Hamburg braucht mehr Glanz

SUBKULTUR Marga Glanz ist die einzige Plattenladenbesitzerin Deutschlands. Ihr Laden „Groove City“ im Hamburger Karolinenviertel ist seit Jahren eine geschmacksbildende Instanz

„Glanz entsteht, wenn man die Möglichkeit hat, Pop mit anderen zu teilen“

MARGA GLANZ

VON JULIAN WEBER

Mach die Hottentottenmusik aus!“ Eine Ansage, die fast alle jungen Leute zu hören bekommen haben, die im Nachkriegs-Westdeutschland aufgewachsen sind. Der Umgangston des Faschismus wurde auch bei Marga Glanz zu Hause gepflegt. Großvater und Vater haben Popmusik nicht geduldet. Glanz hat sich davon nicht beeindrucken lassen und mit einem Kassettenrekorder mitgeschnitten, was sie im Radio gehört hat.

Aufgewachsen im Wendland nahe Gorleben mit fünf Geschwistern, ihre Mutter und die Großeltern Vertriebene, ist Glanz mit 17 nach Bremen und von da Anfang der achtziger Jahre weiter nach Hamburg gezogen. „Die Landjugend teilte sich in Hippies und die, die werden wollten wie ihre Eltern. Das war nix für mich. Ich hab nie wieder daran gedacht, zurückzugehen.“

Inzwischen ist die 53-Jährige Besitzerin des kleinen Plattenladens „Groove City“ im Hamburger Karoviertel. Glanz hat sich auf Black Music spezialisiert. Soul, Funk und Tanzmusik aus der ganzen Welt. Wo der Musikgeschmack durch das Marketing von Internetketten immer gleichförmiger wird, ist Glanz stolz darauf, dass sie Kunden nur persönliche Entdeckungen weiterempfiehlt. So hat sie „Pomegranates“, ein Album mit persischem Funk aus den Siebzigern 250-mal verkauft. Bei „Groove City“ wird fast ausschließlich Vinyl angeboten. Schon als Marga Glanz einen Plattenladen eröffnete, als die Musikindustrie in den neunziger Jahren in die Krise kam, war das antizyklisch.

Und inzwischen, wo Plattenmultis nur noch CDs anbieten, oder Vinylauflagen ausschließlich für Internetketten reservieren, ist es nicht einfacher geworden, mit einem Laden wie „Groove City“ über die Runden zu kommen. Und dennoch, die Kunden von Glanz finden es interessanter, selektiv Vinyl zu kaufen, als per Download alles vollständig zu besitzen oder sich die Musik nach Hause schicken zu lassen.

Es war die Rebellion des Punk, die Marga Glanz eine individuelle Sicht auf die Welt eröffnet hat. Dagegen sein, aber dabei sein, hat der Hamburger Autor Carsten Klook diese Geisteshaltung genannt. Punk war eine Pop-Stunde null und speziell in Deutschland ein Bruch, sowohl mit dem konservativen und sozialliberalen Mainstream als auch mit dem, was viele unter Alternativkultur im Gefolge der 68er verstanden.

Durch die Musik auf Punkkonzerten hat Marga Glanz erst Ahnung davon bekommen, was da draußen noch so alles möglich ist. In Hamburg spielte sich Punk vor allem im Karoviertel ab. Dort waren Kreuzungspunkte verschiedener Subkulturen. Der Plattenladen „Rip Off“ in der Feldstraße, die Kneipe „Marktstube“ und die Buchhandlung „Welt“ in der Marktstraße, dazwischen Politnicks, Literaten, Kunstmenschen und Punks. Das schreibt sich heute so, als wäre es ein niedlicher Streichelzoo gewesen. War es aber nicht. Eine Schlagzeile aus der Hamburger Bild-Zeitung, 1980: „Die rohen Punker – Nadel im Ohr, Hass auf die Welt“. Der Boulevard führte damals unter ausdrücklicher Duldung der Politik eine Kampagne gegen Punks und wollte sie mit einer Artikelserie aus dem Karoviertel vertreiben. All die Reibereien mögen retrospektiv so provinziell gewesen sein wie die Hamburger Punkbandnamen Buttocks, Razors oder Coroners. Marga Glanz erweiterte via Punk ihren musikalischen Horizont Richtung Black Music. „Ich erinnere mich an das Mambo-Jambo, eine klapprige Bude in der Marktstraße, geführt von einem Senegalesen, in der Reggae und afrikanischer Pop lief. Dort haben wir nächtelang getanzt.“ Die Anfänge des Rap kriegte sie dank John Peel mit, dessen Radiosendungen im britischen Soldatensender BFBS ausgestrahlt wurden.

„Wir haben mühselig nach der Musik gefahndet, die Peel in seiner Sendung spielte. Wochen später bekam ich fotokopierte Kataloge zugeschickt, habe bestellt und irgendwann kamen die Platten an. Peel hat mich massiv beeinflusst.“ Ob sie ihre Leidenschaft für Schallplatten und Popmusik erklären könne? „Glanz entsteht, wenn man die Möglichkeit hat, Pop mit anderen zu teilen. Wenn Bands oder DJs mit ihrer Musik das Publikum glücklich machen, das diese Euphorie dann wieder zurückwirft. Das sind nur flüchtige Momente, an die man sich trotzdem immer wieder erinnert.“

Mitte der Achtziger hat Glanz beim Plattenladen „Zardoz“ in Altona als Verkäuferin gejobbt. Und das führte dazu, dass sie Anfang der Neunziger mit einem Freund einen eigenen Laden aufmachte. Seit 1994 arbeitet sie, mit einer zweijährigen Unterbrechung, während der sie bei einem HipHop-Label arbeitete, bei „Groove City“. Und seit 2004 führt sie den Laden, der inzwischen im Karoviertel residiert, ganz allein. Benannt nach einem „mäßigen Song des Soulsängers Wilson Pickett, aber irgendwer muss die Hanseaten schließlich zum Grooven bringen.“

Marga Glanz hat inzwischen mehrere Generationen von Hamburger Plattenkäufern geprägt. Darunter Musiker wie Rocko Schamoni und Jacques Palminger. Und der Regisseur Fatih Akin schickt regelmäßig jemand, der dann eine dicke Plattensammlung eintütet.

Früher gab es auch eine Plattenladenbesitzerin in Berlin, heute ist Marga Glanz die einzige Frau in Deutschland mit eigenem Plattenladen. „Andere finden es auffällig. Für mich ist das selbstverständlich. Mich erstaunt auch nicht, dass ich viele Kundinnen habe, auch viel junge. Von Leuten, die schon in den Neunzigern bei mir Platten gekauft haben, kommen jetzt die Kinder.“

Die Atmosphäre bei „Groove City“ ist freundlich, aber bestimmt. Glanz legt Wert auf Umgangsformen. Schlurft jemand zu sehr mit seinen Sneakers, kommt schon mal ein „Füße hoch“ von jenseits des Tresens. „Manche Männer bedauern, dass sie mit mir keine Nerdgespräche führen können. Und trotzdem steht bei mir kein Müll im Regal.“

Heute schmückt sich die Hansestadt mit dem sanierten Karoviertel, und der ehemalige Bürgermeister Ole von Beust bekundete in der Bild-Zeitung seine Verbundenheit mit der alternativen Hamburger Musikszene.

„Hamburg braucht mehr Glanz“, hat die Kultursenatorin Dana Horakova in den nuller Jahren als Werbeslogan für die Hansestadt ausgegeben. Marga Glanz will von derlei Vereinnahmungsversuchen nichts wissen. Sie findet den Mythos der wiederbelebten Hafen- und Handelsstadt „hohl“. Und findet, Hamburg muss aufpassen, dass es die Atmosphäre einer weltoffenen und toleranten Großstadt nicht verliert, weil die Freiräume für die Subkultur kleiner geworden sind. Glanz und die anderen Ladenbesitzer im Karoviertel sind kürzlich für zehn Jahre von Mieterhöhungen ausgenommen worden. Die Wohnungsbaugesellschaft STEG ist seit der Besetzung des Gängeviertels vorsichtiger geworden. „Groove City“ bleibt ein Leuchtturm in der markenförmigen Gleichheit.