Krimis aus Skandinavien: Manchmal vögeln sie auch

Der skandinavische Kriminalroman ist in die manische Phase gewechselt. Unter den Ermittlern haben Workaholics die Luschen aus dem 20. Jahrhundert abgelöst.

Vor lauter Stress nur noch Stullen essen: Daniel Craig als Ermittler Mikael Blomkvist. Bild: dapd

Workaholics sind sie alle, die Helden skandinavischer Kriminalromane. Mögen sie Wallander, Beck oder Van Veeteren heißen. Das Morden im Norden scheint unausweichlich nicht nur den Tod der Opfer und die Bestrafung der Täter, sondern unbedingt auch Depression und Krankheit der Ermittler mit sich zu bringen.

Die Herren Kommissare schlafen selten und ernähren sich von Junkfood. Sie trinken Kaffee, dass man beim Lesen schon Bauchschmerzen kriegt. Und wer mit dem Rauchen aufhören will, sollte sich andere Lektüre suchen.

Kein Wunder, dass sie alle übergewichtig sind und Diabetes haben oder erhöhte Cholesterinwerte. Der typische skandinavische Krimiheld ist geschieden, ein schlechter Vater, als Sohn eine Niete und als Liebhaber - na ja.

Er ist latent depressiv, nimmt regelmäßig Vollbäder in Selbstmitleid und hat einen Hang zum Saufen. Wunderbare Charaktere, so richtig zum Liebhaben! Normale Luschen wie du und ich. Genau wie die Verbrecher, die sie jagen. Seit fast 50 Jahren verkaufen sich Bücher mit dem Label skandinavischer Krimi deshalb wie Ikea-Regale.

"Er machte sich ein paar belegte Brote"

So auch die Millenniumtrilogie von Stieg Larsson über den Journalisten Mikael Blomkvist und die Hackerin Lisbeth Salander. Doch wie viel skandinavische Krimitradition steckt wirklich in "Verblendung", "Vergebung" und "Verdammnis"?

Die Bauanleitung für das, was heute gemeinhin als Schwedenkrimi bezeichnet wird, hat das Autorenpaar Maj Sjöwall und Per Wahlöö zwischen 1965 und 1975 geliefert. Die beiden Marxisten schufen in den zehn Bänden des "Romans über ein Verbrechen" um den Polizisten Martin Beck und sein Team jenen Typus Krimi, in dem es mehr um die Darstellung von gesellschaftlichen Verhältnissen geht und darum, wie alle Handelnden in sie verstrickt sind - Opfer also, Täter wie Polizisten.

Seitdem schreibt der skandinavische Krimiautor, der was auf sich hält, genau zehn Bände um eine Ermittlerfigur. Mankell hat es so gemacht und Håkan Nesser. Stieg Larsson hatte das auch vor, nur kam er nicht dazu, starb an einen Herzinfarkt.

Fakt ist: Die drei Bände, die der linke Journalist so viel beachtet abgeliefert hat, werden als genauso sozialkritisch gelesen wie ihre Vorgänger. Auf den ersten Blick scheinen sie sich auch reibungslos in die Tradition einzuordnen: Überengagierter Journalist ermittelt zusammen mit unterernährtem Punker-Hacker-Mädchen. Das Schlafdefizit steigt mit dem Kaffeekonsum, Lisbeth Salander raucht mehr als sie atmet, und gegessen wird sowieso nur noch, was nicht von alleine wegläuft. "Er ging in die Küche und machte sich ein paar belegte Brote", ist der vermutlich häufigste Satz in diesem weit über 2.000 Seiten dicken Werk.

So weit alles in bester Ordnung: Wenn die Ermittler vor lauter Stress nur noch Stullen essen, dann kann die Krise nicht mehr weit sein. Und dann sitzt man und liest und wartet auf Mikael Blomkvists Depression, einen Kreislaufkollaps, sein Zerwürfnis mit der Schwester oder darauf, dass der Salander endlich die Bulimie nachgewiesen wird. Und was passiert? Nichts.

Die Bösen sind alle krank

Kein Zeichen von Erschöpfung ist den beiden anzumerken. Die Kollegen Beck, Wallander und Van Vetereen waren immer müde, egal ob sie mit einem Fall anfingen oder ihn abschlossen und egal, wie viel Kaffee sie in sich hineinschütteten. Bei Larsson scheint der Kaffee endlich zu wirken. Die Helden sind die ganze Zeit wach und arbeiten wie die Duracell-Kaninchen.

Manchmal vögeln sie auch so. Die ständigen 14-Stunden-Arbeitstage werden unterbrochen von durchwachten Nächten mit ausnahmslos großartigem und völlig konfliktfreiem Sex, der Gegensatz zu den vergewaltigenden Fieslingen. Bei Sjöwall und Wahlöö waren die Täter immer vor allem Opfer der Umstände, kleine Fische, die den Kopf hinhalten mussten für die wirklichen Verbrecher: Großindustrielle, korrupte Politiker, Richter - Haie, an die man nicht rankam.

Larsson dagegen hat seine Bösewichte gleich so abgrundtief böse gezeichnet, dass sie fast zu Karikaturen ihrer selbst werden. Die "Männer, die Frauen hassen" - so der schwedische Originaltitel des ersten Bandes, auf den Larsson Wert legte -, sind nicht nur ausnahmslos Sadisten, sondern auch noch korrupt und geldgeil. Und das Merkwürdigste ist: Die Bösen sind alle krank!

Es gibt Stalker mit Burn-out-Syndrom, geistig zurückgebliebene Schläger mit Nervenleiden. Und je böser eine Figur, desto kranker ist sie. Die Köpfe der Verschwörung sind beide todkrank. Der eine hat Krebs, der andere kaputte Nieren. Und der Obersuperschurke ist nur noch ein atmender Fleischklumpen.

Vergewaltigung, Mädchenhandel, Massenmord

Unsere Helden dagegen stecken Rückschläge weg wie Sandsäcke und kämpfen wie Muhammad Ali - allen voran die unbesiegbare Lisbeth Salander. Sie schlägt eine ganze Bikergang k. o. und ersteht, mit einer Kugel im Kopf im Wald begraben, von den Toten wieder auf. Und das alles bei ihrem Lebenswandel. Das Böse bei Larsson ist nicht Teil der Gesellschaft wie bei Sjöwall/Wahlöö, sondern ein Fremdkörper, der die heile demokratische Welt angreift. Mit Sozialrealismus hat das wenig zu tun. Eher erinnert es an Christenverschwörungsprosa à la Dan Brown, was auch diese nicht zu erinnernden deutschen Einworttitel mit biblischem Unterton erklärt.

Wie Brown beherrscht Larsson das erzählerische Mittel des Spannungsaufbaus. Immerzu passiert irgendwas. Tür auf, Tür zu, Vergewaltigung, Mädchenhandel, Massenmord, Kaffeetrinken. Pageturner nennt man so was. Das Problem ist nur, dass das Übermenschentum der Larssonschen Helden in Verbindung mit dem Siechtum der Antagonisten dem Ganzen einen ziemlich unangenehmen Unterton gibt.

Stieg Larsson war ein sehr engagierten linker Journalist, der sich zeit seines Lebens dem Kampf gegen die rechtspopulistischen "Schwedendemokraten" gewidmet hat. Wahrscheinlich war Stieg Larsson einfach nur ein schlechter Romanautor, dem nicht aufgefallen ist, wie furchtbar neoliberal und geradezu darwinistisch es anmutet, wenn alle Guten übereifrige Arbeiter sind und alle Bösen krank. Vermutlich hat er nur auf das Tempo der Handlung und auf die Inszenierung seiner Hauptfigur Lisbeth Salander geachtet, statt auch mal auf die Nebenfiguren und den Gesamteindruck zu schauen.

Das Selbstmitleid der Protagonisten

Aber vielleicht ist es auch ganz anders. Richtig gesund sind die Helden ja auch nicht. Salander hat immerhin ein diagnostiziertes Asperger-Syndrom. Und Mikael Blomkvist kann nicht aufhören zu arbeiten.

Vielleicht ist es auch so, dass der skandinavische Kriminalroman selbst dem Verlauf einer manisch-depressiven Erkrankung folgt und mit Larsson von der depressiven in die manische Phase gewechselt hat. Das Selbstmitleid der Protagonisten des 20. Jahrhunderts wurde abgelöst durch die nimmermüden Ermittler des 21. Jahrhunderts mit ihrem blinden Aktionismus und der Wahnvorstellung, die Welt retten zu müssen.

Der "Roman über ein Verbrechen" von Sjöwall/Wahlöö wurde im Verlauf seiner zehn Teile immer mehr zur Agitpropliteratur. Das Anliegen der ideologischen Sendung drängte die Geschichte in den Hintergrund. Der letzte Band ist heute quasi unlesbar. Das wünscht sich keiner. Aber bloß weil Schwedisch draufsteht, muss nicht Gesellschaftskritik drin sein.

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