Die Tücken der Schlafzimmerproduktion

GEISTERPOP Lange nachhallende Beats: Das Festival CTM präsentierte im Berghain Unterhaltungsmusik aus dem Jenseits

Tiefergelegte Stimmen, bedrohlich abtauchende Bässe und Beats, die so scharf knallen, als würde der Sensenmann höchstpersönlich die Luft zerschneiden

Donnerstag war Bergfest. Genau zur Mitte des CTM, vormals Club Transmediale, gelangte das Festival für abenteuerliche Musik in den inneren Kreis seines titelgebenden Themas „Spectral“: Das Gespenstische galt es zu erkunden, und kaum ein Label steht dieser Tage so sprichwörtlich für spukhafte Klänge wie Tri Angle Records aus London und New York. Drei Musiker des Hauses hatte man ins Berghain geladen, um ihre Studioproduktionen zum Teil erstmalig vor europäischem Publikum zum Leben zu erwecken. Das gelang mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg.

Seit den ersten Veröffentlichungen im Jahr 2010 erfreuen sich die Platten von Tri Angle großer Beliebtheit. Der eigentümlich morbide, körperlose Klang der Computerproduktionen diverser Heimproduzenten mit seltsamen Namen wie Balam Acab oder oOoOO trug entscheidend zur Ausrufung des neuen Genres Witch House bei, das vor gut einem Jahr die Musikblogs und Feuilletons für kurze Zeit in Atem hielt. Drag oder Hypnagogic Pop sind andere Namen für diese abgezogene Version von Pop, die gerne mit hoch- oder heruntergepitchten Stimmen arbeitet und in der lange nachhallende Beats erste Bürgerpflicht sind.

Mit solchen Elementen arbeitet auch der 20-jährige Alec Koone alias Balam Acab, der an diesem Abend zugleich sein konzertantes Europa-Debüt gab. Seine langsam zerfallenden Songs, die mit Fragmenten von R & B und Synthiepop arbeiten, unterlegt der junge Amerikaner mit Geräuschen, die oft an fließendes Wasser erinnern. Zur Verstärkung hatte er sich eine Sängerin mit auf die Bühne geholt, die ihm mit – unbearbeitetem – Gesang zur Seite stand. Das war in diesem Fall ein Nachteil, da so die Begrenzung ihrer stimmlichen Möglichkeiten besonders deutlich bemerkbar wurde, auch Koones Einsatz als Backgroundsänger trug wenig zur Verbesserung des Klangbilds bei. Jubel gab es selbstredend trotzdem.

Wesentlich besser machte es da sein Kollege Chris Dexter Greenspan alias oOoOO. Seine stark entschleunigten HipHop-Beats, über denen sonst Computerstimmen schweben, ließ er von der französischen Sängerin ButterClock begleiten, die klugerweise beim Singen gleich auf die Softwarehilfe Autotune zurückgriff, was ihrem Gesang den passenden übernatürlichen Einschlag verlieh. Ironischerweise klang das Ergebnis wesentlich lebendiger als Balam Acab.

Dass man überhaupt keine Sänger benötigt, um auch als Computermusiker im Konzert eine gute Figur zu machen, zeigte zum Abschluss ein anonymer Engländer mit dem schönen Künstlernamen Holy Other. Ganz in Schwarz gekleidet und mit einem Tuch über dem Kopf, bot er eine Bühnenshow, die sich auf minimale Lichteffekte und Schwarz-Weiß-Bilder von Wolken oder zerknüllten Bettdecken beschränkte, ohne dass man groß etwas vermisst hätte. Der klare Vorteil von Holy Other ist seine Nähe zur Clubmusik, auch wenn das, was bei ihm etwa von House Music noch übrig bleibt, alle Kriterien eines zeitgemäße Totentanzes erfüllen dürfte: tiefergelegte Stimmen, bedrohlich abtauchende Bässe und Beats, die so scharf knallen, als würde der Sensenmann höchstpersönlich die Luft zerschneiden – dennoch bauen die Stücke immer genug Energie und sogar Wärme auf, um die Zuhörer in Bewegung zu versetzen. Und das ließen die sich nicht zweimal sagen.

TIM CASPAR BOEHME

■ CTM, bis 5. 2., Informationen unter www.ctm-festival.de