Gottes flüchtiges Geschenk an die Frauen

HIPHOP Der kanadische Rapstar Drake inszeniert sich auf seinem neuen Album „Take Care“ als Herzensbrecher des SMS-Zeitalters

Die Liebeslieder, die Drake seinen imaginären Gespielinnen ins Ohr flüstert, sind irritierende Manifeste der Unentschlossenheit

VON MARCUS STAIGER

Er galt als der HipHop-Newcomer 2010. Als er im Juni dieses Jahres ein Gratiskonzert im Hafen von Manhattan geben wollte, musste die Polizei einschreiten Niemand hatte mit den Menschenmassen gerechnet, die sein Erscheinen mobilisierte: Aubrey Drake Graham überzeugte die Black-Music-Gemeinde mit seiner Mischung aus R-’n’-B-Gesang und straighten Raps und setzte sich mit seinem Debütalbum „Thank Me Later“ sofort an die Spitze der US-Charts.

Nun veröffentlicht der gebürtige Kanadier sein zweites Album „Take Care“, auf dem er sein Erfolgskonzept von stampfenden Synthie-Beats mit säuselndem Gesang und extrovertierten Raps fortführt. Gleich zu Beginn gibt es Klavierakkorde, begleitet von sphärischem Gesang, der wohl andeuten soll, dass es gleich ein bisschen nachdenklicher wird. Später werden aber doch noch die Hi-Hat-Gewitter und Snaredrum-Attacken ausgepackt, was dem Sound einen kurzweiligen Charakter verleiht.

Im Ohr hängen bleibt neben den sympathisch-quäkenden Raps der künstlich anmutende Gesang. Das ist kein Autotune, denn Drake kann tatsächlich singen, aber ein bisschen mehr Hall als notwenig, ein bisschen mehr Effekt ist immer dabei – passend zur Botschaft. „We live in a generation of not being in love and not being together / But we sure make it feel like we’re together / Cause we’re scared to see each other with somebody else.“

Die Liebeslieder, die Drake auf seinem neuen Album seinen imaginären Gespielinnen ins Ohr flüstert, sind irritierende Manifeste der Unentschlossenheit. Songs für die Generation Facebook, die sich vor lauter Friends nicht festlegen möchte. Schließlich könnte ja hinter jeder neuen Freundschaftsanfrage, hinter jedem neu entdeckten Profil eine noch viel größere Liebe stecken, als die, die man schon hat. Der Wunsch zu lieben, ist der Fähigkeit zu lieben haushoch überlegen.

Das CNN der Beziehungsgestörten

Insofern liefert der 28-Jährige aus Toronto mit Songs wie „Doing it Wrong“, aus dem obiges Zitat stammt, eine Art Soundtrack für all jene, die im Überfluss der Möglichkeiten alleine bleiben. War HipHop früher das CNN der Schwarzen, ist HipHop von Drake nur noch das CNN aller Beziehungsgestörten.

Das zeigt er mit dem großartigen Track „Marvin’s Room“. Nach einer langen Clubnacht und ein paar Drinks zu viel ruft er bei einer Frau an. Sie ist „happy with a good guy“, aber offensichtlich hatte der Vortragende mit ihr früher mal eine Affäre. Drake weiß, dass ihr Mann gerade nicht da ist. All das tut er in seinem Song natürlich nicht, um seine brennende Liebe zu gestehen. Nein, er ruft nur an, um ihr zu sagen, dass sie etwas Besseres verdient habe.

Dieses Bessere könnte nur er selbst sein, Drizzy Drake, Gottes Geschenk an die Frauen. Doch leider ist dieser Drizzy Drake mindestens so flüchtig wie der Atem Gottes. So fordert er die Flamme von einst denn auch nicht auf, mit ihm durchzubrennen. Drake hinterlässt lediglich den Stachel der Sehnsucht. Dass da mal was war, was groß hätte sein können, um dann in der letzten Strophe vollkommen abzuschweifen.

Betrunken nuschelt er ins Telefon, dass er viermal Sex gehabt habe, in dieser Woche, dass all die bitches aber alle gleich aussehen würden und er nur froh sei, dass sie den Telefonhörer abgenommen habe, damit er ihr sein Herz ausschütten kann: „After a while, girl, they all seem the same / I’ve had sex four times this week, I’ll explain / Havin a hard time adjustin’ to fame / I’m lucky that you picked up / Lucky that you stayed on / I need someone to put this weight on.“

Weder Ruhm noch dickes Selbstvertrauen helfen

Besser kann man die anonyme Intimität von SMS-Affären nicht auf den Punkt bringen. Drake torkelt aus dem Club, erinnert sich an diese und jene Bekanntschaft, schreibt „Bist du noch wach?“ Falls jemand darauf antwortet, gehen die Dinge ihren flüchtigen Gang. Was bleibt, ist ein Künstler, der mit einer massivgoldenen Eule in einem holzgetäfelten Wirtshaus sitzt und traurig in den goldenen Kelch starrt, der vor ihm steht. Weder Selbstbeweihräucherungen noch Ruhm oder dickes Selbstvertrauen können ihm helfen.

Drake inszeniert sich als einsames Genie, von den Massen geliebt, und so oszilliert „Take Care“ borderlinemäßig zwischen absoluter Selbstüberschätzung und gähnender Leere. Das könnte künstlerisch tatsächlich spannend klingen, weil hier – zwischen all dem poppig getrimmten Sound und der genreüblichen Bling-Bling-Angeberei – immer wieder ein Mensch in all seiner Zerbrechlichkeit durchscheint.

Große Analysen oder unverstellte Blicke hinter die Kulissen darf man von Aubrey Drake Graham allerdings nicht erwarten. Bei all dem eingestreuten Seelenstriptease entpuppt er sich als kleiner Junge, der einfach in den Arm genommen werden will, am liebsten von Mama, für die es auf „Take Care“ natürlich auch einen Song gibt.

„Ach ist das schön, Mama, weißt Du noch, als Lil Wayne angerufen hat, um mich zu sehen. Damals war die Welt noch in Ordnung. Wir waren arm, aber glücklich. Heute sind wir reich und leer.“ Insofern ist „Take Care“ geradezu ideal für besinnliche Stunden. Ein perfektes Album, um über verpasste Chancen zu sinnieren und einmal kräftig darüber nachzudenken, was man alles in seinem Leben ändern möchte.

■ Drake: „Take Care“ (Cashmoney/Universal)