Halbe Götter mit ganzen Hunden

UNTER PHILOSOPHEN Inzest und Vatermord – Joann Sfar und Christophe Blain tauchen für ihre drei Comicbände „Sokrates der Halbhund“ tief in die griechische Antike ein. Gerade erschien „Ödipus in Korinth“

Angesichts von Sfars Vorliebe für das Morbide, die Unterwelt, das Untote und das Gemetzel an sich ist dessen lukrative Karriere im Mainstream doch bemerkenswert

VON KATJA LÜTGHE

Meine Philosophie fußt auf dem Dialog“, sagt Sokrates und erklärt uns, wie er seinen Herrn durch geschicktes Fragen zu neuer Erkenntnis führt. So wenigstens die schöne Theorie. Allein sein Herr, der recht einfach gestrickte Halbgott Herakles, stellt sich wenig Fragen, und so muss sich Sokrates im Angesicht der Realität eingestehen: „Im Grunde reden wir kaum miteinander.“

Sokrates, das sollte man wohl erwähnen, ist in diesem Fall ein lesekundiger und sprachbegabter Hund, genauer ein Halbhund, denn zur anderen Hälfte ist er eben Philosoph. „Sokrates der Halbhund“ haben Joann Sfar (Szenario) und Christophe Blain (Zeichnungen) ihre auf vier Bände angelegte Comic-Serie dann auch recht prosaisch genannt. Zwei Bände („Herakles“ und „Odysseus“) lang folgte Sokrates bislang darin seinem Herrn, stets Herakles Lebenswandel kommentierend. Es sind vor allem Sex und Gewalt, die Herakles antreiben, weshalb er reihenweise Frauen flachlegt, Menschen und Monster mordet und auch vor Kannibalismus nicht zurückschreckt.

Das Baby Ödipus

Auf idiosynkratische Weise haben sich Sfar und Blain die griechische Antike angeeignet, die bei ihnen kaum zum zivilisatorischen Vorbild taugt. Triviale Motive wie Eifersucht, Langeweile, Eitelkeit und Zerstörungslust bestimmen die von Männern gemachte Geschichte. Den Einfluss der Frauen schätzt Sokrates hingegen gering: „Es ist wie mit den Hunden, ihre Meinung zählt nicht.“ Insofern könnte Sokrates eigentlich froh sein, dass Herakles ihn, den er für einen schlechten, verlogenen und feigen Hund hält, eines Tages auf einer einsamen Insel aussetzt.

Doch als der Halbhund im nun erschienenen dritten Band „Ödipus in Korinth“ gerade beginnt, die beängstigende Ungebundenheit zu akzeptieren – schließlich ist er bei aller philosophischen Begabung ein Rudeltier – wirft ihm der Zufall oder die Vorhersehung Baby Ödipus vor die Füße. Das Kind soll bekanntlich getötet werden, bevor sich die Prophezeiung von Inzest und Vatermord erfüllt. Sokrates zeigt sich pikiert angesichts der Mythengläubigkeit seiner menschlichen Zeitgenossen und will dem vermeintlich unausweichlichen Schicksal Ödipus durch absolut repressionsfreie und gewaltlose Erziehung begegnen. So viel sei verraten, es kommt anders. Mit dem erneuten Auftauchen Herakles‘ gewinnt das Prinzip der Gewalt notwendig die Oberhand.

Was eigentlich düster klingt, ist nun derart bunt und durchaus komisch in Szene gesetzt, dass vieles von dem Schrecken dahinter zurückweicht. Und während Joann Sfars Illustrationen in seinen Soloarbeiten immer ein wenig so wirken, als wäre die Hand eigentlich zu langsam für die rasante Bilderflut im Kopf, bestechen hier die eher flächigen Zeichnungen von Christophe Blain durch ihre Reduktion und ruhige Klarheit.

Wie schon in Blains eigener Serie „Isaak der Pirat“ sind die Figuren antinaturalistisch. Die Körper werden je nach Bedarf in die Länge gezogen, einzelne Attribute übertrieben dargestellt und es darf bezweifelt werden, dass die verstreuten Körperteile der zahlreich Getöteten wirklich zusammenpassen würden.

Die sonderbare Mischung aus Gewalt und Spaß ist dabei ganz typisch für den 1971 geborenen Joann Sfar, der gegenwärtig einer der erfolgreichsten und wahrscheinlich der produktivste unter den (französischen) Comic-Zeichnern ist. So betreibt er etwa gemeinsam mit Lewis Trondheim die leicht größenwahnsinnig auf mehrere hundert Bände projektierte Donjon-Serie, eine parodistische Annäherung an das Fantasy-Genre, in der ökonomisch strauchelnde Zauberer, abenteuerhungrige Wesen aller Art und Monster vergnüglich ins Verderben gestürzt werden.

Unterstützung erhält der Donjon-Kosmos dabei mittlerweile von anderen Zeichnern der „Nouvelle Bande Dessinée“, Comic-Schaffenden der jüngeren Generation, die ironisch mit der Tradition der von Tim-und-Struppi-Schöpfer Hergé einst gegründeten „Ligne claire“ brechen, sich bisweilen bunt und wild durch unmögliche Welten fabulieren. Angesichts von Sfars Vorliebe für das Morbide, die Unterwelt, das Untote und das Gemetzel an sich ist dessen lukrative Karriere im Mainstream doch bemerkenswert. Selbst noch in seinen Arbeiten für Kinder ist der Tod allgegenwärtig, wie „Desmodus der kleine Vampir“ zeigt. Und gerade auch in der Beschäftigung mit seinem jüdischen Erbe in den Reihen „Klezmer“, in der er seinen aschkenasisch-osteuropäischen Wurzeln nachspürt, sowie in „Die Katze des Rabbiners“, einer Hommage an die sefardisch-maghrebinischen-Vorfahren und die Kunst des Disputierens, geht es durchaus rabiat und rau zu. Es scheint, als würde Sfar die ganze Ohnmacht gegenüber einer durch und durch gewalttätigen Welt in seinen oft absurden und bisweilen brutalen Erzählungen und Bildern bannen wollen.

Unter der rotzigen Oberfläche seiner abenteuerlichen und in die Vergangenheit gerichteten Geschichten ist eine große Melancholie ob der Sinnlosigkeit menschlichen Tuns uns Seins zu spüren. Die inneren Dämonen Sfars scheinen höchst präsent. „Gott ist eine tröstliche Einbildung“ der Menschen, die Angst vor Einsamkeit und Tod haben, weiß der Thora und Talmud studierende Kater des Rabbiners in „Die Katze des Rabbiners“.

Wir trösten uns derweil mit philosophierenden Hunden und höchst reflektiert auf den eigenen Vorteil bedachten Katzen, die einen wenig schmeichelhaften, aber ausgesprochen kurzweiligen Blick auf die menschliche Daseinsform werfen.

Joann Sfar & Christophe Blain: „Sokrates der Halbhund“: Band 1 „Herakles“, Band 2 „Odysseus“, Band 3 „Ödipus in Korinth“. Auf Deutsch bei Reprodukt, Berlin, jeweils 48 Seiten für 12 Euro