Die Geliebte des Wahnsinnigen

FRAUENLEICHEN Buddy Giovinazzos „Piss in den Wind“ ist nicht nur der Krimi mit dem besten Titel des Jahres, sondern auch sonst ein bisschen irre

Herzlichen Glückwunsch, der war gut! Es kommt selten vor, dass man ein Buch nur deswegen aufschlägt, weil der Titel so unwiderstehlich ist. Doch wer auch immer die Eingebung hatte, aus dem englischen Originaltitel von Buddy Giovinazzos „Caution to the Winds“ ein hingerotztes „Piss in den Wind“ zu machen, hat am Autor wohlgetan. Inwieweit der Titel zum Inhalt passt, könnte man, wenn man wollte, diskutieren, man kann es aber ebenso gut sein lassen. Was würde wohl besser zu einem Buch mit einer psychisch kranken Hauptfigur passen als ein etwas irrer Titel?

„Meine Geschichte ist eine Geschichte des Wahnsinns“, hebt der Roman an, und auch das ist vielversprechend. Der Ich-Erzähler James, der hier in der Rückschau von einer Phase der geistigen Umnachtung zu berichten hat, arbeitet als Dozent für Fotografie an einem kalifornischen College. Zu dem Zeitpunkt, da seine Geschichte des Wahnsinns ihren Anfang nimmt, lebt er in einer netten Wohnung mit Meeresblick, die er nunmehr auch nicht mehr mit seiner Freundin Karen teilen muss, weil diese soeben dabei ist, auszuziehen. Und obwohl James weiß, dass ihre Beziehung längst beendet war, und er sich lediglich an die Frau gewöhnt hat wie an eine Jeans, „die man zwar seit Jahren nicht getragen hatte, aber mit wohligem Gefühl sicher in der untersten Schublade verwahrt wusste“, erlebt er das Verlassenwerden als so traumatisch, dass er einen epileptischen Anfall erleidet, als Karen sich anschickt, die Wohnung zu verlassen. Als er wieder zu sich kommt, findet er sie tot zu seinen Füßen. Erwürgt, wie ihm scheint.

Statt die Polizei zu rufen und auf Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren, schafft James die Leiche beiseite. Und da dieser Roman kein betroffenheitsschweres Psychodrama eines Wahnsinnigen, sondern eine selbst leicht irre Geschichte über einen Irren darstellt, ist das auf eine beinahe fargohaft schwarzhumorige Art ziemlich lustig. Buddy Giovinazzo, der im Übrigen nicht nur Bücher schreibt, sondern auch Filme macht und in seiner zweiten Identität als Regisseur sogar etliche deutsche Fernsehkrimis (sowohl „Tatort“ als auch „Polizeiruf“) auf dem Gewissen hat, erweist sich als souveräner Genrejongleur. Denn James auf seinen Irrwegen zu folgen hat einerseits immer wieder diese unbestreitbar komischen Qualitäten. Gleichzeitig sorgt die schwarze Seite dieser Komik dafür, dass die Beklemmung, die die Lektüre konstant begleitet, nie nachlässt. Denn nachdem es James endlich gelungen ist, Karens Leiche dem Ozean zu überantworten, spült dieser kurz danach eine andere Frauenleiche an Land, in die sich James augenblicklich verliebt – ist doch dieses weibliche Wesen gerade insofern perfekt, als es nicht nur jung und schön, sondern vor allem so tot ist, dass es ihn nie wird verlassen können. Die unbekannte Tote wird zu seiner imaginären Geliebten. Als James ihre reale, sehr lebendige Schwester kennenlernt, stellen sich, wenig überraschend, Komplikationen ein.

Mit leichter Hand (und die deutsche Übersetzung macht das mühelos mit) erzählt Giovinazzo diese Geschichte auf mehreren Ebenen, lässt James’ fortgeschrittene Psychose sich munter fortentwickeln, während er allmählich deren Ursprünge aufdröselt und ganz nebenbei auch noch den überraschenden Hintergrund von Karens gewaltsamem Tod aufdeckt. Und die ganze Zeit kann man sich partout nicht entscheiden, ob man nun eigentlich Empathie mit dem Protagonisten empfinden soll und darf oder eher nicht. Denn ist er nicht immerhin, sehr wahrscheinlich, so eine Art irrer Mörder? Ein echtes Lektüredilemma. Aber auch das trägt dazu bei, dass sich dieses schräge kleine Buch, so lässig erzählt es auch daherkommt, als echter Pageturner entpuppt. KATHARINA GRANZIN

Buddy Giovinazzo: „Piss in den Wind“. Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller. Pulp Master, Berlin 2011, 247 Seiten, 13,80 Euro