Der innere Zusammenhang

LITERATUR Dietmar Dath und Barbara Kirchner stellen ihr Buch „Implex“ im Brecht-Haus vor. Draußen schmilzt der Schnee, innen wächst die Leselust

Man schneide sich den Spaß ab, wenn man das Buch nur als philosophisches Traktat lese, sagt Georg Fülberth

Ich hatte eine Stunde am Nachmittag geschlafen und danach im Bett ein bisschen in „Implex“ gelesen, weil ich doch über die Buchpremiere am Abend schreiben sollte. Weil es morgens geschneit hatte, dachte ich beim Lesen an Peter Weiss und wie ich die „Ästhetik des Widerstands“ in diesem ziemlich kalten Winter vor 25 Jahren gelesen habe. Wie ich, während ich mich im Sinne der Verbesserung der Menschheit gebildet, die Ofenwärme genossen hatte und jetzt, mit „Implex“ im Bett, war es irgendwie ähnlich. Dann war ich aufgestanden, las zwei ausführliche Verrisse und dachte, das Buch ist vielleicht doch nur Rumgepose.

Mit ambivalenten Gefühlen zog ich los. In der U-Bahn strickte ein junger Mann irgendwie verbissen.

Die Buchpremiere ist ausverkauft, der Veranstaltungsraum des Brechtzentrums an der Chausseestraße proppenvoll. Ungefähr 100 Leute sind da. Als Pressevertreter bekommt man einen reservierten Platz in der ersten Reihe, zwei Meter entfernt von Dietmar Dath und Barbara Kirchner und Georg Fülberth, der das alles moderiert. Neben mir sitzt Rainald Goetz. Wir kennen uns seit ungefähr 25 Jahren, können aber kaum reden, da die Veranstaltung nun losgeht.

Komisch, in der ersten Reihe, das Publikum im Rücken, nebeneinanderzusitzen und so parallel Notizen zu machen. Das Schreiben mit einem Stift impliziere eigentlich auch die halbe Menschheitsgeschichte, hatte Wolfgang Fritz Haug an der FU in seinen Kapitalvorlesungen erklärt. Der Implex, von dem Dietmar Dath und Barbara Kirchner handeln, meint allerdings den inneren Zusammenhang verborgener Freiheitsgrade, der sich in allem Möglichen, sozusagen unter der Hand, tradiert.

Georg Fülberth, der 72-jährige Kommunist und emeritierte Professor für Politikwissenschaft, spricht einleitende Worte. Beim „Implex“ handele es sich um eine Hybridform, einen „Abenteuerroman im Kopf“, eine Operation gegen den Zynismus der Sieger und Verlierer. Die Helden sind Begriffe, nicht Personen. Man schneide sich den Spaß ab, wenn man das Buch nur als philosophisches Traktat lese. Auch der Kapitalismus ist Teil der Fortschrittsgeschichte. Die Helden sind auch die beiden Autoren, die jeden Morgen ab 8 auf ihrer Arbeit antanzen, „nachdem sie schon ein paar Stunden geschrieben haben“. Mit großem Vergnügen hätte er „Implex“ gleich zweimal gelesen und freue sich schon auf das dritte Mal.

Georg Fülberth sieht gut aus, seine Worte sind klar und er hat eine angenehme Stimme. Schade, dass er nicht Bundespräsident ist!

Dietmar Dath und Barbara Kirchner verzichten darauf, aus dem Buch vorzulesen. Stattdessen demonstrieren sie im Wechselspiel, ein bisschen theaterhaft, wie sie so zusammen denken und geschrieben haben. Gegen den „maskenstarrenden Positivismus“, gegen die Rede von der Alternativlosigkeit, gegen „euer schon ganz wahnsinniges Menschenbild“. Anfangs, vor 15 Jahren, hätten sie an einen kleinen Essay gedacht; nun ist es ein dickes Buch geworden. „Wir haben die Dialektik wieder entdeckt. Danach kommt das Rad und das Feuer.“ Was Fülberth einen Pop-Roman nennt, ist „das Schwerste, was wir jemals gemacht haben“.

Als Vertreter der alten Linken examiniert Fülberth die Vertreter der neueren Linken, fragt, ob es sich beim Begriff der „Interpenetration“ um etwas Unanständiges handele; nein, es geht um Komplexitätssteigerung. Dietmar Dath versucht auf Fragen des Zeit-Rezensenten zu antworten, „der das Buch nicht leiden kann und uns auch nicht“.

Die Veranstaltung ist sehr gut gelungen. Alle sind zufrieden. Dann gibt es Wein vom Suhrkamp Verlag. Nun möchte man das Buch auch gerne weiterlesen.

DETLEF KUHLBRODT