Ist Kino noch was ?

THEORIEN Auf dem 17. Internationalen Bremer Symposium zum Film wird unter dem Titel „Was ist Kino?“ von Medienwissenschaftlern und Kuratoren über die digitalen Bedrohungen des Kinos debattiert

VON WILFRIED HIPPEN

Es steht schlecht ums Kino! Für viele junge Medienkonsumenten ist es schon längst ein antiquiertes Medium. Der amerikanische Kritiker Anthony Lane nennt sie „platform-agnostics“. Ihnen ist egal, auf welchen Medien sie Filme ansehen. Ob Leinwand, Bildschirm, Laptop, Handy – die Größe und Qualität der Bilder und Töne ist für sie nicht mehr wichtig. Was zählt, ist, dass die Filme möglichst frei und bequem verfügbar sind. Die 3D-Technologie ist ein letzter Versuch, etwas zu bieten, das man nur im Kino erleben kann. Doch schon gibt es 3D-Fernseher, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die stereoskopischen Effekte auch aus dem Netz heruntergeladen werden können. Natürlich gibt es Gegenbewegungen. Im Bremer Kino Schauburg ist fast jeden Montag um 22 Uhr der große Saal ausverkauft, wenn dort ein Sneak-Preview mit Originalfassungen stattfindet. Bei diesen cineastischen Wundertüten (keiner weiß, welcher Film gezeigt wird) wirkt die Aura des Kinos immer noch, aber dieses Ritual des kollektiven Sehens gehört schon längst nicht mehr zu den prägenden Grunderfahrungen junger Menschen.

Mit dieser Problematik beschäftigen sich Teilnehmer des 17. Internationalen Symposiums zum Film, das vom 19. – 22. Januar im Bremer Kino City 46 stattfindet. Schon darin liegt eine Pointe, denn das City 46 ist gerade neu eröffnet worden. Alle vorherigen Symposien waren im Kino 46 abgehalten worden, das im Medienzentrum Walle residierte. Dem Umzug war ein langer Entscheidungsprozess vorausgegangen, in dessen Verlauf natürlich auch die Frage gestellt wurde, ob solch ein kommunales Kino in einer Stadt wie Bremen überhaupt noch zeitgemäß ist. Diese Diskussion wird auch auf dem Symposium weitergeführt werden. Am Freitag um 17.15 Uhr wird dazu dieSprecherin der kommunalen Kinos, Cornelia Klauß, unter dem Titel „kommunale Kinos mitten im Quantensprung“ ihre Thesen vertreten.

Über die „Cinephilie“, also die „Liebe zum Kino“ wird Prof. Malte Hagener von der Universität Marburg am Freitag um 14 Uhr den erste Vortrag des Symposiums halten. Dies wird unter anderem ein historischer Abriss sein (die Phase der klassischen Cinephilie datiert er auf die 50er- bis 70er-Jahre), er will aber auch grundsätzliches über Gefühlsstrukturen und „neue Transformationen und Permutationen“ ausführen. Dass das Kino kein Leitmedium mehr ist, kann man auch daran festmachen, dass es zunehmend ins Museum ausweicht. Über dieses Phänomen hält der ehemalige Leiter der Cinémathéque francaise, Dominique Paini, am Samstag um 10.30 Uhr einen Vortrag mit dem Titel „Von der Leinwand zur Museumswand – vom projizierten zum ausgestellten Kino“.

Darin wird er über den kulturellen Wandel vom Undergroundkino zum Ausstellungskino, vom Kinosaal zur Installation sprechen. Exemplarisch dafür ist die Zusammenarbeit des City 46 mit dem Bremer Museum für moderne Kunst, der Weserburg. Dort wird der britische Experimentalfilmer John Smith unter dem Titel „Worst Case Scenario“ in Installationen eine Auswahl seiner zwischen 1975 und 2003 entstandenen Filme präsentieren. Nach der Eröffnung dieser Werkschau am Freitag um 19 Uhr werden im City 46 mit „The Black Tower“ und „Slow Glass“ zwei längere Kurzfilme von Smith auf der Leinwand gezeigt werden.

Weitere Vorträge am Samstag und Sonntag handeln von einer „Relokalisierung des Kinos“ (Francesco Casetti) oder der „Kunst, Kino zu sein“ (Stefanie Schulte Strathaus). Im Laufe der Zeit sind die Symposien leider zunehmend akademisch geworden, und in den letzten Jahren gab es Beiträge, die für interessierte Cineasten kaum noch verständlich waren. Doch eine Qualität hat sich die Veranstaltung weiter bewahrt. Nicht umsonst findet das Symposium in einem Kino statt, und so werden im Idealfall abwechselnd zu den Vorträge Filme gezeigt, auf die die Dozenten sich bezogen haben oder die ihre Thesen gut illustrieren. So wird direkt nach dem Eröffnungsvortrag über „Cinephilie“ am Freitag um 15.30 Uhr die Dokumentation „Deux de la Vague“ über die widersprüchliche Beziehung zwischen Godard und Truffaut gezeigt.

Zur Thematik Filmmuseen läuft am Freitag um 22.30 Uhr der wunderschöne Liebesfilm „Dopo Mezzanotte“, der fast ausschließlich im Turiner Filmmuseum gedreht wurde. Das Symposium wird am Sonntag Abend um 20.30 Uhr mit „Flucht aus dem Kino ‚Freiheit‘“ abgeschlossen. In diesem kaum bekannten polnischen Spielfilm aus dem Jahr 1990 fangen die Schauspieler auf der Leinwand mit dem Publikum im Kinosaal eine Diskussion über die Schwächen des Drehbuchs und die von der Zensur verbotenen Stellen an. So wird noch einmal im Kino das Kino als ein ritueller Ort zelebriert.