Den Sitz der Seele mit dem Messer suchend

SOKUROWS „FAUST“ Ein Film, der mehr vom Körper als von Gott und Teufel weiß

Am Anfang von „Faust“ gleitet die Kamera über eine Modelllandschaft aus Bergen und Meer, sie nähert sich einer Stadt, ein harter Schnitt unterbricht ihren Flug, ein Close-up auf ein schrumpeliges Körperteil folgt. Nach ein paar Sekunden begreift man: Es ist ein Penis, und der Penis gehört einem Toten, der seziert wird. Ein Hautlappen klappt Richtung Kamera, bevor die sich ein wenig zurückzieht, sodass sich der Bildraum weitet. Faust (Johannes Zeiler) und sein Schüler Wagner (Georg Friedrich) wuseln um die Leiche herum und debattieren über die Frage, wo die Seele ihren Sitz hat. Im Kopf? Im Herzen? Oder doch eher in den Füßen, weil die zu kribbeln beginnen, sobald man starke Gefühle verspürt?

Diese Eröffnung legt nahe, dass Alexander Sokurows Filmversion von Goethes „Faust“ wenig Ehrfurcht aufbietet. Der russische Regisseur will von den großen, bedeutungsschweren Fragen, von Gut und Böse, von Gott und Teufel nichts wissen, stattdessen treibt er Goethes Drama das Metaphysische aus. Die Figuren bewegen sich in verstellten, engen Räume, die Proportionen sind verzerrt, und die Farbigkeit der Welt ist ins Graugrüne verschoben. Sokurows Interesse gilt unwillkürlichen Gesten, vergeblichen Bemühungen und der daraus resultierenden, sanft-grotesken Komik, sein „Faust“ ist eine seltsam amorphe Fantasie, ein Traum, den man Nacht für Nacht träumt, ohne ihn je bewusst zu erinnern. Bei der Filmbiennale in Venedig gab es dafür im September den Goldenen Löwen. CRISTINA NORD

■ „Faust“. Regie: Alexander Sokurow. Mit Johannes Zeiler, Anton Adassinsky u. a. Russland 2011, 134 Min.