Literatur über Persien: Iran jenseits der Mullahs

Ein faszinierender Reisebericht um 1900 und ein neues Geschichtsbuch laden ein zur Beschäftigung mit der facettenreichen Kultur Persiens.

Abseits der Politik zu meist anders als erwartet - der Iran. Bild: dpa

Der besondere Reiz alter Reiseberichte liegt nicht nur in den originellen Beobachtungen, sondern auch darin, dass die Beschreibungen ferner Länder oftmals exakte Umkehrungen der Heimatkultur ihrer Verfasser sind. Die exotische Fremde wird dann zum Spiegel des Eigenen. Das gilt auch für Vita Sackville-Wests Bericht „Zwölf Tage in Persien“, der jetzt in einer deutschen Neuübersetzung vorliegt.

Und der schmale Band liest sich vor allem deshalb mit Gewinn, weil er zeigt, was heute befremden muss: dass der Iran zivilisationsmüden Europäern einmal als Paradies erschien, als Ort, auf den sie ihre Träume von einem besseren Leben projizierten.

Als Sackville-West Ende der zwanziger Jahre ihren Mann, den Diplomaten Harold Nicolson zum zweiten Mal in Teheran besuchte, war der Iran noch ein Land der Bauerndörfer, der Stämme und kleinen Städte, mit wenig Industrie und einer Gesamtbevölkerung von nur zwölf Millionen Einwohnern. In den größeren Städten gab es vereinzelt elektrische Straßenbeleuchtung, Motorfahrzeuge und geteerte Straßen.

Doch das war der exzentrischen Engländerin noch nicht einsam genug: „Ich will dort sein, wo kein Weißer je zuvor gewesen ist, in Orten, von denen man noch nie gehört hat“, schreibt sie und bricht mit britischem Instinkt für die unentweihte Idylle ins Sagrosgebirge auf. Von der Einsamkeit erhofft sie sich nicht weniger als „eine konzentrierte Neueinstellung aller Werte“.

Faszinierend und entfremdend

Begleitet von Nicolson, drei weiteren Europäern, sechs Dienstboten und einigen Maultieren durchstreift Sackville-West im Frühjahr 1927 das Stammesgebiet der Bachtiari. Ihr Blick auf den Alltag der Hirtennomaden schwankt dabei zwischen Verklärung und Nüchternheit. Mal ist sie fasziniert von der „biblischen Existenzform“ dieser Menschen, von ihrem Leben „bar jeder mechanischen Erfindung“.

Dann wieder erscheint ihr die Idylle des Hirtenlebens als bloßes literarisches Klischee, das Nicht-Sesshafte als nur eine Form von Abhängigkeit: Die Nomaden, denkt sie inmitten einer blökenden Tierherde, „sind getrieben, gejagt, sind auf einen bestimmten Weg festgelegt, wie alle anderen Menschen“.

Während der schwierigen Wanderetappen im unwirtlichen Gelände sehnt sich Sackville-West nach den Londoner Bürgersteigen und wäre bereit, ihre Seele für eine glatte Betonpiste zu verkaufen. Kaum erblickt sie aber Schwertlilien oder andere Pflanzen am Wegesrand, lässt die leidenschaftliche Gärtnerin alles stehen und liegen, gräbt ein paar Blumenzwiebeln aus, die sie mit nach England nehmen und dort wieder einpflanzen will.

Die Angst vor der nahenden Moderne

Beim Verlassen des Sagrosgebirges erreicht sie schließlich die Ölfelder um Masdschid-i-Suleiman und meint nun, „das wirkliche Persien – diese Mischung aus Romantik und Moderne“ vorzufinden. Das dort im Jahre 1908 entdeckte Erdöl bildete die Grundlage für die gesamte wirtschaftliche Entwicklung im heutigen Iran.

Durch die Maschinerien der Ölgewinnung, die riesigen skelettartigen Bohrtürme, verwandelt sich die Landschaft in den Augen der Reisenden in eine „Albtraumwelt“. Sackville-West sieht den Wandel heraufziehen und beschwört abermals das einfache, vorindustrielle Leben. Sie träumt von einem autoritär geführten Persien frei nach Platon, das dem Volk die Errungenschaften der Moderne und das Recht auf Bildung vorenthält.

Ihr eigenes Paradies mit iranischen Pflanzen schuf sie schließlich in England. Nach Harold Nicolsons Rückkehr im Jahre 1930 erwarb das Ehepaar Sissinghurst Castle und legte dort einen weltberühmten Landschaftsgarten an. Ganz im Sinne unseres Wortes „Paradies“, das – über das Griechische – vom Altpersischen paradaida kommt und einen von einer Mauer umgebenen Garten bezeichnet. Sackville-Wests Reisememoiren bleiben einschlägige historische Quellen – „Zwölf Tage in Persien“ aber mehr noch „Passenger to Tehran“, worin sie ihre Begegnung mit dem Schah auf dessen Geburtstagsfeier im Jahre 1926 beschreibt.

3000 Jahre auf 300 Seiten

Auch Michael Axworthy kommt in seiner gerade erschienenen, umfangreichen Geschichte des Iran nicht ohne einen Verweis auf diesen Bericht aus. Der langjährige Leiter der iranischen Abteilung des British Foreign Office, und darin gewissermaßen ein Nachfahre Harold Nicolsons, lehrt heute Islamwissenschaften an der Universität Exeter.

Axworthy hat sich nichts Geringeres vorgenommen als drei Jahrtausende iranischer Kulturgeschichte auf gut dreihundert Seiten darzustellen. Dabei schafft er es nicht nur, immense Wissenslücken zu schließen – denn unsere Kenntnisse über den Iran sind bestenfalls rudimentär –, sondern lockt seine wissbegierigen Leser auf Fährten, denen es zu folgen lohnt.

Am Anfang steht Zarathustra, jener Religionsstifter, den die Griechen Zoroaster nannten und der 600 v. Chr. „die moralische Welt schuf, in der wir leben“. Der frühe Zoroastrismus war in diesem Teil der Welt die erste Religion, die über Kult und Totemismus hinausging und mit der Betonung der persönlichen Wahl und Verantwortung einen Akzent auf das Individuum setzte und moralische wie philosophische Probleme theologisch bewältigte.

Vermutlich kam es zur Offenbarung Zoroasters im Zusammenhang mit großen Veränderungen, neuen Herausforderungen und Einflüssen durch die Migration und die daraus folgende kulturelle Selbstinfragestellung angesichts unbekannter Nachbarn und ungewohnter Zwänge. „Die Religion“, so Axworthy, „resultierte aus der Begegnung mit einer neuen Komplexität. Sie war bis zu einem gewissen Grad ein Kompromiss, zum anderen ein Versuch, diese Komplexität mit innovativen Regeln zu bewältigen.“

Durch die islamische Eroberung im 8. Jahrhundert wurde die zoroastrische Religion hinweggefegt. Die persische Sprache jedoch überlebte. Sie ist seit dem 11. Jahrhundert erstaunlich unverändert geblieben und sicherte die kulturelle Identität Irans von vorislamischer Zeit zur islamischen Periode bis in die Moderne. Dazu trug nicht zuletzt die Dichtkunst bei, mit ihren großen Vertretern Rumi, Hafis, Sadi und Firdausi. Axworthys ausführliche Behandlung persischer Dichter geht indes ein wenig zu Lasten der iranischen Kinogeschichte. Vor allem wenn man bedenkt, welch zentrale Rolle Film seit der Revolution 1979 im Iran spielt und welchen Repressionen Regisseure dort bis heute ausgesetzt sind.

Der Iran und der Westen - ein komplexes Verhältnis

Ein Verdienst Axworthys dagegen ist es, das Verhältnis Irans zum Westen zu beleuchten. Bis heute steckt es voller Paradoxien. Eine Personifikation iranischer Widersprüche ist Reza Schah (1878–1944). Sowohl als Handlanger der Briten wie als Hitlerverehrer verachtet, ein Soldat, der eine Monarchie gründete, weil er nicht imstande war, eine Republik aufzubauen, bewegte er sich, wie viele iranische Herrscher vor und nach ihm, auf dem schmalen Grat zwischen Religion und Politik, Tradition und Moderne, iranischem Nationalismus und Islam. Wie viele scheiterte er.

Erwähnen muss man auch Axworthys Verweis auf das Werk des einflussreichen Intellektuellen Dschalal al-e Ahmad. Der Philosoph übertrug in den 1960er Jahren Sartre und Camus ins Persische und war außerdem ein scharfer Kritiker des Schah-Regimes. Auf al-e Ahmad geht auch die Wortschöpfung gharbzadegi zurück, was übersetzt „Westkrankheit“ oder „Westoxifikation“, also den schädlichen Einfluss westlicher Ideen auf die iranische Kultur beschreibt. Gharbzadegi wurde zu einem Kampfbegriff während der iranischen Revolution.

Was Axworthy in seiner Geschichte herausarbeitet, ist das bis auf den heutigen Tag prägende Muster iranischer Kultur: der Konflikt zwischen angeblich arroganter, korrupter, weltlicher Autorität und ernster, asketischer Frömmigkeit.

Michael Axworthy: „Iran. Weltreich des Geistes. Von Zoroaster bis heute“. Aus dem Englischen von Gennaro Ghirardelli. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2011, 347 Seiten, 24,90 Euro

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