Soziale Netzwerke: Machen 800 Millionen eine Revolution?

Der Ethnologe Daniel Miller, der Philosoph Peter Trawny und der Literaturwissenschaftler Alexander Pschera – Denker machen sich Gedanken über Facebook.

Hat Facebook den Begriff der Gemeinschaft wiederbelebt? Protest auf dem Tahrir-Platz in Kairo Anfang März. Bild: reuters

Das Internet, sagen einige, tut dem Denken nicht gut. Umso erfreulicher ist es da, wenn sich Denker diesem großen Zusammenschluss von Rechnern zuwenden, um in grundsätzlicher Absicht die Frage zu stellen, was man mit dem Internet alles anstellen kann, was für neue Formen der Kommunikation und des Miteinanders entstehen – oder was damit nicht möglich ist.

So haben sich der Ethnologe Daniel Miller und der Literaturwissenschaftler Alexander Pschera bei Facebook umgesehen, während der Philosoph Peter Trawny das Medium Internet mit der Revolutionsfrage konfrontiert. Im Knotenpunkt sozialer Netze sind stets Menschen, egal, ob es sich um Facebook oder eine Dorfkirchengemeinde handelt. Das stellt Daniel Miller gleich zu Beginn seines Buchs „Das wilde Netzwerk“ klar.

Er beobachtete das Verhalten von Facebook-Usern auf Trinidad, weniger, um herauszufinden, was Facebook ist, als um die Heterogenität des Netzwerks zu demonstrieren und zu erfahren, was das Netzwerk für die Gesellschaft und soziale Beziehungen allgemein bedeuten könnte.

Daniel Miller: „Das wilde Netzwerk. Ein ethnologischer Blick auf Facebook“. Suhrkamp, Berlin 2012, 218 Seiten, 15 Euro

Alexander Pschera: „800 Millionen“. Matthes & Seitz, Berlin 2011, 111 Seiten, 10 Euro

Peter Trawny: „Medium und Revolution“, Matthes & Seitz, Berlin 2011, 85 Seiten, 10 Euro

Sich bei Facebook als Ich konstruieren

Von einer Nutzerin erfuhr Miller unter anderem, dass Facebook helfe, sein wahres Ich zu zeigen. Denn was man dort als Ich konstruiert, entspreche dem eigenen Wesen viel eher als die Person, als die man geboren wird. Die Bewohnerin eines kleinen Dorfs hingegen hält die Sozialkontrolle und den Klatsch in ihrem Ort für weit schlimmer als auf Facebook, und ein nach einer Krankheit an den Rollstuhl gefesselter Menschenrechtsaktivist findet über das Netzwerk wieder zu seinem alten kosmopolitischen Leben zurück, wenn auch in veränderter Form.

Millers Beobachtungen bringen ihn zu dem Schluss, dass Facebook eine Trendwende im Netz eingeläutet hat. Hieß es früher, das Internet vereinzele die Menschen, habe Facebook den Begriff der Gemeinschaft wiederbelebt und erweitert. Der Erfolg des Netzwerks beruhe allerdings auf einer konservativen Neigung seiner Nutzer: Diese wollten in erster Linie die Beziehungen zu Verwandten oder Freunden wiederherstellen, wenn der Kontakt nachgelassen habe.

Für Alexander Pschera ist die Gemeinschaft noch unausweichlicher. Das Netz, sagt er in „800 Millionen“, womit er auf die Zahl registrierter Facebook-Nutzer anspielt, sei „Teil von uns geworden“, da wir als Nutzer mit ihm verwoben seien und es mit unseren Inhalten am Leben hielten. Facebook ist für ihn ein „leeres Buch, das zugleich geschrieben und gelesen sein will“.

Pschera geht in seiner Deutung einen Schritt über Miller hinaus, wenn er konstatiert, dass es nicht nur kein soziales Netz ohne User gebe, sondern auch keine Leere des Netzes ohne unsere eigene Leere, unsere „fundamentale Einsamkeit“. Mit Facebook sieht er eine neue Sprache entstehen, „ein Sprechen des Augenblicks, ein Sprechen ’für alle‘“, das sich jenseits der Sphäre des Privaten ereignet.

Sehnsucht nach dem Ereignis

Diesen Optimismus möchte Peter Trawny, der mit Pschera auf der Internetseite 800millionen.de auch einen Online-Dialog führt, nicht teilen. Trawny registriert in „Medium und Revolution“ eine nicht näher bestimmte Sehnsucht nach revolutionärer Veränderung, nach dem „Ereignis“.

Doch das „Medium“, die „ökonomische Einheit von Kapital und Technik“, worunter auch das Internet und soziale Netzwerke zu fassen sind, verhindere eine Revolution: „Das Medium und die Revolution schließen sich aus“, heißt es bei ihm kategorisch. Denn das Medium versuche die Revolution zu vermitteln und sich so medial einzuverleiben. Die Revolution sei jedoch nicht vermittelbar, da sie als Ereignis „unmittelbar“ ist. Vielmehr würde die Revolution als Ereignis das Medium – oder zumindest unser Verhältnis zu ihm – vernichten.

Keine Frage, für soziale Netzwerke à la Facebook ist in Trawnys Revolution wenig Platz. Die Revolution wird schließlich auch nicht vom Fernsehen übertragen, wie schon der Poet Gil Scott-Heron wusste. Ob es danach zu den von Trawny prophezeiten kleinen Gemeinschaften kommt, in denen ein „performativer Kommunismus“ praktiziert wird, wird man dann sehen.

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