Schauspiel Köln: Das Treffen der Antipoden

Herbert Fritsch gilt als der Regisseur mit der Narrenkappe, Laurent Chétouane als ein Sprachphilosoph. Gegensätzlicher kann Theater kaum sein.

Possenreißer im Anmarsch, das Kölner Ensemble in Herbert Fritschs "Herr Puntila und sein Knecht Matti". Bild: David Baltzer

Kölns Intendantin Karin Beier hat am vergangenen Wochenende wieder einmal dem Prinzip Eklektizismus gefrönt. Ganz wie in ihren eigenen Inszenierungen ist es das Eklektizistische, das zu einem wesentlichen Teil ihr Programm bestimmt. Dabei versteht sie es, viel Qualität und wenig ästhetische Doppelungen zu versammeln.

Größere Theaterantipoden als sie dieses Mal eingeladen hat, kann man sich kaum vorstellen: Herbert Fritsch, der sich den Ruf als "Hanswurst" des deutschen Theaters erworben hat, inszenierte Brechts "Herr Puntila und sein Knecht Matti", Laurent Chétouane seine Version der Kleist-Novelle "Das Erdbeben in Chili". Für beide Regisseure gilt, wie wohl für wenige andere, unverwechselbar in ihrer Handschrift zu sein.

Bei Herbert Fritsch regiert die Feier des Schauspielers, weitgehend losgelöst von der Rolle. Das gilt für seinen Kölner "Puntila" noch mehr als etwa für seine beim Theatertreffen 2011 gefeierte "Nora". Fritsch fackelt auch an diesem Abend ein knallbuntes Feuerwerk der Formen und Stile ab. Einmal mehr bestätigt sich der Eindruck, dass Fritsch jedes Stück, das er zwischen die Finger bekommt, mit denselben Mitteln aufbereitet.

Für Brecht macht der Regisseur da keine Ausnahme. Wo schon das Stück für BB-Verhältnisse ungewohnt lustig und alkoholgetränkt daherkommt, lässt sich Fritsch natürlich nicht lumpen.

Charly Hübners Puntila ist ein unter gymnastischen Verrenkungen durch den Abend taumelnder Kotzbrocken. Seinen Widerpart, den Chauffeur Matti, legt Fritsch grandios unerwartet an: Michael Wittenborn wächst als altmodischer Zombie über sich hinaus, wenn er wie ferngesteuert mit ausgestreckten Armen und steif gewordenem Restkörper in seiner roten Fahreruniform über die Bühne stakst. Mit fistelnder Stimme und rollendem R scheint er ein älterer Abkömmling von Hitchcocks Norman Bates, der wie Matti unter dem Überbild seiner Mutter leidet.

Libidinöse Aufladung

Doch das unterschiedliche Paar Matti/Puntila klebt aneinander, wie Fritsch weidlich demonstriert, ohne daraus allerdings eine Lesart des Stücks zu machen: Einmal lehnen sie dicht an dicht und pinkeln schwadronierend (der Soundfetischist Fritsch lässt den Plätscherton quer durch den Saal schwirren), ein anderes Mal küssen sie sich. Überhaupt ist dieser "Puntila" schwer libidinös aufgeladen.

Die Bühne wird von riesigen weißen Palmen gerahmt, die sich gierig biegen, wenn es unter ihnen hoch hergeht. Dort lässt Fritsch wenig Freudsche Fehlleistungen aus. Der Attaché (Maik Solbach) redet als Diplomat vom "Repräserentieren", und nicht nur Puntila wurstelt gerne unten bei sich herum. Geraunzt und gestöhnt wird gerne im Chor des zwölfköpfigen und wie entfesselt aufspielenden Ensembles. Fritsch gilt nicht umsonst als der große Schauspielerbefreier.

Auch wenn der Spaß bei Brecht inhaltlich und formal – sein "Puntila" folgt dem Muster des Volkstheaters – vorgezeichnet ist: Fritsch prügelt mit seiner Show jede Interpretation aus dem Abend. Das alles erschöpft sich in sich selbst, permanente Amplitude. Keine Stoßrichtung, außer im Unterleib.

Das ist große Klasse – und irgendwie doch ermüdend. Während Fritsch das Literaturtheater mit durchgeknallter Amüsierlust torpediert, setzt der Franzose Laurent Chétouane es wieder in sein Recht, auf sehr eigene Weise.

Chétouane ist so bekannt wie verschrien für seine "Hörspiele auf der Bühne", seine "szenischen Lesungen" von Texten aus dem Kanon der deutschen Klassiker: Hölderlin, Goethe, Büchner, Brecht, Müller. Seine Inszenierungen sind singulär spröde, das Identifikationsangebot der Darsteller an die Zuschauer ist gleich null. Das ist konsequent, geht es doch für ihn, wie er sagt, im Theater nicht um den Schauspieler, "der vorgibt, etwas zu fühlen, sondern (um) die Interaktion der Körper mit Raum und Zuschauer".

Selbstverständlich wendet Chétouane dieses Programm auch auf Kleists Novelle an. Der Regisseur erstellt keine in Rollen aufgelöste Fassung, die drei Akteure – Jan-Peter Kampwirth und Marie Rosa Tietjen aus dem Kölner Ensemble sowie der Tänzer Philipp Gehmacher – präsentieren die Erzählung so, wie sie bei Kleist steht. Die Bühne ist nur sparsam mit Requisiten bestückt.

Im Hintergrund sieht man auf einer kleinen Leinwand die Spielfläche samt der drei Spieler, aber in abstrahierter, miniaturisierter Form, sozusagen die Reißbrettversion. Im Wechsel damit erscheinen historisierende Naturbilder oder Menschen von heute auf der Straße, Gesichter, kurz mal Autos, das alles verschwommen und nur in Umrissen kenntlich.

Das hier ist ein Vorschlag

Wie das Spiel der Akteure dienen die Projektionen nur vereinzelt der direkten Illustration der Kleistschen Handlung um das Paar Jeronimo und Josephe. Die überleben wie durch ein Wunder das titelgebende Erdbeben, sind für kurze Momente glücklich und in Gemeinschaft mit lauter durch das Unglück gleich gewordenen Menschen, um am Ende doch vom Mob erschlagen zu werden.

Die Videoversion des Geschehens wirkt wie ein Kommentar des Regisseur auf seinen eigenen abstrakten Inszenierungsstil: Das hier ist nur eine Möglichkeit von vielen, nichts Festgeschriebenes, sondern etwas Leichtes und Unfertiges.

In diesem Sinne agieren auch die Spieler. Teilweise ist beglückend, wie die drei es verstehen, die Qualitäten des Kleist-Textes im Raum beinahe greifbar werden zu lassen. Chétouane gibt ihnen das, was dafür unabkömmlich ist: Zeit.

Abwechselnd sprechen sie die Textpassagen und passen dabei ihre Sprech- und dezente Spielweise dem Ton der Erzählung an. Kleists gnadenloser Wechsel zwischen tiefem Ernst, Traurigkeit, Gewalt und heiter gelassener "Seligkeit" kommt so zum Tragen. Das schafft kein Hörspiel.

Die Gleichberechtigung von Spielerkörper, Blick, Sprache und Raum macht dieses Kleisttheater zur ganzheitlichen Erfahrung. Die Grenze zum Esoterischen wird dabei allerdings überschritten. Dann kippt Chétouanes Stil ins unfreiwillig Komische. Das häufige Armeheben Philipp Gehmachers deutet die Verletzlichkeit, die Durchlässigkeit der Figuren an. Aber es kann auch, zusammen mit dem bewussten Setzen der Sprache, bedeutungsschwanger und manieriert wirken. Dieser Effekt unterläuft den männlichen Spielern häufiger als Marie Rosa Tietjen.

Durchaus vorstellbar, dass dieser symptomatisch zwiespältige Chétouane-Abend ohne eine leuchtende weibliche Darstellerin wie sie noch problematischer ausgesehen hätte.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.