Das Leben ist ein Plastikkanister

AUSSTELLUNG Die von der Böll-Stiftung organisierte Schau „SurVivArt“ in den Galerien Meinblau und Mikael Andersen zeigt internationale Kunstbeiträge zum Thema Überleben im Wandel der Zeit

Recht auf gutes Leben ist allgemeingültig, wird aber unterschiedlich beansprucht

VON MARCUS WOELLER

Die Kunst, zu überleben, wird eher nicht in ästhetischen Qualitäten gemessen. Deshalb führt der Titel der Ausstellung „SurVivArt“, organisiert von der Heinrich-Böll-Stiftung, zunächst in eine falsche Richtung.

Weniger als ums nackte Überleben, bei dem Kunst wohl keine Rolle mehr spielt, geht es um das menschliche Streben nach einem guten Leben. Ein existenzieller Wunsch, der die Bevölkerung des entwickelten Nordens ebenso umtreibt wie Kambodschanerinnen und Nigerianerinnen, Thailänder und Äthiopier. Doch was bedeutet es, das „gute Leben“? Es besser zu machen als frühere Generationen in Europa oder Nordamerika und, nachdem das Weltklima ramponiert ist und weniger entwickelte Regionen ausgebeutet wurden, auf Nachhaltigkeit und Emissionsvermeidung zu setzen? Oder es besser zu haben als frühere Generationen in der sogenannten Dritten Welt und Ablenkung im Konsum zu suchen und Gefahr zu laufen, die Fehler der Ersten Welt zu wiederholen?

Denkanstöße für Wandel

Die Böll-Stiftung hat „SurVivArt – Kunst für das Recht auf ein gutes Leben“ als internationales Kunstprojekt initiiert, um eine Debatte über solche Fragen anzuregen und zu untersuchen, welche alternativen Lebensstile Denkanstöße für einen gesellschaftlichen Wandel hier wie dort bieten können. So präsentiert sich die Ausstellung, die zurzeit in den Galerien Meinblau und Mikael Andersen gezeigt wird, als Rechercheprojekt von Künstlern, Designern, Innenarchitekten und Choreografen, deren Werke nur als Anhaltspunkt für eine kreative Annäherung an Auswirkungen des Klimawandels, Landflucht und Verstädterung, Geschlechterdifferenzen oder Konsumismus zu verstehen sind.

Wenn der Künstler Kebreab Demeke alte Kanister zu einer haushohen Installation zusammenbaut, wirkt das auf den ersten Blick plakativ und banal, wie ein Klischee von afrikanischer Recyclingkunst. Doch zielt Demeke auf ein komplexeres Verhältnis von Arbeit, gesellschaftlichen Rollenvorstellungen und Erziehung zur Nachhaltigkeit ab. Die „jerekinas“, Plastikkanister mit Handgriff und Schraubverschluss, in denen ursprünglich Pflanzenöl oder Reinigungsmittel abgefüllt war, überziehen die Landschaft Äthiopiens. Sie sind meist leuchtend gelb, zerbeult und für die nächsten 100.000 Jahre wohl nicht abbaubar.

Den Äthiopiern dienen die Kanister als Transportmittel für Trinkwasser; die traditionellen Tongefäße haben sie längst abgelöst. Seine Installation „Klima +/–“ hat Demeke in Abstimmung mit dem Schuldirektor und dem Ältestenrat des Ortes Harla nun als Gemeinschaftsprojekt errichtet. Kinder haben den Plastikmüll eingesammelt, die Erwachsenen ihn zu einer nutzbaren und begehbaren Skulptur aufgebaut, mit Wasserleitungen versehen und teilweise mit Erde befüllt. Der Umweltclub der Schule kümmert sich nun um das signifikante Biotop, um dort Obst und Gemüse anzubauen.

„Durch diese Zusammenarbeit mit den Einheimischen hat der Künstler viel mehr als nur eine Skulptur aus alten Kanistern geschaffen.“, meint Valia Carvalho, Kulturmanagerin und Kuratorin der Ausstellung. „Der eigentliche Erfolg ist, dass sich der Umgang der Leute mit diesen Wegwerfobjekten verändert hat. Und darum geht es vielen der KünstlerInnen: einen Dialog mit anderen Menschen und der Gemeinschaft anzufangen.“

In solche Dialoge sind auch die Künstler Robel Temesgen aus Addis Abeba und Segun Adefila aus Nigeria getreten. Adefila verarbeitete Interviews mit Bewohnern eines wirtschaftlich gefährdeten Viertels in Lagos, das auf der Kippe zur Verelendung steht, in einer multimedialen Performance, die er nicht unbeabsichtigt in einer Straße namens Aiyedun ansiedelt und aufführt. „Aiyedun“ bedeutet: „Das Leben ist gut.“ Temesgen vereinte Rollenspiel und Videofilm zu seinem Projekt „Was ich mal werden will“ und merkte dabei schnell, dass mehr als künstlerische Konzepte nötig ist, um tradierte gesellschaftliche Rollen aufzubrechen.

Die Quintessenz eines „guten Lebens“ ist jedenfalls nicht so einfach auszumachen. Das macht die Ausstellung deutlich. Einige Projekte versuchen, Problemen mit konkreten Lösungen zu begegnen. Die nigerianische Industriedesignerin Alafuro Sikoki hat den Kampf gegen eine Wasserpflanze aufgenommen, die sich immer mehr zu einer Plage entwickelt. Indem sie Menschen anlernt, die Wasserhyazinthen regelrecht zu ernten und ihre Fasern als Rohstoff für Lampenschirme und Sitzpolster zu verarbeiten, entstehen nicht nur Designobjekte, Sikoki hat damit auch eine fast ausgestorbene Handwerkstechnik wiederbelebt.

Viele Projekte üben jedoch Konsumkritik, denn ein gutes Leben zu leben erkennen Künstler in dem „Konzept, dass man nicht all das, was einem eingeredet wird, unbedingt braucht. Unsere Bedürfnisse sind gar nicht so hoch“, erklärt Carvalho. „Bloß wird in Europa und Nordamerika statt Offenheit ein gewisses Besserwissen gegenüber anderen Ländern gepflegt. Dabei gibt es in vielen Regionen bereits eine Praxis von Nachhaltigkeit. Leider haben sich die Gier nach Geld und das westliche Wachstumsideal schon global ausgebreitet, und darüber gehen viele nachhaltige Traditionen verloren.“

Das Recht auf ein gutes Leben mag allgemeingültig sein, wird aber regional noch vollkommen unterschiedlich geltend gemacht. Und ob es mittelfristig eher um die Kunst, zu leben, oder um die Kunst, zu überleben, geht, scheint noch nicht entschieden.

■ „SurVivArt – Kunst für das Recht auf ein gutes Leben“. Galerien Meinblau und Mikael Andersen, Pfefferberg, Christinenstr. 18/19, bis 24. Februar, www.survivart.org