis des Geldes

Anmerkungen zu seiner Kulturgeschichte

Der Ursprung des Geldes liegt im Kultus. Einer der Ursprünge des Geldes ist der Opferkult, der sakrale Kult Gut wäre, wenigstens eine gewisse Skepsis, Zweifel, Glaubenszweifel gegenüber dem Geld zu haben

VON GABRIELE GOETTLE

Der Kapitalismus ist vermutlich der erste Fall eines nicht entsühnenden, sondern verschuldenden Kultes. Walter Benjamin

Christina von Braun, Prof. Dr. phil., Kulturwissenschaftlerin, Gender-Theoretikerin, Filmemacherin und Autorin. 1944 in Rom geboren und protestantisch getauft, verbrachte sie ihre ersten 5 Jahre im Vatikan (wo ihr Vater, der Bruder Wernher von Brauns, im diplomatischen Dienst des Botschafters des Heiligen Stuhls, E. v. Weizsäcker, stand). Christina von Braun besuchte die Schule in Deutschland und England. Ihr Studium der Politikwissenschaften und Soziologie absolvierte sie in den USA und Deutschland. Von 1969 bis 1981 lebte sie als freie Filmemacherin und Autorin in Paris. 1991–1993 war sie Fellow am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen. Seit 1994 Professorin für Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie ist u. a. Gründerin und Leiterin des Studienganges Gender an der Humboldt-Uni, und Gründerin und Leiterin des Kollegiums „Jüdische Studien“ daselbst. Sie machte etwa 50 Filmdokumentationen und Filmessays, ist Verfasserin zahlreicher Bücher und Aufsätze zur Kultur-, Geistes- und Mentalitätsgeschichte. Im Herbst 2011 erscheint im Aufbau-Verlag ihr Buch zur Kulturgeschichte des Geldes: „Der Preis des Geldes“. Frau v. Braun ist verheiratet und Mutter zweier Kinder.

Frau v. Braun empfängt uns zu Hause in ihrer großzügigen Altbauwohnung, die in einer stillen, baumbestandenen Seitenstraße im Bezirk Prenzlauer Berg liegt. Sie führt uns durch eine umfangreiche und sympathisch altmodisch eingerichtete Küche, in einen großen, daneben liegenden Raum. Er ist – ein seltener Anblick – ohne jede Bücherwand. Mit seiner spartanischen Einrichtung, dem langen Holztisch und den Bänken, erinnert er ein wenig an ein Refektorium. Er mündet in eine Terrasse, die direkt aufs Grün der Bäume, auf die mit Efeu überwachsenen Grabsteine des Alten Jüdischen Friedhofs hinunterblicken lässt.

Wir nehmen auf den Bänken Platz, und bei einem wohlschmeckenden Tee aus dem Samowar erzählt uns Frau von Braun, wie und wann sie auf das Thema Geld kam: „Zur Kulturgeschichte des Geldes kam ich relativ spät, ich habe sehr viel über die Alphabete gearbeitet, über Alphabet und Verschriftlichung. Und das Geld, so wie wir es kennen, in Form eines Zeichens auf einer Münze, auf Papier – oder als elektronisches Zeichen – leitet sich direkt ab, entstand 100 Jahre nach dem griechischen Alphabet. Dieser Zusammenhang interessierte mich, und als ich dann merkte, was da auch an Fruchtbarkeitssymbolik, Sexualsymbolik etc. in das Geld einfließt, da habe ich mich drangesetzt.

Demokratisierender Effekt

Mich interessierte die Wirkmacht der Alphabete; phonetische Schriftsysteme – also wie wir einen Laut in ein phonetisches Zeichen überführen – funktionieren ganz anders als Piktogramme, also abstrahierte Piktogramme, wie in der chinesischen Schrift. Das phonetische Schriftsystem braucht 24, 28 Zeichen, während die Chinesen 3.000 Zeichen mindestens kennen müssen, um lesen zu können. Die phonetischen Schriftsysteme dagegen sind von allen Leuten leicht erlernbar, haben sozusagen einen demokratisierenden Effekt, weil’s nicht einer Elite vorbehalten war, über das Gedächtnis der Gemeinschaft und auch über Gesetz und Regeln zu verfügen. Alle können potenziell in dieses Regelwerk eintreten. Und einen ähnlichen Effekt hat auch das Geld. Da, wo Geldwirtschaft auftaucht, taucht auch eine große soziale Mobilität nach oben und nach unten auf.

Das sind so die Gemeinsamkeiten von Geld und Alphabet. Das Alphabet hat außerdem noch die Eigenschaft, dass es uns gewissermaßen die Sprache aus dem Körper reißt. Das Sprechen ist Teil des Körpers, hat seine individuelle Eigenart, den Klang der Stimme, die Art der Atmung usw. In dem Moment, wo es auf Papier gedruckt ist, ist es sozusagen entleibt. Hier entsteht eine Konkurrenz zwischen Kommunikation und Schrift, die hat einen hohen abstrahierenden Wert. Ja, genau wie beim Geld. Und die Alphabete sind eben so, dass sie den unsichtbaren Gott, den monotheistischen Gott der jüdischen Religion, hervorgebracht haben, einen Gott, der sich nur in den Zeichen der Schrift offenbart. Und in Griechenland hat es vor allem das abstrakte Denken, das wissenschaftliche Denken – den Logos eben, als reinen Geist – zur Folge.

Was nun das Geld betrifft, so bedeutet das altgermanische Wort eigentlich Opfer, Opfer an die Götter, um Leistungen zu entgelten. Der Ursprung des Geldes liegt im Kultus. Einer der drei Ursprünge des Geldes, so wie wir es heute kennen, ist der Opferkult, der sakrale Kult. Der zweite Ursprung sind die Edelmetalle, die eine bestimmte Form annehmen und ein Zeichen bekommen. Daneben gibt es einen dritten Ursprung des Geldes, der schon sehr viel abstrakter ist. Eine Autorität, ein Staatsmann, König oder auch Tempelpriester beglaubigt, dass eine Münze, die eigentlich nicht viel wert ist, einen bestimmten Wert verkörpert. Mit dieser Art von Autorität haben wir es ja bei den nationalen Währungen zu tun. Und vielleicht sollte man noch etwas dazunehmen, was in den Kontext der Autorität gehört: Schon in Mesopotamien konnte man in einer Bank Edelmetalle oder Getreide lagern und bekam dafür einen Zettel, der den Besitz beglaubigte und mit dem man auch bezahlen konnte. Das Schriftsystem war dem Geld von Anfang an sehr inhärent.

Den Ursprung des Geldes aus dem sakralen Opferkult, den hat ein Althistoriker, Bernhard Laum, in den 20er Jahren sehr schön beschrieben. [„Heiliges Geld“. Untersuchung über d. sakralen Ursprung d. Geldes; Anm. G. G.] Der obolós, was eigentlich unser Obolus ist, war ursprünglich ein kleiner Bratspieß, der bei den Opferritualen im Tempel an die Mitglieder der Gemeinschaft verteilt wurde. Eine Zeit lang hatte er die Funktion von Geld. Ein eiserner Spieß ohne Fleisch – der im profanen Raum zirkulierte, und anfing, das Opfer selbst zu substituieren. [Bis zur Euroeinführung gab es in Griechenland die Drachme, deren Wortbedeutung herkam vom Umfassen von 6 oboloí; Anm. G.G.] Im 8./7. Jh. wurde der Obolus eingezogen, an den Tempel zurückgegeben und durch Münzen ersetzt, auf die dann nur noch das Beil, die Stierhörner oder ähnliche Symbolisierungen für den Opferkult gesetzt wurden. Die Münzen ersetzten den Obolus, was wieder ein Abstrahierungsschritt war.

Die Autorisierung des Geldes durch die Staatsmacht ist auch immer dazu verwendet worden, das Volk zu betrügen. Es wurden unterwertige Münzen ausgegeben. Noch viel leichter wurde der Betrug mit dem Papiergeld, Regierungen haben zu viel Geld gedruckt und mit großen Inflationen ihre Staatsschulden beseitigt. Das heißt, die beiden Beglaubigungsstrategien, nämlich Edelmetalle und Staatsautorität, sind immer weniger glaubwürdig geworden. Meine Behauptung ist, in dem Maße ist der sakrale Opferkult immer wichtiger geworden, das Bedürfnis, in irgendeiner Form immer wieder zu erinnern, an das Opfer. Und wenn man dann weiß, dass das Stieropfer eigentlich nur ein Ersatz für das Menschenopfer ist, dann weiß man, worum es geht. Dass im Grunde der menschliche Körper zur Beglaubigungsstrategie für das Geld geworden ist, dass es nur beglaubigt ist, wenn Menschenleben dafür stehen. Und das sollten wir immer mitdenken.

Unsere modernen Geldzeichen, vor allem die harten Währungen, Dollar, Pfund, der Yen, der Yuan, die haben alle zwei Striche. Alfred Kallir, der in seinem Buch ‚Sign and Design‘ die Geschichte unseres Alphabets beschreibt (1961), der sagt, dass diese zwei Striche Erinnerungen sind an die Stierhörner. Also an das ursprüngliche Opfer. Sogar für den Euro ist noch mal darauf zurückgegriffen worden, unbewusst. Der Stier an der Börse kommt natürlich auch aus dieser Tradition. Und das Wort ‚Kapital‘ kommt von caput, dem Kopf, von capita, den Köpfen einer Herde, wobei deren Junge die Zinsen wiederum sind. Im amerikanischen cattle ist noch die Beziehung zwischen Herde und Kapital erhalten. Die Naturmetaphorik zeigt die Fantasie hinter dem Geld, als eine Magie der Vermehrung, dass es ‚Sprösslinge‘ haben soll, dass es Wachstum gibt, ‚Blüte‘, aber auch ‚Blüten‘. Das ganze Vokabular ist durchsetzt von solchen Vorstellungen.

Und sie haben sich über die lange Zeit erhalten. Also, wir hatte in Griechenland eine große Geldwirtschaft, im römischen Reich eine große Geldwirtschaft, aber mit dem Niedergang des Römischen Reiches verschwindet die Geldwirtschaft, sie kommt zum Erliegen. Erst um 1000 beginnt im nördlichen Europa wieder eine Geldwirtschaft einzusetzen. Das ist interessanterweise der Moment, wo die europäische Gesellschaft unter dem Einfluss der Kirche von einer oralen Kultur zu einer Schriftkultur überzugehen beginnt. Man lernt, nach dem Gesetz der Schrift zu leben. Die mündliche Überlieferung verliert an Bedeutung. Die unteren Stände können zwar nicht lesen und nicht schreiben, aber ihr Leben verändert sich mehr und mehr durch die Vorschriften derer, die es können. Die europäischen Höfe führen große Katasterämter, Sekretariate und Buchhaltungen ein. Die Urkunde besiegelt den Vertrag, nicht mehr Handschlag und Zeuge. Die Blüte der Städte ging einher mit einer neuen Geldwirtschaft, und Gutenbergs Presse hat dann später auch die Entstehung des Papiergeldes möglich gemacht. Diese Versuche, mit Papiergeld umzugehen, fanden so im 17./18. Jh. statt. Einige gingen katastrophal schief, so wie in Frankreich das Experiment von John Law, der im Namen der Krone Papiergeld herausgegeben hat. Zwar wurde die Staatskasse saniert, aber viele verloren ihr ganzes Vermögen. 1720 gab es in Frankreich eine Hyperinflation. Das war eine große historische Finanzkrise.

Aus Papiergeld geboren

In der 2. Hälfte des 18. Jh., während der amerikanischen Unabhängigkeitskämpfe, haben dann die Staaten,die sich unabhängig machen wollten vom englischen Mutterland, ihre eigenen Währungen eingeführt, um den Krieg zu finanzieren. Galbraith geht so weit, zu sagen: Die amerikanischen Staaten sind geboren aus dem Papiergeld. Später fügte er hinzu: Und aus der Spekulation. In Frankreich scheute man nach der Erfahrung mit der Hyperinflation immer noch das Papiergeld. Aber dann kam 1789 die Französische Revolution, und man war wieder in der Bredouille, das Gold war mit den Emigranten aus dem Land gegangen. Aber es gab genug Land. Auf die Ländereien der enteigneten Kirche wurden Gutscheine ausgegeben – die Assignaten –, um die Truppen zu bezahlen usw. Auch die Französische Revolution war auf Papiergeld gegründet. Es verlor zwar rasant an Wert, aber bis zum Zusammenbruch der Assignaten war die Republik geschaffen. Man sieht, dadurch, dass man eine neue Währung schafft, entsteht soziale Mobilität, entstehen Staaten, neue Strukturen, neue soziale Entwicklungen. Das ist ein weiterer großer Abstraktionsschub, der sich mit dem Geld entwickelt.

Im 19. Jh. erst wandert das Papiergeld allmählich in die Sitten ein, wie die Franzosen sagen. Und da ist der Goldstandard dann erfunden und eingeführt worden, sozusagen als Garantie der jeweiligen Währung. Das hielt aber nur bis 1900, dann wurde er schon unterlaufen, Staaten fingen an, sich allmählich von ihm zu lösen, dann hat man noch 1944 bei Bretton Woods versucht, eine Parität zwischen den Währungen, unabhängig vom Goldstandard, herzustellen. Aber Anfang der 70er Jahre wird beides aufgegeben, sowohl Goldstandard als auch Parität der Währungen. Hinzu kommt, was nicht unwichtig ist, dass der Wert des Goldes immer fiktiver wurde. Interessant ist, wie dieser fiktive Wert jeweils festgelegt wurde, also: Wie viel ist Gold wert im Vergleich zu Silber? Die babylonischen Priester haben den Goldwert auf 13:1 festgelegt. Und warum? Gold war Symbol der Sonne, Silber war Symbol des Mondes, und die Festlegung entsprach den Umlaufzeiten. Die Chinesen haben das rationaler gemacht, die Japaner auch: 1:10. Ist auch eine Fiktion, aber leichter zu rechnen als so eine astrologische Zahl.

Aber ich möchte von der Fiktion noch mal zurückgehen zum Abstraktionsprozess, zur Spekulation, die ja auch mit Fiktion verbunden ist. Die erste große Spekulationserfahrung, die Europa gemacht hat, war in Amsterdam und Den Haag, mit Tulpenzwiebeln. Aber nicht nur, dass da Zwiebeln gehandelt wurden, man hat sich auch vollkommen unabhängig gemacht von der realen Zwiebel. Es wurden Gewinne erzielt mit Zwiebeln, die noch niemand gesehen hatte – ja die noch nicht mal geblüht hatten. Die Preise gingen unentwegt rauf, alle haben mitgemacht, Kaufleute, Klerikale, Handwerker. Bauern haben ihre Höfe verkauft und spekuliert. Das fand oft in Kaschemmen statt. Plötzlich, eines Tages, hat niemand mehr geboten, und es begann der Absturz. Es gibt ein wunderbares Buch darüber von Mike Dash, ‚Tulpenwahn‘. Da wird dieser magische Moment auch beschrieben, den wir jetzt auch erlebt haben beim Zusammenbruch der Immobilienspekulationen, irgendwann wird es unglaubwürdig, und dann kommt der Absturz.

Geld ist Kastration

Und das ist genau der Moment, wo Menschen dran glauben müssen, wenn man wieder ans Geld glauben soll. Leute, die ihre Jobs verlieren wegen der Krise. Da kommt dann auch dieser Opfergedanke immer wieder rein, dass beim Absturz dann tatsächlich Menschen dafür einstehen müssen. Es gibt sozusagen zwei Kategorien, in den Dienst des Geldes genommen zu werden. Die eine ist, ich bin Agent des Geldes, ich helfe dem Vermehrungsdrang des Geldes auf die Sprünge; die andere Kategorie besteht darin, eben für die Beglaubigung des Geldes einzustehen, d. h., ‚dran glauben zu müssen‘. Im Sinne schlechter Bezahlung, z. B. von Frauen usw. Wobei bei den Frauen noch ein anderer Faktor dazukommt, der auch wichtig ist. Das Stieropfer ist zugleich ein Männlichkeitsopfer. Das Geld ist sozusagen eine symbolische Kastration am männlichen Körper. Es wird das Opfer männlicher sexueller Potenz verlangt, damit am Ende geistige Potenz entstehen kann.

Sie kennen ja die Diana von Ephesos. Man dachte immer, die vielen Kugeln auf ihrem Leib, das seien Brüste. Es sind Hoden. Den geopferten Stieren wurden die Hoden abgeschnitten und dieser Göttin auf die Brust genagelt. Das heißt, es wurde sexuelle Potenz geopfert. Und dieses Männlichkeitsopfer hat auch zur Folge, dass Frauen keinen Zugang zu Geld hatten, dass es ihnen bis heute verwehrt ist, in die höheren Etagen der Banken aufzusteigen. Es hängt damit zusammen, sie haben nicht den gleichen Prozess der Abstraktion durchlaufen, hatten lange keinen Zugang zur Bildung, zu all dem, was den Körper einem strengen Regelwerk unterwirft. Sie haben nicht diese symbolische Wunde an ihrem Körper erlebt. Nicht diese Domestizierung des Körpers durch Schrift und Geld. Folglich haben sie nicht den gleichen Anspruch auf das, was Geld repräsentiert, also Kompensation.

Aber wieder zurück zur zunehmenden Abstraktion des Geldes. Im 19. Jh. entsteht die Aktie – womit dann tatsächlich große Industrieanlagen geschaffen werden können, Leute ziehen daraus Gewinn, auf dem Rücken von Arbeitskraft – das hat ja Marx deutlich genug beschrieben. Und im 19. Jh. setzt die Spekulation aufs Geld ein. Man braucht gar nicht mehr die Produktionsmittel, man lässt Geld Geld machen. Das ist auch der Moment, wo die Börse sehr bedeutend wird. Zola hat das wunderbar beschrieben in seinem Roman ‚Geld‘ (1891), wo ja die reine Spekulation geschildert wird. Das ist weithin die beste Darstellung der Psychologie der Spekulation. Und interessant ist auch seine Darstellung der Architektur der Börse. Die Börsen werden ja gebaut wie griechische Tempel, auch die Banken. Die Bank of England ist ein einziger Tempel. Also ich versuche jetzt anzuschließen an das Sakrale, an die Glaubwürdigkeit des Geldes aus dem Tempel, daran, dass immer wieder diese Glaubwürdigkeit aus dem sakralen Opferkult bemüht wird.

Am Ende steht nur der Glaube dahinter. So erklärt sich auch, weshalb das moderne Finanzsystem, der Kapitalismus, im christlichen Kulturraum entstanden ist. Die christliche Kultur hat sehr viel mehr von dieser Logik des Geldes als die beiden anderen monotheistischen Religionen. Die christliche Religion hat erst mal als tiefsten Grundsatz: Du darfst nicht zweifeln. Glaubenszweifel sind schon ein Exkommunikationsgrund. An das Opfer und an die Auferstehung muss man glauben, an die Jungfrauengeburt muss man glauben. Das heißt, die christliche Religion hat schon a priori solche Glaubensforderungen. Und gleichzeitig hat sie ein System, das dem Geld sehr ähnlich ist: Die HOSTIE. Ein Symbol, das für den Leib steht. In jeder Messe wird zelebriert, dass dieses Symbol einem realen Leib entspricht, einem materiellen Leib. Also gefordert wird der Glaube, und das ist natürlich auch ein Mittel der Domestizierung.

Die christliche Religion hat viele Domestizierungsstrategien hervorgebracht. Der Buchdruck ist entstanden aus dem Bedürfnis der Klöster heraus, weil die Klöster zu besseren Kopieranstalten verkommen waren und das Pensum nicht mehr schafften. Die mechanische Uhr, die Räderwerkuhr, ist vermutlich um 1270 entstanden. Sie wurde gebraucht von den Klöstern, weil sie seit der Klosterreform von Cluny diese sieben Gebetszeiten hatten – davon auch welche in der Nacht – und weder Sonnen- noch Wasseruhren dafür brauchbar waren. Und dann ist natürlich die Uhr, als sie erst mal da war, hinausgewandert in den säkularen Raum, hat die einheitliche Regulierung der Zeit durchgesetzt und später in den Fabriken für feste Arbeitszeiten gesorgt. Es ist wie beim Geld, alle drei sind Domestizierungsstrategien, alle drei sind einschneidend, und, wie gesagt, eng mit der christlichen Kirche zusammenhängend.

Und die katholische Kirche, die hatte natürlich große Goldvorräte, Grundbesitz, Geld. Die Kirche hat sich anfangs sehr schwergetan mit Zinsen, Zinsgeschäfte haben sie den Juden überlassen, zunächst. Aber schon ab dem Spätmittelalter fingen sogar die Franziskaner an, Geld zu verleihen. Die Juden waren dann nur noch Verleiher an die kleinen Leute, während die Kirche große Summen verlieh. Die christliche Gesellschaft hat sehr schnell gelernt, mit dem Kreditsystem umzugehen und ein eigenes zu schaffen. Interessant ist übrigens auch die enge Verwandtschaft zwischen Kredit und Credo (Vertrauen und Glauben). Auch dass man sogar ins Jenseits einen Handel einführen kann, hat die katholische Kirche erfunden mit dem Ablasshandel. Für soundso viel Geld muss ich nicht 1.000 Jahre, sondern nur 200 Jahre im Fegefeuer verbringen und komme danach auch noch ins Paradies. Alle Wucherer gingen automatisch in die Hölle.

Das Fegefeuer ist eine Zwischenstation zwischen Leben und Hölle. Das Fegefeuer wurde so ab dem 11. Jh. theologisch entwickelt von Rom. Fegefeuer gab’s ja vorher nicht und auch nicht die Ausmalung der Hölle. Und der Ablasshandel hatte den großen Vorteil, dass die Kirche ihre Einnahmen enorm vermehren konnte. Heute gibt es ja auch eine Art Ablasshandel, den mit Emissionspapieren. Und dann gibt es vielleicht noch eine Gemeinsamkeit von modernem Kapitalismus und christlicher Kirche, die im Gegensatz steht zur jüdischen Religion und zum Islam. Die christliche Kirche hat eine hohe Valorisierung des Unverheirateten, eine hohe Valorisierung des Individuums, das in den Mittelpunkt einer Kultur gestellt wird.

Und genau derselbe Gedanke taucht in der freien Marktwirtschaft auf. Das Individuum und seine Eigeninteressen sind positiv, Unabhängigkeit und individueller Profit sind positiv. Die Herauslösung des Einzelnen aus einer Gesellschaft, die stark vom Prinzip der Gegenseitigkeit gelebt hat, ist positiv. Das hat Karl Polanyi wunderbar beschrieben in ‚The Great Transformation‘ (1944). Am frühen Kapitalismus in England wird geschildert, wie dieses Individuum geschaffen wird in der ‚neuen Gesellschaft‘ – die frühere nennt er ‚Gemeinschaft‘. Und diese neue Gesellschaft z. B. kapitalisiert zwei Dinge, die vorher nicht als Ware gehandelt wurden: Arbeitskraft und Boden. Er sagt, wenn man weiß, was mit Grund und Boden an Verwandtschaftsverhältnissen, an Ritualisierung, an Berufen usw. zusammenhängt, dann kann man sich überhaupt erst klarmachen, was es bedeutet, den Boden in eine Ware zu verwandeln. Dasselbe gilt natürlich erst recht für die Arbeitskraft, die jetzt vom Individuum verlangt, mobil zu sein.

In der jüdischen Religion und im Islam ist die Gemeinschaft vorrangig und nicht diese hohe Valorisierung des Individuums. Auch die Beziehung zum Geld ist eine andere. Wenn man im Talmud nachguckt, was wird als glaubwürdiges Geld bezeichnet, so sind das einerseits Edelmetalle – und der Schekel hat Edelmetallbezug. ‚Schekel‘ leitet sich ab vom Wortstamm für ‚wägen‘, ‚abwägen‘. Andererseits, wenn er den Bezug nicht hat, so muss er kurantfähig sein und wird dadurch akzeptiert. Die Rabbiner sagen, eines dieser beiden Kriterien muss da sein. Von Opferkult nicht die Spur. Das Geld bezieht seine Glaubwürdigkeit nicht aus dem Opferkult. Und im Islam ganz ähnlich, immer ist es der Rückbezug auf den materiellen Wert, was gilt. Und es gibt sozusagen eine Denkstruktur in der einen und in der anderen Tradition. In der christlichen Religion heißt es, ich glaube an etwas, was es eigentlich nicht geben kann, ich glaube, obwohl es keinen Beweis der Welt gibt, dass es funktioniert. In der jüdischen Religion ist die Welt des Diesseits von der Welt des Jenseits streng getrennt. Ich kann an Gott glauben, muss aber nicht, ich kann mit ihm diskutieren, kann zweifeln an ihm, ohne exkommuniziert zu werden. Und insofern ist diese ganze Struktur, wie das Geld funktioniert, wenn es in die Spekulation hineingeht, viel ähnlicher der christlichen als der jüdischen Religion.

Interessant ist auch im Zusammenhang mit Geld die Frage der Schuld. Schuld und Schulden. Also alle Religionen haben eine Art Tauschsystem mit Gott. Ich gebe Gott, damit er mir Heil gibt, Kinder, Gesundheit, was auch immer. Die christliche Religion ist die einzige mit einem Gott, der sich selbst geopfert hat, für die Erlösung der Menschheit. Ein abstrakter Gott, der in seinem Sohn Christus leibliche Gestalt angenommen hat. Das schafft ein Schuldsystem für die Christen, weil sie in einem Tauschverhältnis stehen, ein Geschenk erhalten haben, das sie überhaupt nicht erwidern können. Sie bleiben immer Schuldner gegenüber der Gottheit.

Das Verschieben der Schuld

Und dieses Schuldprinzip hat bei den Christen verschiedene Reaktionen hervor gebracht. 1. Die Schuld wird an einen anderen verwiesen. Die Juden haben ihn gekreuzigt, Christus ist das Opfer eines jüdischen Verbrechens. 2. Das Bild vom Juden, der keine Schulden ertragen kann, der eine Ritualschuld auf sich nimmt, wird delegiert. Mit der Ritualmordbeschuldigung wurde den Juden unterstellt, dass sie christliche Kinder blutig opfern, sogar ihr Blut trinken. Dass sie es sind, die eigentlich christliche Fantasien ausleben. 3. Mit der Aufklärung und Kants ‚Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit‘ entstand ein weiteres Problem: Wie befreit man sich als Christ von seiner Schuld? Indem man Gott tötet. Aber wenn ich nur durch diese Tötung aus der Religion rauskomme, entsteht eine neue große Schuld. Das ist das unlösbare Problem der Christen.

Und diesen vollkommen losgelösten Finanzmarkt heute kann man nur verstehen durch den fortlaufenden Abstraktionsprozess vorher. ‚Gier der Spekulanten‘ heißt es immer. Gier ist eine Sünde, die man beherrschen kann. Sie gehört zu den 7 Todsünden. Aber ich glaube, ‚Gier‘ ist das falsche Wort. Ich meine, der Begriff ‚Angst‘ ist viel besser geeignet, zu erklären, weshalb diese Menschen derart die Nullen zu vermehren versuchen. Wir sind ja konfrontiert mit einem Geld, das gar keinen materiellen Bezug mehr hat. Und es gibt einfach Grenzen, wie man diese vielen Millionen auf dem Konto umsetzen kann in materielle Werte. Also sind diese Menschen permanent bedroht von dieser Nichtigkeit – oder von diesem Nichtsein des Geldes. Sie löst diese Angst aus. Durch Multiplikation der Nullen auf dem Konto kann man sie nicht überwinden. Man kann sie nur strukturell überwinden. Man muss aus diesem System aussteigen.

Aber die Hoffnung auf Veränderbarkeit ist eigentlich gering. Das Einzige, worauf wir hoffen können, ist, sagen wir mal, das Geld sozusagen zu domestizieren. Gut wäre, wenn es uns gelingt, wenigstens eine gewisse Skepsis, Zweifel, Glaubenszweifel gegenüber dem Geld zu haben. Ich kann nur sagen, im Namen der Utopie und der utopischen Entwürfe sind viele Kriege geführt worden. Im Namen der Skepsis noch nie.“