Schwul zu sein, bedarf es wenig

GELUNGENE BIOGRAFIE Rosa von Praunheims neuer Film über den Comic-Zeichner Ralf König ist eine konventionelle Dokumentation geworden. Zeichnet aber die Emanzipationskämpfe seit den siebziger Jahren sehr schön nach

Mit elf findet König die Pornos seines Vaters, die er sich mit anderen Jungs anschaut

VON DETLEF KUHLBRODT

Die bislang 37 Filme von Rosa von Praunheim pendeln eigentlich zwischen zwei Hauptpolen – den privat-politisch, ausgesprochen queeren, bunten Filmen mit ausdrucksstarken Protagonisten, die eigentlich immer nur sich selbst in einem hochemotionalen Durcheinander spielen: Dietmar Kracht und Tante Luzi in „Bettwurst“, die Nachtigall von Ramersdorf in „Horror Vacui“, Lotti Huber, die wunderbaren Heldinnen aus „Stadt der verlorenen Seelen“, Praunheim selbst in unterschiedlichen Selbststilisierungen und eher konventionellen Dokumentationen; über die Westberliner Legende „Straps-Harry“, „Charlotte von Mahlsdorf“, Fassbinder, „Die Jungs vom Bahnhof Zoo“ im vergangenen Jahr.

Manchmal denkt man, der seltsam alterslos wirkende Filmemacher wäre nun doch schon ganz furchtbar konventionell geworden, dann kommt wieder etwas Exzentrisches. Jetzt kommt die Dokumentation über den Comiczeichner Ralf König mit dem unverschämt naheliegenden Titel „König des Comics“ ins Kino. Sie gehört zu seinen eher konventionellen Werken.

Es gibt einen seltsamen Rahmen, in dem ein junger Zahnarzt aus Zürich nach Köln fliegt, um sich dort eine Comiclesung des erfolgreichsten Comiczeichners Deutschlands anzugucken. Am Anfang klopft der junge Mann an die Tür der schicken Wohnung des Zeichners, stellt sich vor: „Hallo“ und: wie wichtig ihm dessen Comics doch gewesen wären. Man unterhält sich. Dazwischen gibt es immer wieder Aufnahmen dieser Lesung; per Laptop zeigt König seine Bildergeschichten und spricht die Texte; hoch, tief und auch fiepsend. Die Zuschauer lachen.

Ich lieb dich

Auf den nicht so comiclesungserfahrenen Zuschauer wirkt das ziemlich skurril. Am Ende, wieder in Königs Kölner Appartement, kauft der Schweizer dem Zeichner ein paar großformatige Bilder für sicher viel Geld ab, und in den letzten Minuten taucht plötzlich der neue Lebensgefährte des Zeichners auf, sagt: „So ganz Rock ’n’ Roll sind wir auch nicht mehr“, und als letzten Satz: „Ich lieb dich.“

Dazwischen, linear erzählt, Königs – wie soll man sagen: gelungene – Biografie: die schöne Kindheit in einem westfälischen Dorf. Mit elf findet er die Pornos seines Vaters, die er sich dann öfter, mit anderen Jungs im Kreis wichsend anschaut. Später hat er auch einmal eine Freundin, der er dann irgendwann weinend gesteht, er sei schwul. Er wird aktiv; geht auf Schwulendemos, macht Theater, hat das erste Mal schlechten Sex mit einem älteren Mann.

Während seiner Schreinerlehre hängt er einen Zettel an die Wand vor dem Klo: „Schwul zu sein bedarf es wenig; ich bin schwul und heiß Ralf König“. Als ihn niemand auf diesen Zettel anspricht, begreift er, dass Heterosexuelle Angst vor Schwulen haben. Die geradlinige Karriere; der große Erfolg; erst mit dem Buch, dann mit dem Film „Der bewegte Mann“, den er selber zu klischeehaft findet. Liebesweisen. Die Entwicklung als Zeichner, die im Film etwas zu kurz kommt, der aber sehr schön die schwierigen, lustigen Emanzipationskämpfe in Erinnerung ruft.

Das funktioniert auch deshalb so gut, weil Praunheims unterschätztes, ziemlich tolles Buch „Sex und Karriere“ (1976) in Königs Biografie eine wichtige Rolle spielte; der Filmemacher für den Comiczeichner ein Leitbild war, der wiederum mit seinen Comics vielen verunsicherten jungen, nicht nur schwulen Männern, zeigte, dass sie in ihren Gefühlschaotiken nicht allein sind.

„König des Comics“ ist eine konventionelle Doku, die einem aber dann doch plötzlich ziemlich tricky vorkommt. Denn sie enthält alles, was für die schwule Emanzipation seit den siebziger Jahren wichtig war.

■ „König des Comics“. Regie: Rosa von Praunheim. Mit Ralf König, Olaf Gabriel und René Krummenacher. Deutschland 2012, 80 Min.