Alle haben einen an der Waffel

DIALOGWITZ John Kennedy Tooles hochkomischer Roman und grandiose Gesellschaftssatire „Die Verschwörung der Idioten“ in einer Neuübersetzung

VON FRANK SCHÄFER

Er heißt Ignatius J. Reilly und er ist ein verfressener, egomaner, arbeitsscheuer Spinner. Als epikureischer Mönch hätte er eine gute Figur gemacht. Im New Orleans der fünfziger Jahre allerdings, mit seinem kaum erträglichen „Mangel an Theologie und Geometrie“, in dem man auch noch für seinen Unterhalt selbst sorgen muss, kriegt er kein Bein auf die Erde. Zehn Jahre lang hat er seiner Mutter auf der Tasche gelegen, um sich an der Universität seinen mediävistischen Studien zu widmen. Ignatius ist ein Künstlertyp, der allerdings, das muss seine gequälte, ihm in Hassliebe verbundene Mutter am Ende erkennen, nie gelernt hat, „wie man sich als Mensch benimmt“.

Er ist aber auch gar kein Mensch, sondern eine Karikatur und ein literarhistorischer Typus, ein Parzival oder Don Quijote, der noch einmal von seinem Autor John Kennedy Toole auf große Gralsuche bzw. Windmühlenjagd geschickt wird, um die verwirrten Zeitläufte satirisch aufs Korn zu nehmen. Von seiner Mutter gedrängt, seine stinkende philosophische Räuberhöhle zu verlassen, um etwas zum Lebensunterhalt beizutragen, verdingt er sich in der Verwaltung von „Hosen-Levy“, schwingt sich dort sogleich zum Sprecher der schwarzen Belegschaft auf und zettelt einen „Kreuzzug für die Ehre der Mohren“ an. Weil die Palastrevolte kläglich scheitert und der Rädelsführer fristlos entlassen wird, muss er hernach als fliegender Hotdogverkäufer im Seeräuberkostüm sein Leben fristen, nutzt aber weiterhin jede sich ihm bietende Möglichkeit, Unruhe zu stiften. Mit einem Haufen Schwuler glaubt er ein internationales „Tuntenkomplott zur Unterwanderung der Streitkräfte“ schmieden zu können und damit den „Schlüssel zum ewigen Weltfrieden“ in den Händen zu halten, aber seine lustigen Hilfstruppen wollen dann doch lieber weiterfeiern.

Ignatius ist zweifellos der Star des Romans „Die Verschwörung der Idioten“, dieses Klassikers der humoristischen Literatur, den der Schriftsteller Alex Capus nun mit einer schönen, den grandiosen szenischen Witz des Orginals adäquat transportierenden Neuübersetzung würdigt. Aber Toole erzählt polyperspektivisch; auch seinen vielen Nebenfiguren folgt er mit teilnahmsvollem Interesse. Und siehe da, sie haben alle einen an der Waffel und hadern auf ganz unterschiedliche Weise mit dem Leben: der italienische Emigrant Mancuso, der so gern ein guter Polizist wäre, aber von seinem Vorgesetzten ständig gedemütigt wird; der schwarze Eckensteher Burma Jones, der für einen Hungerlohn in einem Stripschuppen putzen muss; oder die Salonanarchistin Myrna Minkoff, Ignatius’ Verflossene, die à la Wilhelm Reich sexuelle Befreiung propagiert, was ihr ein gewisses Interesse bei den männlichen Kommilitonen sichert, das allerdings nicht gleichermaßen den damit verbundenen sozialrevolutionären Ideen gilt. Es gibt fast keine soziale Schicht oder Randgruppe, die nicht hochgenommen wird. Dass es dann am Ende doch zu einem Happy End kommt für fast alle Beteiligten, ist ganz allein der wilden Screwball-Fantasie des Autors zuzuschreiben, der es einfach so haben will.

Das war den US-Verlagen in den Sechzigern offenbar nicht genug. Der Verlag Simon & Schuster zeigte sich zwar durchaus angetan von der Komik in der Figurenzeichnung und dem Dialogwitz, aber Cheflektor Robert Gottlieb wollte den Roman dennoch nicht drucken, weil er nicht wusste, worauf Toole hinauswollte: „Es reicht nicht, dass Sie einfach charmante Charaktere porträtieren, diese karikieren und aneinanderreihen. Sie müssen auch aussagen, was Sie wirklich meinen“, glaubte er. Damit stellte er das Strukturprinzip des Romans als solches infrage und damit auch das, was dieser Roman sein sollte. Ohne das parallele Nebeneinander diverser Erzählstränge, ohne die Perspektiven- und stilistischen Registerwechsel, also ohne diese mit Kalkül in die Breite gehende Erzählstruktur lässt sich nun mal eine auf annähernde Vollständigkeit angelegte Gesellschaftsssatire nicht herstellen. Insofern waren die von Gottlieb immer wieder angeregten Überarbeitungen vergebliche Liebesmüh. Man redete schlicht aneinander vorbei. Toole gab dann auch bald auf, vergrub sein Manuskript enttäuscht in der Schublade und schrieb nie wieder eine Zeile.

Ein paar Jahre später beging er Selbstmord, frustriert, fett, vom Suff verwirrt. Er wurde seiner Hauptfigur am Ende immer ähnlicher. Seine Mutter, die er in der aggressiv ammenhaften Mrs. Reilly porträtiert hat, bemühte sich jahrelang um eine postume Publikation. Ein kleiner Universitätsverlag druckte dann das Buch, es bekam den Pulitzer-Preis und wurde danach in 18 Sprachen übersetzt. „Meine Notizen und Entwürfe dürfen keinesfalls in die Hände meiner Mutter fallen“, warnt Ignatius ganz am Schluss des Buches seine Freundin Myrna, mit der er nach New York flüchtet, um der drohenden Irrenanstalt zu entgehen. „Es wäre eine unerträgliche Ironie des Schicksals, wenn sie damit ein Vermögen machen würde.“

John Kennedy Toole: „Die Verschwörung der Idioten“. Aus dem Amerikanischen von Alex Capus. Klett-Cotta, Stuttgart 2011, 461 Seiten, 22,95 Euro