Ägyptischer Regisseur über Libyen: "Die Frauen kämpfen für ihre Kinder"

Der junge ägyptische Dokumentarfilmer Osama El-Wardani hat ein revolutionäres Roadmovie über Libyen gedreht. Mit der taz sprach er über Identifikation und Frauen in Kairo.

Straßenszene am Tahrirplatz in Kairo: "Nein, es wird niemals ein Iran werden." Bild: dapd

taz: Herr El-Wardani, am Anfang Ihres knapp halbstündigen Dokumentarfilms "Tahrir - Ben Ghazi" erzählen Sie, dass Sie sich nach dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak am 11. Februar 2011 verpflichtet gefühlt hätten, nach Libyen zu fahren. Warum?

Osama El-Wardani: Als Mubarak gestürzt, die Revolution vorbei und unser Traum in Erfüllung gegangen war, spürte ich die Verpflichtung, den Leuten dort bei ihrer Revolution zu helfen. Ich hatte das Gefühls einer arabischen Gemeinsamkeit, dass also Libyen jetzt auch mein Land ist wie Tunesien oder Syrien. Ich wollte mit meiner Anwesenheit die Leute in ihrer Revolution unterstützen und ermutigen.

Sie sagen auch, dass sie zunächst gar nicht die Absicht gehabt hätten, einen Film zu drehen.

Ich habe damals für eine kleine Produktionsfirma als Übersetzer gearbeitet. Ich wollte unbedingt nach Libyen und fragte meinen Chef, ob er mir eine Kamera leiht. Das hat er gemacht und mir erklärt, wie man eine Kamera benutzt. Ich habe bei null angefangen, deshalb sind die Aufnahmen manchmal auch etwas verschwommen. Aber ich wäre sowieso gefahren.

Ihr Film ist eine Art revolutionäres Roadmovie. Sie filmen die Strecken ab, die sie gefahren sind, von der Grenze nach Tobruk, Benghazi und schließlich in Richtung der Front bei Ras Lanuf, und nehmen Gespräche mit Menschen auf, denen Sie begegnet sind. War das Ihr Konzept? Oder wollten Sie einfach sehen, was passiert?

Jede Szene war mir sehr wichtig. Ich war das erste Mal in Libyen und wusste nichts über das Land.

Der 23-jährige Osama El-Wardani hat in Kairo englische und amerikanische Literatur studiert und danach als Übersetzer für eine Filmproduktionsgesellschaft gearbeitet. Sein erster Dokumentarfilm, "Tahrir - Ben Ghazi", wurde auf dem Internationalen Filmfestival in Hannover im November 2011 mit dem International Young Film Award ausgezeichnet. Kurz zuvor war El-Wardani bei einer Demonstration gegen den in Ägypten herrschenden Militärrat angeschossen und am Auge verletzt worden. Er hatte großes Glück, der Augapfel wurde nicht verletzt. Heute sieht man an der Schläfe nur noch eine kleine Narbe. El-Wardani wurde außerdem mehrfach von Gummigeschossen getroffen.

In Ihrem Off-Kommentar heißt es zu Beginn des Films: Über Libyen kannte ich drei Dinge: Gaddafi, der sich mit seinem Zelt von Ort zu Ort bewegt, ist verrückt, die Wüste (wobei man in diesem Moment im Hintergrund Wiesen und einen Wald sieht) und Anthony Quinn als Omar Mukhtar.

Es war das erste Mal, dass ich so ein Gefühl der Einheit mit Leuten hatte, die ich nicht kannte. Ich hatte noch nie Waffen gesehen oder bewaffnete Zivilisten. Ich fühlte mich eins mit den Leuten. Ich habe einfach das aufgenommen, was für mich wichtig war. Ich hätte noch mehr gedreht, aber dann hatte ich kein Filmmaterial mehr.

Es ist ein sehr hohes Maß an Identifikation, wenn Sie bereit waren, im Rahmen des gemeinsamen Kampfs in arabischen Staaten gegen den Diktator dem Tod ins Auge zu sehen. An der Stelle in Ihrem Film, als Sie an der Front in einen Angriff gerieten, sagen Sie im Kommentar: "In diesem Moment habe ich mich friedlich dem Tod ergeben. Denn wenn ich sterbe, werde ich für die gleiche Sache sterben inmitten dieser Leute, die mir das Gefühl gegeben haben, zu Hause zu sein, und die meine Familie sind."

Es geht um die gleiche Sache, den gleichen Grund wie in Ägypten. Wir haben das Flugzeug gehört, ich bin nicht weggelaufen, blieb, wo ich war. Einer Bombe kann man nicht entkommen, ebenso wenig wie den Scharfschützen auf dem Tahrirplatz. Und in beiden Fällen handelte es sich um Zivilisten, nicht um eine Armee.

Würden Sie sich als Revolutionär bezeichnen?

Ich?

Haben Sie vor, nach Syrien zu fahren?

Jetzt nicht, wenn alles gutgeht, gern, oder auch in den Jemen. Die Situation in Syrien ist jetzt aber schrecklich. In Libyen war die Lage damals anders, großartig, man hatte das Gefühl, die Armee Gaddafis würde sich allmählich zurückziehen und unser Traum in Erfüllung gehen. Obwohl wir auch in Ägypten 18 Tage lang brutale Gewalt gesehen haben.

In Ägypten haben inzwischen die Parlamentswahlen stattgefunden. Setzen Sie nun Ihre Hoffnung auf den politischen Prozess?

Nein. Die Muslimbrüder und die Salafisten haben gewonnen, weil viele Leute ahnungslos sind. Die Islamisten arbeiten vor Ort, sie haben ihnen geholfen. Die Leute brauchen Götter und ihre Engel auf Erden. Außerdem sind die Islamisten gegen Christen oder sozialistische Parteien. Es muss eine Trennung von Religion und Politik geben.

Wird Ägypten nach dem Wahlsieg der Islamisten jetzt eine islamische Republik wie der Iran?

Ich hoffe, nicht. Nein, es wird niemals ein Iran werden. Ägypten war immer ein offeneres Land, auch in den vergangenen sechzig Jahren [seit der Machtübernahme durch Nasser; d. Red.]. Der Glaube in Ägypten ist nicht so stark ausgeprägt. Für viele ist es kein Widerspruch, abends Bier zu trinken und Haschisch zu rauchen und trotzdem religiös zu sein.

Zurzeit arbeiten Sie um Rahmen eines Workshops an einem neuen Dokumentarfilm. Worum geht es dabei?

Der Film heißt "Und dennoch …". Er handelt von Frauen, die nach der Revolution voller Hoffnung waren, Kinder wollten und diese auch bekommen haben. Es geht darum, was seither geschehen ist und was sie jetzt von den Entwicklungen denken. Ich habe drei Protagonistinnen, zwei von ihnen haben hochschwanger gegen das Militär protestiert, die dritte ist mit ihrem einen Monat alten Baby auf dem Arm demonstrieren gegangen. Sie haben sich entschieden, weiterzukämpfen, für ihre Kinder.

Was wünschen Sie sich für Ihr Land und was für sich persönlich?

Ich wünsche mir ein freies Land in politischer und menschlicher Hinsicht, ohne Polizei- oder Militärstaat, wo freies Denken möglich ist und es eine gute Ausbildung für alle gibt. Das ist mein größter Wunsch. Die Entwicklung Ägyptens steht dabei an erster Stelle, dafür leben wir. Und wenn die gut verläuft, dann ist es für alle gut.

Arbeiten Sie noch als Übersetzer?

Nein, ich bin jetzt Filmemacher.

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