Auf der Suche nach dem Mythos

KULISSEN 100 Jahre alt sind die Filmstudios in Babelsberg. Marlene Dietrich drehte hier, Quentin Tarantino und das GZSZ-Team. Ein Besuch mit imaginärem Bolzenschneider

Richtig gut verstecken kann man sich in den anderthalb Filmgassen aber nicht, schon steht ein Pressebetreuer vor mir und fragt nach meinem Begehr. Zum Glück ist er nett

VON ANDREAS BECKER

Immerhin 99,9 Jahre hätte man Zeit gehabt, sich dem Mythos Babelsberg von innen zu nähern, jetzt ist es wieder mal zu spät. Die Aufregung um den 100. Geburtstag der Studios ist so groß, dass niemand mehr zu finden ist, der einem die Hallen und Kulissen zeigen würde.

Also imaginären Bolzenschneider einpacken und den guten alten Gonzo-Journalistenausweis: Raus geht’s mit der S-Bahn nach Griebnitzsee. So gerüstet lässt es sich prima zunächst in die falsche Richtung laufen, dorthin, wo früher mal Filmgrößen und Propagandaminister logierten. Auf dem dünnen, aber tragfähigen Eis des zugefrorenen Sees ist es möglich, den unterbrochenen alten DDR-Grenzweg zu umgehen und die abgeriegelten Villengärten so zu bloßen Kulissen des Egoismus werden zu lassen. Leider ist bei der Kälte niemand da, dem man vom Eis aus den Stinkefinger zeigen könnte.

Hallo, Journalistengirl

Also doch Richtung Studios. Auf der Mythossuche biegt man am besten kurz hinter der Bahn rechts in die Marlene-Dietrich-Allee ein. Denn hier, außerhalb des eigentlichen Filmgeländes, steht seit 1999 die Kulisse des Films „Sonnenallee“. Rostige Stahlträger bilden, unterstützt von ehemaligen Schiffscontainern und Gerüststangen, ein kleines Stück künstliche Stadt. Kopfsteinpflastersträßchen mit Straßenbahnschienen, die an einer Mauer abrupt enden. Schaut man daran vorbei, sieht man ein Einfamilienhaus, viel zu gegenwärtig und durchschnittlich, um je Kulisse sein zu dürfen. Als man schon fast über den ramponierten Bauzaun geklettert wäre, um mitten in der Kulisse zu stehen, sieht man eine offene Tür.

Ein junges Journalistengirl von RTL steht mit knallgelbem Mikro vor einer grauen Pappwand. Ich verstecke mich erst hinter der vollgesprayten kleinen Straßenbahn und dann in einer Nebenstraße, schaue in eine Hinterhofeinfahrt. Sofort zweifelt man am Kulissencharakter, klopft gegen den Gips und vermutet doch „echte“ Mauern. Kleine, verputzte Spratzer an der Wand verraten: Hier wurde öfter mal jemand erschossen.

Richtig gut verstecken kann man sich in den anderthalb Filmgassen aber nicht, schon steht ein (zum Glück netter) Pressebetreuer vor mir und fragt nach meinem Begehr. „Muss was für die taz machen“ reicht als Legitimation. Er erzählt, wie Tarantino nur ein kurzes Stück der Straße brauchte. Aus dem leeren Laden wurde ein Fischgeschäft. Dauernd sei die Straße ausgebucht, eine echte Cashkuh für die Studios. Leider muss sie aber kommendes Jahr dann doch mal abgerissen werden, der Pachtvertrag läuft aus. Toll wäre doch, wenn man die abgerockten Kulissen als Wohnhäuser aus Stein nachbauen würde.

Auf der anderen Seite der Dietrich-Allee, neben den langweiligen Gebäuden des RBB steht ein nachgebautes Stück doppelte Berliner Mauer ein wenig uninspiriert im Garten rum. Davor liegt ein gelbes DDR-Kioskgebäude, das man Filmzuschauern wahrscheinlich als Wachturm verkauft. Auch ein abgeblättertes mehrsprachiges Westberliner Warnschild fehlt nicht. Wüsste man nicht, dass hier irgendwo die Studios sein sollen, könnte man vermuten, man sei im Garten von Sahra Wagenknecht.

Aber nähern wir uns dem (zumindest was die Dauer betrifft) größten Erfolgsprojekt der Studio AG, 2004 von den Produzenten Carl Woebcken und Christoph Fisser für einen Euro von Vivendi-Universal übernommen.

GZSZ! Die TV-Serie wird seit Mitte der 90er hier produziert und zieht immer wieder Teenies aufs Filmgelände, die auf Autogramme warten. Vor einigen Jahren hat sich GZSZ hinter seiner Halle einen Außenset zugelegt, fast so umfangreich wie die Sonnenallee. Hier wird heute sogar gedreht! Durch einen abgehängten Bauzaun luge ich in die gar nicht mal kleine, moderne GZSZ-Außenwelt mit Straßencafé. Es gibt einen eigenen U-Bahn-Eingang, die Naseweis-Kita, ein „Ärztehaus“ und die Joachim-Apotheke. Und echte Autos!

Weiter geht der Spaziergang Richtung Billy-Wilder-Platz. In einem schmucklosen Bürokasten residiert eine Firma mit dem Logo einer Öllampe: die Wonderlamp Industries. Wahrscheinlich ein Global Player im Filmbizz. Auf mein Klingeln antwortet niemand. Gehe ich eben direkt in eine offene Tür, über der „Nefzer Special Effects“ steht.

Es riecht nach Zonenbodenbelag, hinter einem Schreibtisch sitzt ein etwas kurz angebundener Herr, zeigt auf die Filmplakate mit Explosionen drauf. „Ham wir allet jemacht.“ Sogar die tolle Hitlersprengung in Tarantinos „Basterds“ geht auf sein Konto. „Hab leider keine Zeit, meine Leute sind in Budapest, was für den nächsten ‚Mission Impossible‘ vorbereiten, ich muss schnell nen Audispot kalkulieren.“

Proben für den Festakt

Um mich aufzuwärmen, und mir endlich Action und Ärger einzuhandeln, beschließe ich, auf eigene Faust in die Marlene-Dietrich-Halle einzudringen, die Mythenzentrale dieser Traumfabrik. Hinter einem rauchenden Maler, der anscheinend Feierabend macht, gehe ich durch die offene Tür. Vorbei an einer halb fertigen Babelsberg-Fotoausstellung im Foyer, direkt in die verdammte, irre legendäre Studiohalle.

Nur ein einziger Typ am Laptop ist anwesend, macht Lichtproben für den großen Festakt. Eine Pappwand mit Sponsorennamen und Stühle stehen in Teilen der Halle. Der Beleuchter lässt mich in Ruhe. Aber außer wenigen großen, recht alten Scheinwerfern, einer runden Windmaschine und einem kleinen Stromkasten mit dem Aufkleber „Die Nefzer – Spezialeffekte“ ist hier nichts zu sehen.

„Na, die letzten Vorbereitungen?“, sage ich zum Laptopmann, als sei ich ein Hollywoodmogul. „Schon noch einiges zu tun“, murmelt der. Morgen sind dann jedenfalls endlich die ersten 100 Jahre rum.

■ Festakt zum 100-jährigen Bestehen des Studios Babelsberg am 12. Februar mit Rede von Kulturstaatsminister Bernd Neumann und einer Vorführung des am 12. Februar 1912 begonnenen Film „Der Totentanz“ mit Asta Nielsen